Luxus als Religion:Gott will, dass du reich wirst

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Das Evangelium nach Creflo Dollar oder das Champagnerbad als Beichte: Amerikas schwarze Fernsehprediger erklären die Prahlerei und den Luxuskult des HipHop zur Religion.

JONATHAN FISCHER

Wie lässt sich die ideologische Krise der afroamerikanischen Kirche erklären? Vielleicht am besten mit Hilfe eines Taschentuchs. Kein gewöhnliches Taschentuch, um sich bei Gospelgottesdiensten Schweiß und Tränen aus dem Gesicht zu wischen, sondern: Das "Bible Red Blood Of Jesus Handkerchief". Wer es eine Nacht auf den Geldbeutel legt, dann im beigefügten Fragebogen eine Summe einträgt, die er (bitte ankreuzen!) zum Möbelkauf, zur Schuldenrückzahlung, für ein neues Auto oder Haus braucht und das ausgefüllte Formular mit dem "größtmöglichen Scheck" an einen Prediger namens Kerney Thomas zurückschickt, dem winkt göttlicher Gewinn. Sagt der schwarze Reverend und lächelt über den Rand seiner Designerbrille.

Nicht ganz zufällig begegnet uns der Taschentuchverkäufer auf dem Musikvideosender BET. Der auf schwarze Pop-Videos spezialisierte MTV-Konkurrent bietet zwischen rhythmisch zuckenden Frauenpos und goldzahnigen Rappern neuerdings auch religiöse Erbauung: "BET Inspiration" heißt der Sendeblock.

Jetzt könnte man spotten, dass jeder Fernsehsender auch nur die Prediger hat, die er verdient. Dass Thomas doch nur einer von Dutzenden religiös verbrämter Postschecksammler ist, die Amerika seit jeher per Bildschirm heimsuchen. Sein "Bible Red Blood Of Jesus Handkerchief" aber passt hervorragend zu den Werten, die der schwarze Gospel neuerdings immer lauter proklamiert: Jeder ist seines Glückes Schmied. Je mehr du gibst, umso mehr wird dir gegeben. So lauten die Mantras der Prosperitäts-Theologie. Oder, wie Reverend Ike in den Siebzigern predigte: "Das Beste, das ihr für die Armen tun könnt, ist nicht zu ihnen zu gehören".

Lifestyle und Religion gehen neuerdings Hand in Hand: Kanye Wests Rap-Hit "Jesus Walks" machte letztes Jahr den Anfang. Seitdem gelten religiöse Bekenntnisse nicht mehr als Verkaufshindernis. HipHop-Fans tragen T-Shirts mit Aufschriften wie "Jesus Is My Homeboy" oder "Saved Girls Rock". P. Diddy und LL Cool J haben Plattenfirmen für Gospelmusik gegründet, Hardcore-Rapper DMX spricht davon, sein Hundehalsband demnächst gegen ein Predigerbäffchen einzutauschen. Und sogar traditionelle Gospelalben erklimmen neuerdings die Top Ten. Ausblühungen einer neuerwachten Religiösität? Oder doch nur ein Zeichen der moralischen Krise, die die afroamerikanischen Kirchen plagt?

"Gerade junge, männliche Afroamerikaner haben den Kontakt zu den Kirchen verloren", konstatiert Anthony Pinn, ein Professor für religiöse Studien an der Rice University in Houston. "Sie wissen auch kaum noch etwas über deren Verbindung zur Bürgerrechtsbewegung.". Stattdessen würden neue so genannte "Mega Churches" mit Versprechen von Reichtum und Sorgenfreiheit die Frustrationen der entfremdeten Inner-City-Jugend ansprechen.

Ein Fernsehprediger aus Atlanta gilt als Wegbereiter der Ehe von Pop-Glamour und Gospel: Dr. Creflo Dollar. Auch er hat seine regelmäßigen Auftritte bei BET. Doch über das Verschicken gesegneter Taschentücher ist der Mann mit dem klingenden Nachnamen längst hinaus. Dollar steht der World Changers Church mit 24 000 Mitgliedern vor, fährt zwei Rolls Royce, fliegt auf seinen Vortragsreisen im privaten Learjet und bewohnt ein millionenschweres Anwesen in Atlanta.

Darüber hinaus wird er als eine Art HipHop-Ikone verehrt. So taucht er etwa im Musikvideo "Welcome To Atlanta" von Jermaine Dupri und Ludacris auf - oder veranlasste den Gangsterrapper 50 Cent dazu "Creflo Dollar" auf "pop my collar" zu reimen.

Offensichtlich trifft der Mann den Nerv der Generation HipHop: Und das nicht nur wegen der Überzeugungskraft, mit der Dollar in seinem 8000 Gläubige fassenden Kirchenpalast am Stadtrand von Atlanta den vom Heiligen Geist ergriffenen Finanzapostel gibt.

Das Evangelium des Dr. Creflo Dollar lässt sich in zwei Kernaussagen zusammenfassen. Erstens: Gott will, dass ihr reich seid. Zweitens: Nur wer gibt, kann auch empfangen. In seine Fernsehpredigten streut Dollar eine Reihe vager und aus dem Zusammenhang gerissener Bibelzitate, die alle irgendwie mit Säen und Ernten, Verdunstung und Regen - als Metaphern für Geldspenden und den darauffolgenden göttlichen Segnungen - zu tun haben.

Anders als andere Fernsehprediger, die Angst haben, sich bei einer Sünde ertappt zu fühlen, stellt Dollar seinen Reichtum offen zur Schau: "Ich kann nicht über Wohlstand predigen, wenn ich nicht demonstrieren kann, dass dieses Prinzip in meinem eigenen Leben funktioniert." Erfolg macht glaubwürdig. Und ist einer, dessen Botschaften weltweit auf 456 Fernsehstationen zu hören sind, nicht allemal gesegneter als der durchschnittliche Nebenberufsprediger der schwarzen Kirche um die Ecke?

"Confession brings possession". Als göttlich erwählter Katalysator hilft Dollar der Verdunstung nicht nur mit einem Bücher- und Video-Versand nach. Kirchenmitglieder verpflichten sich auch zur Vorlage von Steuerbescheiden und daraus errechneten Mindest-"Spenden". Dass R'n'B-Stars wie auch Boxerlegende Evander Holyfield hier Millionen lassen, ist ein offenes Geheimnis. Doch die Vielzahl der mit ärmlichen, verbeulten Autos oder gar öffentlichen Bussen angereisten Besucher von Creflo Dollars Gottesdiensten spricht dafür, dass seine Prosperitäts-Theologie längst bei der Unterschicht angelangt ist. Vielleicht sind sie darauf stolz, dass es einer aus ihrer Mitte, ein Afroamerikaner, ein Christ und ein Südstaatler geschafft hat. Zieht man aber den Umkehrschluss, dann verflucht Dollars Kirche die Armen: Der Teufel steckt nicht in der Liebe zum Geld - sondern, um einen zeitgenössischen Gospelsong von Ricky Dillard zu zitieren: "The devil's on your bank account".

Die Erfolgsgeschichte von Dollar und anderen Prosperity-Predigern in Dallas, Chicago und Los Angeles fing in der Reagan-Ära an, in den neunziger Jahren wuchsen ihre Gemeinden zu Mega-Churches heran und drohen heute der hart erkämpften politischen Reputation der afroamerikanischen Kirchen zu schaden. Gospel, Soul und Sozialkritik: In den sechziger und siebziger Jahren schienen sie noch untrennbar verbunden.

"Der Gott der Gospelmusik", schrieb die afroamerikanische Journalistin Carol Cooper damals, "ist weder eine Krücke, noch ein Opiat, sondern eine Geheimwaffe". Die Kirche fungierte als Kaderschmiede schwarzer Führer wie Martin Luther King, Malcolm X oder Jesse Jackson. Schwarze Kirchengemeinden bildeten das Rückgrat der Bürgerrechtsbewegung. Sie waren die einzigen von den Afroamerikanern selbst kontrollierten Institutionen, sorgten sich um Wählerregistrierungen und betrieben ein Netzwerk von Versicherungen, Arbeitsagenturen und Banken. Das Geschäft diente dem politischen Fortschritt. Heute scheint es zum Selbstzweck geworden zu sein. Die Freiheit, so predigen die Adepten der Prosperitätstheologie in jedem zweiten R'n'B-Video, fängt beim eigenen Penthouse mit Jacuzzi-Bad an. Und die Kirchenchöre singen ihr Amen.

Sollte Jesus demnächst in einem HipHop-Video als schwarzer Tycoon auftauchen, dann haben Reverend Dollars Pop-Schützlinge ganze Arbeit geleistet. Allen voran Mase, einer, der den Prediger aus Atlanta seinen "spirituellen Vater" nennt. Der einst für platten Party-Hedonismus bekannte Multi-Platin-Rapper leitet inzwischen als Reverend Mason Betha eine eigene Kirchengemeinde. Er sei seiner Rolle im HipHop geistig nicht gewachsen gewesen, erklärt er seinen vor fünf Jahren vollzogenen Wechsel. Auf seiner neuen Platte "Welcome Back" wird folglich gelobt statt geflucht und auch einmal die Keuschheit gepriesen. Ansonsten aber hat sich im Vergleich zum Debut "Harlem World" wenig geändert. Mase posiert in gewohntem Outfit. Den teuren Schmuck, sagt er, behält er an: "Ich will Vorbild sein. Ist doch gut, wenn mich die Kids mit all den Diamanten sehen und wissen, ich musste für diesen Lebensstil niemanden bedrohen. Bisher dachten sie, nur Gangsta könnten sich das leisten".

Viele Kirchen bieten statt der traditionellen Foren für schwarze Politiker neuerdings Seminare über Spenden und Finanz-Management an. "Sie stellen", sagt Frederick Harris, Politikwissenschaftler an der Universität von Rochester, New York, "den Erfolg des Individuums vor den der Gemeinschaft. Das ist eine komplette Umkehrung der Mission der schwarzen Kirche während der Sklaverei, der Rekonstruktion und der Bürgerrechtsbewegung." Ganz abgesehen von der biblischen Fragwürdigkeit der Prosperitätstheologie. Einen grundsätzlichen Nachteil aber haben die Prediger eines unbequemen Christentums: Sie verfügen weder über Learjets noch Fernsehstationen, und ihre Bücher werden niemals die Reichweite eines R'n'B-Videos haben. Wer möchte heute noch die Ermahnung des schwarzen Methodisten-Bischofs Alfred Johnson hören, "dass Gott durch unser Leiden wirkt - nicht um darin zu verharren, sondern um wach zu bleiben für die Leiden der ganzen Welt"?

Der linke afroamerikanische Kulturkritiker Cornel West hatte schon vor zehn Jahren die vom HipHop transportierte Marktideologie als "vernichtenden Einfluss" auf das schwarze Alltagsleben gegeißelt. Er spricht von einem "gejagten und gehassten Volk", zu dessen wertvollsten Besitztümern ein "subversives Gedächtnis, persönliche Integrität und Selbstrespekt" gehörten: "Wenn wir nun einem historischen Gedächtnisverlust und materialistischen Obsessionen erliegen, wird daraus schwarzer Nihilismus und kollektiver Selbstmord folgen".

Kanye West hat diese Wahrheit unlängst in HipHop-Sprache übersetzt. In seinem Hit "All Falls Down" fasst er das ganze Panoptikum an Sex-, Luxus- und Ruhmphantasien in einen lakonischen Nebensatz zusammen: "things to cover up what's missing inside".

Das "Bible Red Blood Of Jesus Handkerchief" aber wird weiter seine Abnehmer finden. Solange bis der Gott, der Champagnerbäder und Stretchlimousinen gemacht hat, seine Losnummern offen legt.

© SZ v. 04.06.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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