Manifest des Informationszeitalters:Die Welt als Wille und Hack

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Ein amerikanischer Professor denkt nach über das Web, das Eigentum, die Ausbildungssysteme und erkennt: Hier herrschen ja Verhältnisse wie im Mittelalter und im Früh-Kapitalismus. Also verfasst er ein kämpferisches Hacker-Manifest, das wirklich rockt.

Dieses Buch ist eine Wohltat. Man muss sich nicht seine grandios provokanten Argumente zu eigen machen. Doch wird manseinen hemmungslosen Ansatz schätzen. Einen unbedingt politischen Ansatz. Hier liefert jemand ein Besteck zu Analyse und Kritik der virtuellen Welt und ihrer defacto-Standards. Endlich liegt soetwas wie ein Theorie-Entwurf für das Informations- Zeitalter vor.

(Foto: Foto: C.H. Beck Verlag)

McKenzie Wark, Professor für Cultural and Media Studies an der New School University in New York, bringt die Welt intellektuell auf Programmierhöhe mit den mutmaßlichen Herrschaftsverhältnissen der Zeit. Dazu holt er weit aus, geht tief zurück in die Geschichte und erkennt eine nahtlose Folge von Aneignungen und Ausbeutungen, die ihre Spur durch die Zeiten legen. Damit ihm dieser Nachweis gelingt, muss der Autor den Morast seiner Historie mit einem ebenso kühn wie waghalsig gesteuerten Amphibienfahrzeug der Theorie durchpflügen. Immer geradeaus - und kaum gebremst in der Kurve. In seinem Handschuhfach liegen Grußkarten aus der klassischen und Post-Moderne, aus denen bei Bedarf bündig, aber insgesamt beliebig vorgetragen wird. Gescheite Aphorismen aus den einschlägigen Theoremen werden gereicht wie Konfekt. So rät bereits die erste Fußnote, "Deleuze ... von hinten zu nehmen und ihm durch unbefleckte Empfängnis zu mutanter Nachkommenschaft zu verhelfen." Doch, das hat Schmackes!

Warks stets mit Verve vorgetragene Kulturkritik operiert auf der Nachtschattenseite der flimmernden Multimedialität und entdeckt dort die Fluchtlinien realer Macht, deren Bünde, Cliquen und monetäre Interessen. Im Zentrum seiner Denkbewegung steht die keinesfalls neue Überlegung, dass Veränderungen in der Welt nur als Unterscheidungen vom Gegebenen bedeutsam werden können - nach Gregory Bateson als "Unterschiede, die wirklich einen Unterschied ausmachen". Wark verwendet für "Unterschied" den Begriff der "Abstraktion" und widmet die Arbeit daran einer neuen Klasse: den "Hackern". Hacker sind nun nicht das, was man gemeinhin darunter versteht - zumindest sind sie es nicht nur. Hacker sind alle, die frische Konzepte aus alten Daten schöpfen. Wark nennt "Programmierer, Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler oder Musiker." Ein "Hack" beschreibt einen kreativen Akt, der als Information in die Welt kommt und die Grundlage für anschließende Abstraktionen bildet. "Dies gilt in der Physik wie in der Politik, im Computerwesen wie in Kunst und Philosophie. Jeder Bereich kann in seinem Wesen gehackt werden." Und er soll gehackt werden, denn sonst herrscht pure Indifferenz.

Nun könnte ja alles schön kreativ sein, wenn es nicht jenes antipodische Prinzip in der Welt gäbe, das man Eigentum nennt. Hacks sind selten frei. Okkupiert von den Interessen einiger happy few, die im historischen Feld als Feudalherren, Kapitalisten und nun als sogenannte Vektoralisten notorisch geworden sind, verkomme jeder Hack zur Ware. Der Tanz um das Goldene Kalb der Käuflichkeit aber verarme die Welt, beraube sie der Freiheit. Denn das, was in der Geschichte an Boden und Produktionsmitteln vorexerziert wurde, genau das erlebe die Welt gerade wieder im Versuch, die Hacker-Ressource "Information" zu vereinnahmen.

Den dezidiert in Richtung Besitz organisierten Interessen - darum der Name: Vektoralisten - gelte sie als "geistiges Eigentum", das dem allgemeinen Zugriff entzogen werde. Und zwar mit Hilfe von Patenten, Warenzeichen, Urheber- und Verwertungsrechten. "Diese juristischen Hacks machen aus dem Hack einen Eigentum produzierenden Prozess." Dabei wolle doch - wie es ebenso romantisierend wie apodiktisch heißt - "alle Information frei sein." Die Kontrolleure der Hacks aber bringen einigen autoritären Elan mit, Information zu monopolisieren, um den Mehrwert für sich abzuschöpfen - und um den Rest der Welt zu knechten. "Ausbildung ist Sklaverei, legt den Geist in Ketten und macht ihn zu einer Ressource der Klassenmacht", beginnt etwa das erquickliche Kapitel zum Zwangscharakter der education.

In der rigorosen Ablehnung dieses vereinnahmenden Prozesses formiert sich die Hackerklasse. Ihr allein wird der Befreiungsschlag gegen die drohende Monokultur der Monopole zugetraut und mit aller historischen Emphase überantwortet. Allein, wer ist diese Klasse? Die größte Crux an Warks hohem und durchgängig gehaltenem Reflexionsniveau ist wohl, dass sich der Autor selten einen Blick auf die Niederungen der Konkretion gestattet. Im Gegensatz zu anderen Vordenkern des Cyberspace, etwa Richard Stallman, Eric S. Raymond oder Lawrence Lessig, verliert sich Wark des öfteren in den lichten Höhen seines Entwurfs. Wäre nicht doch der historisch wie ideologisch besetzte Begriff "Klasse" genauer zu hinterfragen gewesen, der hier nichts klammert außer einer diffus bleibenden Kreativität? Und müsste man nicht auch am Heiligenschein der "Freien Information" kratzen, die im utopischen Verwirklichungsfall so gut wie nichts mehr besagt? So befreit Wark, um eine seiner süffigen Formulierungen zu übernehmen, zwar die "Thermodynamik der Sprache aus der Tiefkühltruhe", doch geschieht dies auch um den Preis, manchmal heiße Luft zu produzieren.Dieser Preis ist hinnehmbar: "A Hacker Manifesto" belegt die Anschlussfähigkeit des Cyberspace an einen Diskurs, der die Gegenwart noch einmal gründlich zu fassen bekommen will. Es rückt die digitale Welt, die Vielen immer noch wie das unernste Beiprogramm zur Wirklichkeit erscheinen mag, nicht ins Lot, aber es hilft des öfteren, von 0 auf 1 zu schalten.

McKenzie Wark

Hacker Manifest

Aus dem Englischen von Dietmar Zimmer. C.H. Beck Verlag, München 2005. 240 Seiten, 18 Euro.

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