Magenstärkend: "Eels":"Sartre rockt. Aber nicht so wie ich."

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Der amerikanische Songwriter Mark Oliver Everett, Erfinder und Beleber der "EELS", hat ein überragendes neues Album eingespielt. Damit tourt er jetzt durch Europa - wir haben ihn vor einem Konzert getroffen.

ALEX RÜHLE

Sein Vater, der große Quantenphysiker und Einstein-Freund Hugh Everett III, erfand 1957 die Theorie der Paralleluniversen, derzufolge immer, wenn die Natur die Wahl zwischen zwei oder mehr Zuständen hat, sich das Universum in zwei oder mehr Paralleluniversen aufspaltet. Dieser Theorie zufolge müsste es ein Universum geben, in dem Mark Oliver Everett an einem sonnenhellen Frühsommertag ein Interview gab, und eines, in dem er in derselben Zeit irgendetwas anderes machte. Wahrscheinlich gibt es auch eines, in dem er als sein Alter Ego MC Honky am Tisch des dämlich chicen Hotelbistros saß und über sein früheres Leben als Pförtner fabulierte. Egal. In dem Universum, in dem dieser Text gelesen wird, saß jedenfalls Mark Oliver Everett selbst am Tisch, erzählte davon, wie man aus einem Hundefell Stinktierpisse entfernt (mit frischem Tomatensaft) und stierte dann stumm auf sein Steak.

"Oh my Schatzi, you're wonderful." (Foto: Fotos: Universal)

Am besten kann man Everett aus seiner meditativen Fleischbeschau holen, indem man nach dem Ergehen seines Alter Ego fragt, besagtem Ex-Pförtner und Töpfer MC Honky, der den self help rock erfand, 2003 die CD "I Am the Messiah" veröffentlichte und auf der letzten Eels-Tournee als pantomimische Vorgruppe auftrat. Leider ist er seither verschollen. "Ah", sagt Everett "erinnern Sie mich nicht an den Typen, wir hatten Probleme, Honky ist ein grumpy old man, und da ich selbst immer bizarrer werde, war es wirklich schwierig zwischen uns."

Vielleicht braucht Mark Oliver Everett die Entlastung der Verkleidung, des Parallelcharakters: Er ist der Philip Roth der Popmusik, die Texte seiner CDs sind radikal autobiographisch, so radikal, dass die Plattenfirmen in den Neunziger Jahren Angst vor Everett hatten. Wer will auf einem Popalbum schon Lieder über das elende Sterben an einer Krebserkrankung hören?

Sein Vater starb 1982, Everett fand ihn eines Morgens auf dem Küchenboden. Er ging nach Kalifornien, ließ sich einen Bart wachsen, so dicht, dass darin Eichhörnchen hätten nisten können, fing an zu komponieren, und gründete die Eels, die quasi ein Einmannprojekt mit wechselnden musikalischen Gehilfen sind. Der Selbstmord der Schwester, der Krebstod der alkoholkranken Mutter, die einsame Kindheit -- all das hat Everett in dem Album "Electro Shock Blues" von 1998 verarbeitet, das ihm den Ruf einbrachte, ein depressiver "Prince of Darkness" zu sein. Everett mag ja existenziell etwas verknittert wirken, aber wenn es um dieses Gerede geht, wird der sonst so trockene Ironiker richtig wütend, prince of darkness, was für ein kolossaler Unsinn: "Ich denke in meinen Liedern über das Leben nach. Es ist ein Unterschied, ob du traurig bist oder depressiv und nichts mehr spürst." Zumal "Electro Shock Blues" bei aller thematischen Radikalität saukomische Passagen enthielt. Und die Musik war von solch ermutigender Schönheit, dass Fachleute sagen, "Electro Shock Blues" sei in diesem und allen angrenzenden Universen eines der größten Alben überhaupt.

Seit einigen Wochen wird es freilich überstrahlt von "Blinking Lights And Other Revelations" (Vagrant), einer Doppel-CD, an der Everett sieben Jahre lang gearbeitet hat und mit der er zur Zeit auf Deutschlandtournee ist. Sieben Jahre . . . In der Zeit ist eine seiner Cousinen als Stewardess in einem der entführten Flugzeuge am 11. September ums Leben gekommen. Everett hat sich den Bart gestutzt, weil er danach immer für einen Terroristen gehalten wurde, und er hat geheiratet. Ansonsten ist nichts passiert. "Ich steh auf, geh mit dem Hund spazieren, komponiere ein Lied, schreibe einen Text und geh ins Bett." Sieben Jahre, 33 Songs, Skizzen, eigenwillig instrumentiert, teils mit Celesta und Kinderinstrumenten, auf einem heult Tom Waits, auf einem anderen Everetts Hund, 33 Songs, die von der Geburt bis zum Tod das ganze Leben erzählen, eine Knochenarbeit, "es war so hart wie Zähne ziehen."

Am Abend, in der Münchner Tonhalle, wirkt alles ganz leicht, und Everett kann gar nicht mehr aufhören zu spielen. Was für ein magenstärkender, beglückender Abend! Everett sieht mit seinem Bart, der dicken Brille, einer Zigarre und seinem schwarzen Stock mit Silberknauf aus wie eine Mischung aus Groucho Marx, Fidel Castro und einem doofen Dandy. Die Arme baumeln an ihm runter wie Papprollen, der schmale Anzug schlackert um seine spiddelige Gestalt. Wundersam, dass solch ein skurriler Mensch dermaßen einheizen kann. Das Publikum tobt, Everett nennt es "Oh, my Schatzi", spielt 35 Lieder, und am Ende, nach der fünften Zugabe, steht er da, wie ein Junge, der noch mehr Lakritze will: "One more, okay?" Und dann kommt das letzte Lied der CD, "Things The Grandchildren Should Know", in dem ein grumpy old man aus seinem kargen Leben erzählt, das am Ende trotzdem schön war. Am Nachmittag hatte er gesagt, es sei ein Lied über seinen Vater, den schweigsamen Physiker, er wisse bis heute nicht, was in dessen Kopf vorgegangen sei, und da der es ihm nie gesagt habe, habe er es sich mit diesem Lied eben selbst erklärt. Wie ein Kind, das sich selbst Briefe von der Schatzinsel schreibt.

Everett singt die Ballade mit schmerzhaft aufgeraspeltem Bass, eine Stimme wie eine offene Wunde, ein bisschen wie Tom Waits. Während aber Waits' Texte wie filmreife Szenen über das Leben wirken, denkt man bei Everett: genau, das Leben! Waits verklärt seine Figuren zu Nachtschwärmern in Agfacolor, die in ihrer nostalgischen Einsamkeit etwas Heroisches haben. Everett stellt den Menschen nackt hin, unbehaust, allein. Und trotzdem unterläuft er dabei alles existenzialistische Pathos. Auf die Frage eines Journalisten, ob er sich Sartre verwandt fühlte, sagte er einmal trocken: "Klar, aber der rockt nicht so wie ich."

Auf der Bühne ein Streichquartett, Celesta, Klavier, singende Säge, oha, denkt man zunächst, hoffentlich wird das nicht zu filigran. Elvis Costello hat doch mal so eine CD mit dem Brodsky-Quartett gemacht, Gott, klang das akademisch. Aber von wegen, hier ist alles so straight to the point, so schlicht und stark und Rock'n'Roll, dass einem im Dunkeln die Tränen kommen, wenn Everett mit seiner nuschelnden Stimme und ein paar Akkorden das ganze Leben aufreißt wie weiche Erde. Das Konzert (wie auch die CD) beginnt mit "From which I Came", einem Lied über ein Neugeborenes: "Ten pounds and a head of hair / came into without a care / what they thought were cries / were little laughs / only looking forward and moving fast / the little bundle had arrived / and I was happy to be alive / in a magic world".

Die Kindheit, das magische Paralleluniversum. Auf seinen früheren CDs nannte sich Everett "The man called E". Eigentlich geht es aber nicht so sehr um den Mann namens E sondern um das Kind, das zu E wurde. Wenn andere Musiker versuchen, das Kind im Manne zu entdecken, kommt dabei gequirlter Disneyquark heraus. Bei Everett spielen die Kinder auf einem Friedhof, weil das eben eine so schöne Wiese ist, auf der die ganzen Steine so geheimnisvolle Präsidentennamen tragen. In "Blinking Lights" dem Lied, das der CD den Titel gab, schaut ein kleiner Junge die Signallichter der Flugzeuge am Himmel an und ist überzeugt, dass sie ihm, nur ihm, eine Botschaft schicken. Da dreht sich ein Thema wie ein Kinderkarussell, der Bass stapft wie ein Bär in Durchgangstönen abwärts, und dann wird das Ganze plötzlich wuchtig aufgebockt: Schlagzeug, Streicher, ein satter Sound:"Kopf hoch, Kinder, der Himmel ist finster -- die schönste Dunkelheit, die ich je sah." Die Lieder klingen nach Beatles und Neil Young, nach der Westcoast-Gelassenheit der Beach Boys und Randy Newman, wenn er in "Losing Streak" singt: "Where else could a creep like me meet such a pretty face?" Das Publikum johlt, Everett sagt: "Oh my Schatzi, you're wonderful" und taucht ab in den nächsten Song.

Freud definierte Glück als die Erfüllung von Kinderwünschen. Wir müssen uns Mark Oliver Everett als glücklichen Menschen vorstellen.

Weitere Konzerte: 3. Juni Dresden, 4. Juni Berlin, 5. Juni Hamburg.

© SZ v. 03.06.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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