Literatur:Der letzte Cowboy

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Hunter S. Thompson, der Erfinder des Gonzo-Journalismus, hat sich erschossen.

WILLI WINKLER

Kein richtiger Journalist gibt zu früh ab. Denn Schreiben ist doch eine schöne Kunst und keine schöner, als unmittelbar beim Andruck der Fernausgabe in der letzten Zeile anzukommen, leer der Kopf und alles Herzblut hingeschüttet aufs Papier. Das ist Kunst, sagte der kleine Bär.

Größer noch die Kunst, gar nicht erst zu schreiben. Zwar verbindet den Journalisten mit dem Pfarrer, dass er über alles und vor allem über fünf Minuten reden kann. Aber manchmal ist das schon alles, manchmal muss es mehr gar nicht sein. Hunter S. Thompson - so geht jedenfalls die Sage - konnte nicht schreiben. Es ging einfach nicht. Alles war aufgeschrieben, notiert, niedergelegt, zusammengetragen, fertig eigentlich, aber es war nicht geschrieben, und er konnte es auch nicht mehr. Er hatte keine Geschichte. Der Chefredakteur drohte, der Andrucktermin ließ sich nicht mehr länger verschieben, die Zeitung musste fertig werden, egal wie.

Und der Autor, der nicht schreiben konnte (der nicht schreiben konnte -- versteht Ihr?!), drückte dem wartenden Boten seine Notizzettel in die Hand und wartete vor dem Fernseher auf den Anruf, mit dem er entlassen würde. Der Chef, er rief tatsächlich an und beglückwünschte seinen Autor. Der Chef (ah, was für ein Chef!) druckte die Notizen, und der "Gonzo"-Stil (was immer Pidgin-Spanisches das besagen mochte) war geboren.

Diese Geschichte steht in jeder Geschichte über Hunter S. Thompson, und sie ist mit Sicherheit erfunden. Es gibt sie -- doch, liebe Gonzoniacs, prüft es ruhig nach! -- wörtlich mindestens noch einmal. Beim Kollegen Tom Wolfe. Auch der hatte Schreibschwierigkeiten, gab seine Zettel ab und war fortan berühmt.

Der neue Journalist. Der neue Stil. Tom Wolfe. Hunter S. Thompson. Da lacht der Laie, und der Journalistenschüler wäre gerne einmal so richtig "Gonzo".

Nirgendwo war der ehemalige Sportjournalist Hunter Stockton Thompson beliebter als in Deutschland, wo Harald Juhnke als Lebenskünstler gilt und der Strafzettelsammler Martin Semmelrogge als Inbegriff exzessiven Lebens. Thompson hatte wenig Geduld für solche kleinen Angebereien und ließ sich gleich mit den Hell's Angels ein, die ihn wahrscheinlich nur am Leben ließen, weil er ihnen als Maskottchen so gut gefiel.

Die Welt dieser kleinen Motorradfaschos kannte bis dahin keiner, aber Thompson zwang seine Leser, genau hinzuschauen. Das war Amerika (und nicht der pinkfarbige Petticoat, in dem die Süße am Samstag Abend in Daddys Wagen auf den Beifahrersitz rutschte).

Beim Kentucky Derby, das, wie der Reporter mit interesselosem Wohlbehagen notiert, "dekadent und verkommen" ist, lernt Thompson an der Bar einen typischen Kentucky-Derby-Trinker kennen, der nichts vom Krieg in Vietnam wissen will und schon gar nichts weiß von den vier unbewaffneten Studenten, die die Nationalgarde gerade auf dem Campus der Kent State University erschossen hat. Der heute zum Visionär hochgefeierte Ronald Reagan, damals Gouverneur von Kalifornien, nannte das einen "berechtigten Totschlag".

Für den Apokalyptiker Thompson hatte spätestens 1963 der amerikanische Alptraum begonnen. Seit dem Tag, als Lee Harvey Oswald oder wer immer den jungen Präsidenten erschoss, war für ihn klar, dass die Polizei im Verein mit der Armee alles zusammenschießt, was Amerika ausmacht.

Drum erzählt der Reporter dem Derby-Besucher, dass die Black Panthers vorhaben, das Derby zu stören. Die Panthers! Die Nigger! Die Revolution! Der gute Mann ist begreiflicherweise völlig durcheinander von der Aussicht, dass dann die Nationalgarde einmarschiert und zu schießen anfängt, aber, wie "Gonzo" so völlig zeitgenössisch bemerkt: "Jeder, der mit dem Satz herumläuft 'Ja, ich bin aus Texas', hat es nicht besser verdient."

Bei Thompson erblühte Amerika, das verträumte Eisenhower-Amerika aufs Neue als barocke Wahnvorstellung. Mitten hinein in dieses Endzeit-Gemälde malte er selbstverständlich sich selber, den Reporter, der alles auf sich nimmt, was er so leidenschaftlich und hasserfüllt abschildert.

Aber so geht die Welt: Der eine trägt cremefarbene Anzüge spazieren und schreibt darin steindumme Romane wie zuletzt "I Was Charlotte Simmons", die, weil sie so steindumm und auch noch reaktionär wie ein ganzer Spiegel-Jahrgang sind, vom Präsidenten gelesen und weiterempfohlen werden. Der andere schreibt nichts mehr, schreibt nichts mehr und schreibt dann gar nichts mehr.

Hunter S. Thompson hätte auf präsidentielle Referenzen aber schon gar keinen Wert gelegt, er war, wie er sich gern rühmte, "der einzige Journalist, der Richard Nixon mit Adolf Hitler verglichen" hat. Er bedachte Bill Clinton mit nur unwesentlich freundlicheren Worten, und was er zum aktuellen Modell gesagt hätte, wenn es ihn denn interessiert hätte, kann man sich so ungefähr denken.

Niemand hat so beharrlich und so siegesgewiss den steinigen Weg der Politikverachtung beschritten. Ein Weg, der schnurstracks in die ewige Seligkeit führt.

Schon wahr, Johnny Depp sah in der Verfilmung von "Furcht und Schrecken in Las Vegas" mit dieser Spiegelbrille und dem Cowboyhut unsagbar bescheuert aus. Am Ende bewies er aber doch, dass Thompson ein Märtyrer für die Sache war, dass er sich zum heiligen Narren machte, um, ja, um der Wahrheit willen (oder um Richard Nixon mit Adolf Hitler zu vergleichen).

Thompson war ein Schwindler und Betrüger, ein Aufschneider und Story-Erfinder (siehe die Legende, wie er seinen Stil erfand), aber er brachte immer die wildeste, die schnellste, die unheimlichste Geschichte zurück und, Wunder über Wunder, fand immer jemanden, der sie ihm druckte. Amerika ist schließlich groß, und Hunter S. Thompson war in den sechziger und siebziger Jahren sein Prophet.

Am Sonntag hat sich der Säufer, Junkie, Waffennarr und letzte Cowboy Hunter S. Thompson in Woody Creek in Colorado wie sein großes Vorbild Ernest Hemingway den Kopf weggeschossen. 65 oder vielleicht auch 67 war er, ein großer Journalist, aber vor allem ein unerreichtes Vorbild.

Gentlemen, Ihre Gläser!

© SZ vom 22.2.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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