Mangelnde Klasse des Fernsehens:Therapie Wahrheit

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Niveaulosigkeiten eines Komikers wie Atze Schröder sind im deutschen Fernsehen Programm. In der Reaktion auf Reich-Ranicki sollten sich die Verantwortlichen daher ehrlich hinterfragen.

C. Keil

Noch während Marcel Reich-Ranicki am vergangenen Samstagabend vorzeitig die Gala der Deutschen Fernsehpreisverleihung verließ, entzündete sich in den keineswegs geschlossenen Reihen des Publikums eine Debatte über den Wert seiner fundamentalen Kritik.

Auch der Komiker Atze Schröder brachte mit fernsehpreisüblichen Niveaulosigkeiten das Gemüt von Marcel Reich-Ranicki in Wallung. (Foto: Foto: AP)

Reich-Ranicki, 88, gab vor, nach beinahe zwei Stunden genug Unsinn und Mittelmaß gesehen und gehört zu haben bei Laudatoren und Pausenclowns. Es drängte ihn auf die Bühne, wo er das Fernsehen wie ein schlechtes Buch im Literarischen Quartett in ein paar deftigen Sätzen erledigte und den Ehrenpreis der Stifter des Deutschen Fernsehpreises - das sind die Sender ARD, ZDF, RTL und Sat1 - ablehnte.

Dafür, dass die Trophäe doch noch mit Reich-Ranicki den Saal verließ, dass sie nicht symbolisch entehrt zurückblieb, war Thomas Gottschalk verantwortlich.

Gottschalk, der diesen zehnten Fernsehpreis moderierte, hatte dem alten Mann in dessen bockiger Ansprache angeboten, in dem Medium, das er so beschimpfte, weil es keine Qualität mehr zu bieten habe, über Qualität zu reden. An diesem Mittwoch wird das Gespräch zwischen U und E, zwischen Gottschalk und Reich-Ranicki aufgezeichnet und dann am Freitag um 22.30 Uhr auf dem Sendeplatz des Kulturmagazins "Aspekte" im Zweiten ausgestrahlt.

Geschlossenes System

Ist das also der Wert des spektakulären Auftritts eines Mannes von hoher Bildung? Dass er völlig zu Recht auf die Defizite des Fernsehen aufmerksam machte und mit seinem Verzicht auf jede Höflichkeit an die TV-Branche appellierte, es bei der Qualitätskontrolle mit Ehrlichkeit zu versuchen? Immerhin bekommt er noch einmal 30 Minuten, um sich noch einmal zu erklären.

Ein öffentlich-rechtlicher Manager sagte am Montag, er wünsche sich einen offenen Diskurs. Auch er hat offenbar das Gefühl, dass Fernsehen ein geschlossenes System geworden ist, in dem die kommerziellen Betreiber auf unterschiedlich erfolgreiche Weise an ihrer Renditesteigerung arbeiten und die öffentlich-rechtlichen Angestellten mit größter Furcht ins weite Internet und damit in eine ungewisse Zukunft blicken, was sie ungewisse Programme machen lässt.

Die Absicht, sich direkt und ohne taktischen Sicherheitsabstand über das zu unterhalten, was täglich gezeigt wird, ist längst nicht mehr erkennbar. Und zwar weder bei den privaten Unternehmen noch bei den gebührenfinanzierten.

In den Schmähungen Reich-Ranickis drückt sich vielleicht gar nicht so sehr der konstruktive Hinweis an ein System aus, sich gelegentlich so in Frage zu stellen.

Der gebildete Literaturkritiker schaut, wie er einräumt, kaum Fernsehen. Arte gilt ihm als letzte Zuflucht. 3sat sei, so tobte er, verfallen. Überall nur Dreck, Peinlichkeit. Für diese Erkenntnis braucht man aber nicht einmal die kräftige Stimme Reich-Ranickis.

Fernsehen hat sich seit 20 Jahren von seiner ausschließlich staatstragenden Funktion entkoppelt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sucht zwischen Quote und Qualität sein Profil mit klaren Vorlieben für Massenprogramme.

Der falsche Zeuge sagt das Richtige

Die Selbstfindung dauert inzwischen ein bisschen zu lange, zumal gegenwärtig ausschließlich strukturelle Richtungswechsel vorbereitet werden: der Übertritt des klassischen ins vom Internet getriebene digitale Fernsehen.

Es wird einen neuen Staatsvertrag geben, der europagültige Regeln aufstellt, mit denen das duale Fundament, die Koexistenz von Gebühren-TV und Kommerz-TV in Deutschland, für eine Zukunft mit unterschiedlichen Medien und unterschiedlichen Abrufmodellen erhalten werden soll.

Reich-Ranicki ist also vielleicht ein Weckrufer, einer, mit dem es sich so verhält: Der falsche Zeuge sagt das Richtige. An seiner spektakulären Abrechnung, so sieht das ein anderer öffentlich-rechtlicher Manager, werde ein Grundproblem sichtbar: Fernsehen habe kein Prestige. Fernsehen, das sei die öffentliche Einrichtung, gegen die jeder seinen Strahl richten könne.

Es kann allerdings nicht darum gehen in der Reaktion auf Reich-Ranicki, dass man einfach nur ihn in Frage stellt - was man könnte, weil er seine große öffentliche Geltung dem Fernsehen verdankt, das sein besonderes Wesen, seine besondere Biographie in den Talkshows und Reportagen, auch im Literarischen Quartett, perfekt zur Geltung brachte.

In Frage stellen muss sich das Fernsehen, nicht bloß mit jeder Soap, jedem Pilcherfilm, sondern auch mit jeder Nachrichtensendung und jeder Sportübertragung. Das Fernsehen hat nicht nur Masse zu erreichen, es muss auch Klasse bedienen. Und damit tut es sich immer schwerer. Das wissen alle, es ist Zeit für die Wahrheit.

© SZ vom 14.10.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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