Madonnas Neue:American Brei

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Madonnas neues Album "American Life" kommt über die Feststellung nicht hinaus, dass Gatte Guy Ritchie ein Segen für die Menschheit sei.

TOBIAS KNIEBE

Diesmal fühlt es sich seltsam an, anders als sonst. Der Bedeutungs- und Zeichenkomplex "Madonna" ist dabei, aktualisiert zu werden, aber das Wichtigste scheint irgendwie zu fehlen. Die Single "American Life" steht in den Läden und läuft im Radio, ab Dienstag wird auch das gleichnamige Album zu haben sein - aber dort, wo man das Zentrum vermutet, klafft eine riesige Lücke. Wie das passieren konnte, ist klar: Madonna hat das Video, das ihr Image auf den Stand der Gegenwart gebracht hätte, praktisch während der Veröffentlichung schon wieder zurückgezogen.

Sie ist nichts ohne ihre Bilder. Aber will man diese Bilder? Film-Still aus dem Video zu "Die Another Day" (Foto: SZ v. 17.04.2003)

Man hörte von Frauen im Military- Look, Che-Guevara-Rebellionsposen, verschleierten Arabermädchen, Zwischenschnitten auf Kriegsopfer und Handgranaten-Werfen mit George W. Bush (SZ vom 2. April) - aber gesehen hat die Welt praktisch nichts davon. Der wahre Effekt ist dennoch überraschend: Ein Madonna-Album ohne neue Madonna- Bilder hinterlässt eine frappierende Leere, die auch vom Rest des Popbetriebs nicht gefüllt werden kann. Da, wo sie vor kurzem noch war, klafft nun praktisch ein Krater, gefüllt mit Nichts.

Dass Madonna ein Gesamtkunstwerk aus Stil, Trend, Politik, Identitätsfindung und Rollenspiel ist, das nur zum geringsten Teil durch Musik definiert wird, war schon immer die große Binsenweisheit der Madonna-Diskurse. Dadurch, dass sie Stil, Trend, Politik und Geschlechterrollen kurzfristig aus der Gleichung gestrichen hat, steht diese Hypothese nun zur Prüfung an, und die Plattenfirma tut ein Übriges, um die Versuchsanordnung zu verschärfen: Wer das neue Werk hören wolle, müsse sich schon zur "Listening-Session" bequemen, hieß es - jedes Lied einmal, in einem schmucklosen Konferenzraum, und das war's. Normalerweise hört man Musik ja mit dem Gefühl, dass man sie später notfalls noch tausendmal hören kann. Hier aber ist man allein mit Madonna, genauer gesagt mit ihrer Stimme und ihren Beats, man hat nur diese Chance - und da wird dann einiges klar. Oder auch: gar nichts.

Recht schnell zeigt sich jedenfalls, dass Madonna nun ganz in den Bann ihres Produzenten Mirwais Ahmadzai geraten ist, entgegen landläufiger Meinung kein Franzose, sondern Schweizer wie DJ Bobo. Das könnte ihn in den Augen amerikanischer Popkonsumenten unverdächtiger machen, andererseits hat er afghanische Vorfahren, das ist wiederum nicht so gut. Mirwais macht sein Ding, das heißt: Er macht das, was er auch schon auf Madonnas "Music"-Album gemacht hat: Er jagt Madonnas Stimme ab und zu durch einen Vocoder, weshalb sie dann kurz elektronisch verzerrt klingt, und er sampelt sein Gitarrenspiel, damit er es anschließend digital zerhacken kann und so den stotternden, leicht asynchronen Sound erzeugt, der sein Markenzeichen geworden ist. Neu ist, dass er dasselbe auch mal mit einem ganzen Filmorchester versucht ("Easy Ride") und dass er die feinen elektronischen Störgeräusche, die er einzustreuen liebt, massiv verschärft.

Ein guter Indikator ist der bereits bekannte Bond-Song "Die Another Day", der sich auch auf dem Album befindet. Dort kommt, passend zur Optik des Videos, eine Art elektrisches Knistern und Brummen vor, das so klingt, als prüfe ein Folterknecht, ob genügend Strom auf seinen Elektroden liegt. Davon gibt es mehr: jede Menge statische Entladungen auf der Effektspur, und einmal meint man einen Zahnarztbohrer zu hören, der probeweise auf volle Drehzahl beschleunigt wird. Zurück bleibt trotzdem das Gefühl, das hier nichts wirklich Neues kommt. Das wird durch Madonnas Texte noch verschärft. In der Rap-Einlage von "American Life" kündigt sie an, sie werde "extreme Standpunkte" vertreten, koste es, was es wolle. Der extremste Standpunkt, den man dann zu hören kriegt, ist allerdings die Einschätzung, ihr Mann Guy Ritchie sei eine Segen für die Menschheit.

Andere Erkenntnisse handeln davon, dass Reichtum und Ruhm nicht wirklich glücklich machen, dass Egoismus nicht Gutes ist, dass "die Sonne auf dem Gesicht meiner Kinder" sich toll anfühlt und dass es sich bei Hollywood um eine Stadt handelt, die auf Illusionen gebaut ist. Ach nee, denkt man - und möchte sich nicht einmal ernsthaft mit der These befassen, hier blicke eine Amerikanerin in London skeptisch zurück auf das eigene Land. Statt dessen wird man erneut von der irrationalen Sehnsucht nach Madonna-Bildern überfallen. Die Videos, die sie mit David Fincher, Jean-Baptiste Mondino, Jonas Akerlund oder Phillip Stoelzl gemacht hat, waren stets tausendmal intelligenter als ihre Texte, öffentlichen Statements, Melodien und - Gott bewahre - ihre Ausflüge ins Filmgeschäft. So bleibt das Gefühl, das neue Video hätte vielleicht alles erklärt, genial auf den Punkt gebracht und eine gültige Madonna für die nächsten Monate geschaffen. Es wird ein Gefühl bleiben.

Vielleicht geht das Problem aber auch tiefer. Eine weitere Binsenweisheit der Madonna-Diskurse ist, dass sie sich mit genialem Trendgespür die jeweils aktuellen Entwicklungen der Clubszene einverleibt, um auf der Höhe ihres Spiels zu bleiben. Insofern ist es natürlich schlecht, jetzt wieder mit dem bekannten Mirwais-Sounds zu kommen. Andererseits: Was hätte sie sich bitteschön einverleiben sollen? Eine spannende Entwicklung in der Clubszene ist im Moment jedenfalls noch nicht sichtbar, und man kann Madonna keineswegs vorwerfen, sie habe einen wichtigen Trend verschlafen. Eher spiegelt sie das Popgeschehen im Ganzen, und wenn dort nichts vorangeht, passiert auch bei ihr eben wenig.

"American Life" ist demnach eine Art Zwischenstopp, um die Stellung zu halten, für den nächsten Angriff gerüstet zu sein. Wird dieser Angriff noch kommen - von einer Ikone, die immerhin schon 44 ist? Auf jeden Fall. Wenn Madonna davon erzählt, dass sie zufriedener geworden ist, nicht mehr Nummer Eins sein muss, andere Freuden im Leben gefunden hat - dann glaubt man ihr noch immer kein Wort. Man muss nur mal versuchen, sich illegal einen ihrer neuen Songs aus dem Netz zu laden. Man wird Lieder finden, die den richtigen Titel tragen - aber wenn man sie dann abspielt, hört man Madonna, die sehr böse ist. "What the fuck do you think you're doing?" flucht sie in die Stille hinein - und ist wieder ganz die Madonna, die wir wirklich lieben: Eine Frau, die viel gesehen und absolut nichts zu verschenken hat.

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