Männer in der Krise:Was vom Manne übrigblieb

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Der moderne Kerl ist stets gebrochen und in Gefahr, zum Lächerling zu werden. Wie konnte das passieren? Eine (natürlich wehleidige) Heldendämmerung.

Willi Winkler

Nehmen wir zum Beispiel diesen Fall: Ein junger Mann kommt vom Studium nach Hause, von einer der berühmtesten Universitäten der Welt, doch das interessiert niemanden, denn daheim geht es drunter und drüber. Der Vater des jungen Mannes ist gestorben, seine Mutter hat sich mit ihrem Schwager zusammengetan, nachdem sie, wie sich bald erweist, zuvor Beihilfe zum Mord am Gatten geleistet hat.

Was die Frauen wollen: immer noch George Clooney und Brad Pitt? (Foto: Foto: dpa)

Was den jungen Mann bewegt, will niemand wissen. Er stört. Nun muss er sich auch noch in die wassersüchtige Ophelia verlieben, die etwas verrückt, aber vor allem ein Lockspitzel ist, um den jungen Mann vom Weg abzubringen. Seinem dramatischen Schicksal kann Hamlet gleichwohl nicht entfliehen. Sein verstorbener Vater, der ihm als Geist erscheint, verlangt, dass der Sohn ihn räche. Wenn die Weltliteratur nicht trügt, war es noch nie ein Spaß, jung zu sein. Der junge Werther geht fast naturnotwendig in den Tod. Oder Ödipus: Erst den Vater umbringen und dann auch noch die Sache mit der Mutter - furchtbar.

Jungsein war seit je eine freundliche Umschreibung für unfertig und deshalb korrekturbedürftig. Man braucht nicht bis zu dem berüchtigten "Geradehalter" des Sadisten Daniel Gottlob Moritz Schreber zurückzugehen, der mit derlei Zwangsmaßnahmen im 19. Jahrhundert nach Kräften an der Charakterbildung der Jugend wirkte, sodass "derselbe schon im Jünglings- und Jungfrauenalter eine Schutzmauer bildet gegen das krankhafte Vorherrschen der gemütlichen Seite, gegen jene schwächliche Empfindsamkeit, die Krankheit unserer Tage, welche als die allgemeinste Ursache der zunehmenden Häufigkeit der Lebensmüdigkeit, der Geisteskrankheiten und Selbstmorde zu erkennen ist".

Die Jugend war schon immer eine Störung, der zu Leibe zu rücken war, und was die beliebte körperliche Züchtigung anzurichten imstande war, kann man bis heute an den männlichen Mitgliedern des britischen Königshauses studieren.

Aber kehren wir für einen Moment zu Hamlet zurück. Der Prinz am Hofe von Helsingör hadert, ganz junger Mann, mit dem Schicksal: "O schmölze doch dies allzu feste Fleisch, /Zerging' und löst' in einen Tau sich auf!/ Oder hätte nicht der Ew'ge sein Gebot/ Gerichtet gegen Selbstmord!/ O Gott! O Gott! /Wie ekel, schal und flach und unersprießlich/ Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt!"

Da ist er schön herauspräpariert, der adoleszente Weltekel, und der melancholische Hamlet verschafft dem Jugendirresein die nötige aristokratische Ausprägung. Um den Jüngling dreht sich die halbe dramatische Literatur, um seine Qualen, sein Unglück, sein Fortkommen, sein Scheitern, nur selten um seinen Triumph. Die Literatur schickt ins Leben uns hinein, und sie ist es, die den Armen schuldig werden lässt. Er kann nichts dafür, denn er ist ja noch jung.

"Dreiundzwanzig Jahre", stoßseufzt Don Carlos bei Friedrich Schiller, "und nichts für die Unsterblichkeit getan!" Nicht jeder aber ist Prinz und kann seine Zeit mit dem Verfertigen von Monologen verbringen. Die meisten müssen die allgemeine Schulpflicht erfüllen. Und welcher Schüler, er wäre denn ein Virtuose auf der Geige, hätte Gelegenheit, so früh an der Unsterblichkeit zu arbeiten?

Wie einfach hatte es Don Carlos, wie schön loderte sein Größenwahn, aber dieses ganze Schiller-Pathos ist spätestens mit dem letzten Weltkrieg dahingegangen und damit der strahlende, der unbezweifelbare Held. In den USA dauerte es noch etwas länger, aber aus dem Vietnamkrieg kehrten an Leib und Seele zerschossene Männer zurück, die nicht mehr ins Leben fanden. Es war die erste Generation, die für ihren Einsatz fürs Vaterland nicht gefeiert, sondern deswegen bestraft wurde. Es gibt keine Helden mehr. Einen gab es in der jüngeren Geschichte, der wurde mit 17 unsterblich. Das war jener mythische Kämpfer, den die Presse zum "Leimener" verniedlichte. Boris Becker gewann Wimbledon, verlor, gewann wieder und stürzte dann aus der Heldenrolle in die nun nicht endende eines Lächerlings. Das klingt alles, als wäre es schon sehr lange her. Es hat sich aber zu unseren Lebzeiten zugetragen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was nach der Adoleszenz des Mannes noch so kommt.

Held geht also nicht mehr, aber sonst sind die Optionen rar. Der jugendliche Größenwahn, der ganze Aufstand mit den ozeanischen Allmachtsphantasien muss notwendig zerschellen an den Erfordernissen des Alltags, an der Schulpflicht, dem Gruppendruck, dem Familienzwang und allgemeinen Elend.

Eben erst ist der tapfere Mann der Adoleszenz entkommen, brav kreucht er Tag für Tag zu spät mit hängender Zunge von der Arbeit heim, wo er vom Chef verspottet und vom Controller im Aufzug nicht zurückgegrüßt wurde, schon steht todmüde die augengeränderte Gattin im Flur, das schreiende und blähende Kind auf dem Arm: "Kannst du den Kleinen mal nehmen? Quality time mit Papi!!" (Ist es nicht schon sehr sonderbar, dass die Frauen alle George Clooney wollen, der nicht weiß, wie man Papi schreibt, geschweige denn, sich Papi-Zeit nehmen würde, wäre er nur erpressbar genug, ein Kindlein zu machen?)

Die ganze Jämmerlichkeit des Männerbildes

Beziehungsweise: Wer ist schuld? Natürlich die Männer. Schon bei den Einparkwitzen von Mario Barth wandelt einen die ganze Jämmerlichkeit des Männer- oder Männlichkeitsbildes an. Das kann doch nicht wahr sein, aber da predigt ein Vertreter einer aussterbenden Rasse vor einem Berliner Fußballstadion voller Vertreter einer aussterbenden Rasse, und vom gemeinschaftlichen Angstbeben zittern hier alle Tribünen. Das Ende ist nahe. Wer sich von Dieter Bohlen vorführen lässt, wie das mit den Estefanias und Veronas und sonstigen Uschis geht, der ist jedenfalls entschuldigt, wenn er sich davonschleicht und einfach aufgibt.

Es ist alles nicht mehr so einfach wie früher. Die Mädchen heute wachsen mit einem so ungeheuren Selbstbewusstsein auf, dass selbst so gestandene Kerle wie Alice Schwarzer nervös werden. Vom ersten Tag im Kindergarten an können es die Mädchen besser. Sie haben die schnellere Auffassungsgabe, sie lernen leichter, sie erledigen klaglos ihre Hausaufgaben, sie bringen ihre Beziehungen nicht durcheinander, sie meistern von früh auf das Leben. Warum?

Bestimmt, weil sie nie von diesem Kothurn heruntermussten, nie diesem schauerlichen Drang ausgeliefert waren, ein Jahrhundert oder wahlweise ein tintenklecksendes Saeculum in die Schranken zu weisen. Schal und unersprießlich ist ihnen die Welt selten erschienen, eher wie ein bunter Vorgarten, aus dem die Mutter zum Essen ruft. Vielleicht ist es auch einfacher: Sie verfügen über vom Leben oder jedenfalls von ihren Männern enttäuschte, aber dafür pragmatische Mütter, die ihnen vormachen, wie man die Männer für sich arbeiten lässt, weil die ja eh nichts anderes im Kopf haben.

Schließlich und nicht zu vergessen: Sex. In seiner neuen, wahnsinnigen und wahnsinnig guten Novelle "Empörung" datiert Philip Roth das Jugendirresein auf die Zeit des Koreakrieges zurück, in eine irreal strenge Schule mit bigotten Lehrern und den dümmsten Stieseln als Mitschülern. Sein Held Marcus Messner muss um jeden Preis Erfolg haben. Seine Eltern haben kein Geld fürs College und, schlimmer noch, bei Schulversagen drohen die Wehrpflicht und der Tod von der Hand schlitzäugiger Kommunisten. Marcus aber hat Glück: Eine Göttin erscheint ihm und (da vielleicht Kinder zuschauen) versieht unaufgefordert den größten denkbaren Liebesdienst an ihm.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Mädchen an übelriechenden und krakeelenden Jungs nicht interessiert sind.

Abgesehen davon, dass einem in der Zwischenzeit ein amerikanischer Präsident den Geschmack am Blowjob verdorben hat, sind solche unvermuteten Gunstbezeigungen heute für den Pubertanten kaum mehr zu erwarten. Zwar treten schon die kleinen Mädchen jeden Tag härter auf, aber ihr von Frau Klum im Schlampenfernsehen eingebimster Vulgärmilitarismus schadet ihnen nicht einmal, weil die Kerle ihnen ja sowieso nicht gewachsen sind. Die Mädchen sind an übelriechenden und krakeelenden Jungens nicht interessiert, was sie aber nicht hindert, beständig an der eigenen Vervollkommnung zu arbeiten. Für sich, für niemanden sonst. Fünfzehnjährige Mädchen sind dann (erst einmal) mit sich im Reinen. Und die Jungs? O weia.

Sie sind - wie ihre Väter - an einer freiliegenden Wurzel in der Evolutionsgeschichte hängengeblieben. Das, was sie können, sich wehren, um sich schlagen, erobern, vor allem aber sich (und damit die Art) fortzupflanzen, das ist doch immer weniger gefragt. In jeder Hochzivilisation sinkt die Geburtenrate, wozu braucht es also das aufwendige Anbahnungs- und Zeugungsgeschäft? Wegen der paar Kinder lohnt sich der Aufwand nicht. Die Mädchen wissen das, die Jungs schauen blöd, weil sie draußen bleiben müssen. Es ist hart, aber wahr: Es geht auch ohne sie.

Rauchen, Trinken, Essen, Sex

Nicht bloß der Held, der ganze Mann ist dabei, sich in die Geschichte zu verabschieden. Es braucht keinen Psychoanalytiker, um unsere waffennärrischen amerikanischen Freunde zu verstehen, denen offensichtlich etwas fehlt. Seit Jahren wird ihnen genommen, was gut und männlich ist: Rauchen, Trinken, Essen, Sex und jetzt auch noch das Schießen. Sie werden, mit einem wenig schönen Wort: entmannt. Die Krise, unter der der junge Mann leidet, ist also die des älteren Mannes, die seines Vaters. Der steht mitten im Leben und muss Geld verdienen und seinen Status erhalten. Aber schon er ist an den Erfordernissen von Kultur und Zivilisation gescheitert und hofft vergeblich, der Sohn würde es richten. Gerührt wie hilflos sieht er sein Ebenbild herumirren und kann ihm doch nicht beistehen. Es ist zum Verzweifeln.

Ich hatte einmal das rare Glück, mit Männern allein im Wald das Mannsein zu erleben. Das begab sich weit weg im Westen der USA, wo der Pazifik für eine tiefgrüne Flora sorgt.

Es ist nicht wahr, dass hier im Camp Bäume umarmt worden wären, es wurde aber auch nicht bis zur Besinnungslosigkeit getrunken, sondern nur ein bisschen gesungen. Kein religiöses Liedgut, sondern ein Singsang gelangte zum Vortrag, der aus dem Zweizeiler "The distance between us is oneness" bestand. Gut, das ist die alte Mystik, wäldlerisch gewendet, und warum nicht, aber das war noch längst nicht das Schlimmste. Sondern dass der Mann rechts von mir, der Mann, neben dem ich im Kreis stehen und das Mantra singen musste: John Densmore war! Vor Jahr und Tag der Drummer der Doors! Der Mann, der einst nicht bloß seinen Mit-Männern, sondern der ganzen Menschheit die Hymne "Light My Fire" schenkte, hatte sich der "Bewegung selbstbewusster Männer" angeschlossen und ommte!

Bitte, diese öffentlich gebrochene Existenz ist kein Einzelfall, sondern inzwischen die Regel. Wenn Bruce Willis zum vierten Mal langsam stirbt, zieht selbst er mit den Skrupeln der Frankfurter Schule in den Kampf: Ein geschiedener Polizist, dem die eigene Tochter nicht traut, ist kein Held, sondern der Normalfall, inzwischen auch im Kino. Selbst im populärsten Film ist der Held wie im wirklichen Leben nur mehr als vielfach beschädigter Mann vorstellbar. Was einmal im existentialistischen Drama begann, in den Stücken Becketts, in den Irren, die der film noir hervorbrachte, ist inzwischen gesellschaftlicher Normalfall und deshalb das tägliche Brot im Kino und in maßgeblichen TV-Serien wie 24: dysfunktionale Familien, Lebenskrisen. Hat sich je ein Pädagoge überlegt, mit welchem Männer- und damit Vaterbild die Jungs aufwachsen, die sich einen derart verkorksten Haudrauf ansehen?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die jungen Männer heute von vielen äußeren und innerlichen Erlebnissen verschont bleiben.

Wenn die Wirklichkeit nicht täuscht, dann ist die Lage heute - lange nach Shakespeare, nach Schiller, selbst nach den entsetzlichen Schulgeschichten von Robert Musil bis Friedrich Torberg - mehr denn je zum Verzweifeln.

Die Buben bleiben von äußeren und innerlichen Erlebnissen verschont, wie sie frühere Generationen in Schlachten von den Befreiungskriegen bis Langemarck suchten, aber was haben sie sonst?

Arbeitslager, Wehrsportgruppen und andere Zwangsmaßnahmen

Es hilft ihnen niemand auf dieser Welt. Arbeitslager, Wehrsportgruppen und andere Zwangsmaßnahmen sind erfreulicherweise aus der Mode gekommen, und selbst im rückständigsten Internat regieren keine sadistischen Erzieher mehr, sondern verständnisvolle Pädagogen, deren selbstloser Einsatz mit heimlichen Alkoholexzessen und früher Drogensucht entgolten wird.

Fast rührend wirken von heut' aus die Leiden, die der Knabe Anton Reiser in Karl Philipp Moritz' gleichnamigem "psychologischen Roman" ertragen musste. Weil seine Eltern das Geld zum Studium nicht haben, wird der Sohn zum Kostgänger bei fremden Leuten. Jeden Tag wird er bei einer anderen Familie zum Essen eingeladen, und "jeder ihrer Blicke vergiftete Reisern den Bissen, den er in den Mund steckte".

Der allgemeine Wohlstand weiß nichts mehr von solchen Qualen, dafür wissen seine Nutznießer umso mehr über Markennamen und technische Details von Elektronica, ohne die ein Schulbesuch in Deutschland nicht mehr möglich ist - und welche Qualen die Knaben leiden, wenn sie nicht haben, was alle haben! Ganz wie die Großen im Golf- und Tennisclub wird um Fahrräder, Handys, Computer und iPods konkurrenziert, als gelte es die ewige Seligkeit.

Gefahren der Sexualität

Der katholische Romantiker Eichendorff meinte seinerzeit die nachwachsende Jugend noch vor den Gefahren der Sexualität warnen zu müssen, wenn er von der unstillbaren Sehnsucht erzählte, wie sie die heidnische Göttin Venus zu wecken versteht: "Aus der erschrecklichen Stille des Grabes heißt sie das Andenken an die irdische Lust jeden Frühling immer wieder in die grüne Einsamkeit ihres verfallenen Hauses heraufsteigen und durch teuflisches Blendwerk die alte Verführung üben an jungen sorglosen Gemütern, die dann vom Leben abgeschieden, und doch auch nicht aufgenommen in den Frieden der Toten, zwischen wilder Lust und schrecklicher Reue, an Leib und Seele verloren, umherirren, und in der entsetzlichsten Täuschung sich selber verzehren." Das alte Marmorbild, mit dem Eichendorff drohte, ist längst gestürzt, aber liefert er nicht eine recht realistische Beschreibung jener armen Jungs, die sich auf LAN-Partys treffen und nicht etwa nach dem großbrüstigen Mädchen in der Nachbarklasse, sondern nach "World of Warcraft" lechzen? Sie sind an Leib und Seele verloren und irren wie Untote über ihre Schlachtfelder.

Kann also jemand unglücklicher sein als der junge Mann? In seinen letzten Jahren wurde der strenge Sigmund Freud strenger denn je: "Man möchte sagen", formulierte er schließlich 1930 im Unbehagen in der Kultur, "die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten."

Hamlet, der unglückliche Prinz, vaterlos und ohne Mutter, scheitert am Treiben dieser Welt. Trost hat er keinen für die, die fühlen wie er.

So bleibt nicht mehr als der Satz, mit dem Fritz Langs Film "M" (1931) endet. Der Satz lautet schlicht: "Wir müssen besser auf unsere Kinder aufpassen!"

© SZaW vom 04./05.04.2009/irup - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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