Männer, Frauen, Ermittlungen im Krisengebiet:Falten und Dreifaltigkeit

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Mädchen, Mutter, Großmutter: Die Frau ab 40 ist ein multiples Wesen.

Evelyn Vogel

Feminismus war gestern, Patriarchat vorgestern. Heute begegnen sich Männer und Frauen auf Augenhöhe. Oder nicht? Eine Artikelreihe erkundet das aktuelle Krisengebiet. Der heutige Beitrag widmet sich einer nie da gewesenen Spezies, einem multiplen Wesen: der Frau ab 40.

"Ich will so bleiben, wie ich war." (Foto: N/A)

"Weiblich, ledig, 40 plus sucht..." Nie zuvor waren so viele 40-jährige Frauen auf der Suche nach einer neuen Beziehung, einem neuen Job, dem besten Selbstfindungs-Ayurveda-Yoga-PilatesKurs, dem kostengünstigsten Schönheitschirurgen, kurz: nach sich selbst. Statt "Ich will so bleiben, wie ich bin" müsste es heute heißen: "Ich will so bleiben, wie ich war." Studien belegen: Fast jede Frau um die 40 hält sich für jünger, als sie ist. Doch wie ist sie denn?

"Die Frau um die 40 ist heutzutage soziologisch gesehen eine nie da gewesene Spezies, quasi eine Mutation", meint die 44-jährige Désirée Nick, der mit ihrem Buch "Gibt es ein Leben nach vierzig?" der Sprung in die Bestsellerlisten gelang. Die forty plus des Jahres 2005 wird nicht nur bei Nick, der "Dschungelqueen", als Karriere- und Powerfrau in der Mitte des Lebens beschrieben - frisch wie mit 20, konzentriert und motiviert wie mit 40 und abgeklärt wie mit 60. Zeitschriften, Bücher und Lebenshilfekurse, nicht zuletzt das Produktmarketing, das die "Frau 40 plus" als Zielgruppe entdeckt hat, lassen echte "Desperate Housewives" dies keine Sekunde lang vergessen.

Alles nur Illusion? Mitnichten.

Statistiker beschreiben die Bevölkerungspyramide des Jahres 2005 als "zerzauste Wettertanne". Lächerlich! Das Ding ähnelt mehr einer ollen Tante, bei der die demographische Masse, also die 40-Jährigen, auf Brusthöhe hängt. 40 Jahre weiter wird sich die Zahl der Über-80-Jährigen dank der Babyboomer-Jahrgänge verdreifacht haben, und diese bilden dann den Eierkopf einer zur derangierten Mumie verformten Bevölkerungspyramide. Einer Bevölkerungspyramide, die von den 30-60-90-Idealmaßen der Statistiker ebenso weit entfernt ist, wie die moderne Frau von den Traummaßen 90-60-90. Deren Abmessungen mit wachsender Androgynisierung eher gegen 75-75-75 tendieren.

Dabei geben sich Frauen alle Mühe, dem Barbie-Ideal zu entsprechen - ein Leben lang. Noch rund 40 Prozent der Frauen über 60 würden sich einer Forsa-Umfrage zufolge einer Schönheitsoperation unterziehen. Von den 30- bis 60-Jährigen wären dazu 67 Prozent bereit, in der Gruppe der unter-30-Jährigen sogar über 80 Prozent.

Mehr als 80 Prozent! Man stelle sich vor, wie viele Cher-Zombies in 40 Jahren herumlaufen werden. Und man kann nur hoffen, dass sie über ihre Liftings ebenso entspannt plaudern wie die amerikanische Sängerin. Diese soll ja auf die Frage, wie alt sie denn nun tatsächlich sei, mal zurückgefragt haben, ob damit die Quersumme der verschiedenen Einzel- oder das Alter der wenigen verbliebenen Originalteile gemeint sei. Cher wird, so man offiziellen Angaben glauben darf, kommendes Jahr 60.

So weit ist Sharon Stone noch lange nicht. Seit sie 40 ist, klagte die Schauspielerin, biete man ihr keine Rollen mehr an. Da beugt die 35-jährige Renée Zellweger lieber jetzt schon vor. Sie fühlt sich nicht als Twen oder Teenager, sondern als Girlie und sagte kürzlich, sie wolle einfach mal eine Zeit lang "als Mädchen" leben, um herauszufinden, wer sie als erwachsene Frau sei. 40 Plus-Punkte für die Bridget-Jones-Darstellerin, die den Minus-20-Faktor nicht nur verinnerlicht, sondern sogar um etliche Prozent gesteigert haben dürfte!

Wir werden nicht mehr älter, hat Claudius Seidl in seinem Buch "Schöne junge Welt" behauptet und damit vorrangig die Eigenwahrnehmung der 40-Jährigen beschrieben. Wer sich jünger sieht, als er ist, schätzt auch seine Altersgenossen als jünger ein. Wenn daher eine Mittvierzigerin im Film eine jugendliche Geliebte spielt, wirkt das auf einen 40-jährigen Betrachter wie die bildgewordene Erfüllung der eigenen Lebensmaxime: Forever young.

Die traditionellen H&M-Lebensbaupläne (Hausfrau und Mutter), denen eine 40-Jährige noch bis in die sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts verpflichtet war, gelten nicht mehr. Heute ist es keine Ausnahme, wenn sich 20-Jährige wie frühe Teenager aufführen, wenn 40-Jährige als Backpacker durch's Lonely-Planet-Universum trampen, 60-Jährige den dritten Frühling erleben und 80-Jährige dank Anti-Aging-Produkten wie rüstige Frührentner auftreten. Vieles davon trifft auch auf Männer zu. Doch deren Rollenkorsett war immer lockerer geschnürt, und ein Kind veränderte ihren Lebensplan nie so sehr wie den einer Frau.

Der spezifisch weibliche Weg durch dieses Generationen-Crossing stellt sich bei der forty plus des Jahres 2005 als geradezu himmlische Dreifaltigkeit dar. Sie kann Mädchen, Mutter oder Großmutter sein, und sie kann zwischen diesen Rollen wechseln: ein multiples Wesen. Wenn sie eine kinderlose Karrierefrau mit loser partnerschaftlicher Bindung ist, also ein typischer shink (single high income, no kids), dann schlägt sie sich die wenigen freien Abende und Wochenenden mit Freizeitvergnügen um die Ohren, lebt wie eine 20-Jährige. Und keine gesellschaftliche Sanktion kann sie zwingen, die Bevölkerungszahlen durch Nachwuchs anzuheben. Aus der "alten Jungfer" von einst ist längst die emanzipierte Frau geworden, die den Regeln des Patriarchats einen eigenen Lebensentwurf entgegensetzt, abseits der Mutterrolle. Diese kann sie, wenn sie alle Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin ausschöpft, auch noch mit 50 oder 60 Jahren übernehmen.

Andererseits werden heute ganz bewusst immer mehr Frauen um die 40 zu Erstgebärenden. Sie haben ihre Mädchen-Phase ausgekostet und gelten in der Mutterphase als abgeklärt und belastbar. Typischerweise ziehen sie sich nur kurz aus dem Berufsleben zurück und setzen ihre Multitasking-Fähigkeiten als Hausfrau, Mutter und berufstätige Frau voll ein. Gesamtgesellschaftlich gesehen sind sie das Non-plus-ultra. Sie heben die Geburtenrate, wirken der Überalterung entgegen und steigern das Bruttosozialprodukt gleich in mehrfacher Hinsicht: als Arbeitnehmerin und als Arbeitgeberin (für Tagesmutter und Putzfrau, denn wie sonst sollte sie wohl in diesem Wahnsinn überleben?). Dabei spielt es für ihren persönlichen Status kaum eine Rolle, ob sie in einer traditionellen Bindung oder einer Patchwork-Familie lebt. Und die Zahlen alleinerziehender Mütter deuten an: Sie kommt auch ganz gut ohne Partner aus.

Die dritte Vertreterin der himmlischen Dreifaltigkeit ist schließlich die 40-jährige Frau, die im Alter von etwa 20 Jahren Kinder bekommen hat. Sie macht nach traditionellen Musterbiographien zwar eine altersgemäße Erfahrung, nach den Lebensplanungen des 21. Jahrhunderts entspricht dieses Grandma-Feeling jedoch eher der Perspektive einer 60-Jährigen. Und davon fühlt sich die forty plus doch Lichtjahre entfernt! Selbst als biologische Großmutter kann sie problemlos noch einmal durchstarten und ihre, durch die Kinder eingeschränkte Jugendphase zwischen 20 und 30 auf allen Ebenen neu erleben. Durch die hohe Trennungsrate in dieser Altersgruppe sind die Single-Zahlen enorm gestiegen. Jeder fünfte bis sechste forty plus-Mann lebt allein; bei den Frauen sind es jede Zehnte bis Zwölfte. Es kann also in Sachen Beziehung von vorne losgehen. - Nur, warum pflegen dennoch so viele Frauen in diesem Alter das Alleinsein? Weil die Ansprüche so gestiegen sind, dass eine Affaire noch lange keine Beziehung macht? Weil Frauen (wie Männer) sich in ihrem Leben so eingerichtet haben, dass jeder feste Partner einer empfindlichen Gleichgewichtsstörung gleichkommt?

Wenn man Headhuntern und ihren Anzeigen oder auch Berichten beispielsweise in der Financial Times Glauben schenken darf, hat die Frau über 40 auch beruflich die besten Chancen. Danach schätzen viele Firmen generell die weiblichen "Soft Skills",besonders aber auch "Qualitäten wie Erfahrung, hohe Motivation und Bereitschaft zur Flexibilität" der "Best Agers" genannten Vierzigjährigen. Deshalb geben sie ihnen den Vorzug gegenüber den 20- bis 30-Jährigen, bei denen "ständiger Liebeskummer" oder eine "potenzielle Schwangerschaft" als Risikofaktoren gelten.

Wie auch immer die Biographie im einzelnen verläuft, die forty plus-Frau unserer Tage hat die Chance, die Erfahrungen von drei verschiedenen Generationen zu leben. Unter Umständen sogar zeitgleich. Weder Gesellschaft noch Biorhythmus zwingen sie in einen traditionellen Lebensabschnittsverlauf. Und auch wenn viele 40-jährige Frauen noch immer darin verharren, immer mehr trauen sich auszubrechen. Wir werden nicht mehr älter? Oh doch. Wir müssen es nur nicht mehr wahrhaben, weil wir ständig die Zeit zurückdrehen können. Die Drei-in-Eins-Frau verkörpert dieses Prinzip in höchstem Maße und kann deshalb großartig im "ich bin 40 und fühl mich jung"-Nirvana existieren.

© SZ v. 07./08.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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