Linke Literatur:Was liest die Linkspartei?

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Jede politische Bewegung braucht Lesestoff. Doch die Stars unter den linken Autoren lassen ihre zugkräftigen Werke zu gerne vom "Klassenfeind" publizieren. Ein Blick in die Programme der linken Verlage in Deutschland.

Volker Breidecker

Es gibt sie noch, die linken Verlage. Zur Messezeit rückt zusammen, was nicht unbedingt zusammengehört, auch wenn der junge "Blumenbar" Verlag dieser Tage in Leipzig in seine "temporäre Verlagskommune" einlädt - zum Frühstück mit dem Altkommunarden Rainer Langhans. Doch nicht bloß zweimal, wie es die von den Linken einst sogenannten "bürgerlichen Verlage" zu tun pflegen, sondern jährlich gleich dreimal finden Deutschlands linke Verlage zusammen: Denn neben der Frankfurter und Leipziger Buchmesse gibt es seit 1996 in Nürnberg auch eine "Linke Literaturmesse".

Von der Frankfurter Edition AV, deren Abkürzung einen "Anarchistischen Verlag" birgt, bis zum Hamburger VSA, der für einen "Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung" steht, dereinst spezialisiert auf die Publikation seminarmarxistischer Studien des SEW(= Sozialistische Einheitspartei Westberlins)-nahen "Projekts Klassenanalyse" an der Freien Universität.

Zwischen AV und VSA begegnet man im linken Verlagsmilieu aber auch so illustren und putzigen Namen wie "aLife" - Abkürzung für "Assoziation linker Verlage, Aschaffenburg" -"Schmetterling", "Unrast", "Aurora", "Nautilus", "Schwarze Risse", "Ca-ira", "PapyRossa" und "Seitenhieb".

Während solche Namen neben der Kleinheit und ökonomischen Armut zumeist auch die Unabhängigkeit des jeweiligen Verlags von politischen Parteien und Verbänden verbürgen, gilt dies nicht für die Verlage von Zeitungen und Zeitschriften wie Marxistische Blätter, Unsere Zeit, Junge Welt, Neues Deutschland, Arbeiterstimme und Rote Fahne. Sie sind Relikte und Nachfolger der Sprachrohre von DKP und SED sowie einstiger "K-Gruppen" und marxistisch-leninistischer Sekten aus dem Westen.

Und dann sind da noch die Nachfolgeverlage aus dem Staats- und Parteibesitz der ehemaligen DDR, wie sie - wenn sie unterdessen keine unabhängigen und politisch abstinenten Wege genommen haben - unter Namen wie "Edition Ost", "Das Neue Berlin", "Neues Leben" vor allem in der Berliner Verlagsgruppe "Eulenspiegel" zusammengefasst sind.

Unvereinbare Traditionen

Ihr linkes Selbstverständnis und Programmbewusstsein bekräftigen auch sie mit der alljährlichen Präsenz auf der Nürnberger Messe, wo sie die Nähe zu befreundeten Westverlagen aus der Ära vor dem Mauerfall wie "Pahl-Rugenstein", "VSA" und dem "Hamburger Konkret Literatur Verlag" suchen. Pech für linke Verlage ist nur, dass prominente linke Autoren ihre Bücher doch lieber beim zahlungskräftigeren Klassenfeind unterbringen: So wurde die Eröffnungsveranstaltung der letzten Nürnberger Linken Literaturmesse im Dezember 2007 von Jutta Ditfurth bestritten, die aus ihrer Biographie über Ulrike Meinhof las - erschienen bei "Ullstein", dem früher noch der Ruf eines "rechten" Verlags anhaftete.

Trotz aller Überlappungen und Annäherungsversuche fußt die geistige oder auch nur beherzte Verbundenheit mit einer wie auch immer gearteten Linken in Deutschlands Osten und Westen doch auf nach wie vor getrennten, eigentlich unvereinbaren Traditionen.

Genauer gesagt, gab es in der ehemaligen DDR überhaupt keine Linke und auch keine linke Traditionsbildung, weil solches gleichbedeutend mit Abweichlertum war - oder wie es der DDR-Flüchtling Rudi Dutschke einmal ausdrückte: "Man konnte in der DDR alles sein, nur nicht links." Die heutige Linkspartei hat es wohl auch deshalb so bitter nötig, mit ihrem Namen ein diffuses Bedürfnis zu beschwören, weil ihr keine wirklich vorhandene linke Bewegung gegenübersteht, nicht im Osten und auch nicht im Westen.

In Deutschlands Westen waren die zahllosen linken Verlagsgründungen in den Jahren nach 1968 die unmittelbare Auswirkung nicht nur einer wirklichen Bewegung, sondern auch einer permanenten - vom Frühstück am WG-Tisch über die Demo bis zur nächtlichen Geschlechterdebatte - Erregungs- und Mobilisierungsbereitschaft, die sich auf alle Teile des Alltagslebens ausdehnte.

So trug der mit seinen historisch-kritischen Klassikerausgaben heute glänzende "Frankfurter Stroemfeld Verlag" des Verlegers und vormaligen Bundesvorsitzenden des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds, K.D. Wolff, noch vor wenigen Jahren den Beinamen "Roter Stern". Denn hervorgegangen war dieser Verlag aus einer gleichnamigen, nach der Zersplitterung des SDS von Wolff im Jahr 1970 gegründeten militanten Jugendorganisation, die sich am Vorbild der "Black Panthers" orientierte.

Und so sehr K.D. Wolff heute noch zu seiner linken Vergangenheit steht, macht er längst kein linkes und gesellschaftskritisches Verlagsprogramm mehr. Ähnlich sind die Ursprünge der Münchner Verlegerin Antje Kunstmann, deren Haus heute zu den erfolgreichsten unabhängigen Publikumsverlagen in Deutschland zählt. Solche linken Verlage, die dem stressbefördernden Bewegungstrieb auf Dauer folgten, sind längst untergegangen oder führen nur noch eine Schattenexistenz.

So sieht es der Hamburger libertär-anarchistisch gesinnte Verleger Lutz Schulenburg, der nicht nur als Hanseat, sondern auch als Herausgeber der Werke von Franz Jung - des Autors des Romans vom "Torpedokäfer" - in nautischen Dingen erfahren ist: Mit seiner "Edition Nautilus" hat er in bald vier Jahrzehnten zwar - wie er heute sagt - "alle Tiefen durchgemacht", seinen Büchern aber ein unverwechselbares Profil gegeben, das sich sehen lassen kann: "Flexibel in der Taktik", transportiert das "U-Boot Nautilus" ein "offenes Programm" - darunter Künstlerbücher, die den Traditionen des Expressionismus und Dadaismus, des Surrealismus und Situationismus verpflichtet sind -, das dennoch "orthodox" im Festhalten an der Utopie einer "freien Gesellschaft" ist und widerständig im Anfahren "gegen die Hauptströmungen" auch des Verlagswesens. Seinen Bestseller hat der Verlag freilich mit Andrea Maria Schenkels Krimi "Tannöd" gelandet.

"Wer machte die DDR platt?"

Im Sog der Hauptströmungen schwimmt aber längst auch die große Flotte linker Verlage der Ex-DDR, wie ein Blick in die Liste der Neuerscheinungen der Verlagsgruppe "Eulenspiegel" zeigt: Bei "Eulenspiegel" selbst geht neben hausbacken Humoristischem wie "Grüß den Brecht" und "Grüß Gott! Da bin ich wieder! Karl Marx in der Karikatur" der Renner "Mein Trabi und ich" mit hoher Auflage an den Start.

Der absolute Spitzentitel aber, für den das Verlagshaus sogar Bild zum Geschäftspartner gewonnen hat, ist der Großband "Sommer, Sonne, Nackedeis. FKK in der DDR". Dass man auf dem protestantisch-preußischen Weg zum Sozialismus so manche Wurzeln geschlagen hat, beweist die Hörbuchreihe "Ohreule" mit Anekdotensammlungen über Sachsens Luther und Preußens Luise neben solchen über Brecht und den Großen Friedrich.

Als unschlagbar in puncto DDR-Nostalgie präsentiert sich in diesem Frühjahr der Verlag "Das Neue Berlin" mit dem schon im Voraus zum Bestseller hochgefeierten Enthüllungsbuch "Die Kampfschwimmer der Volksmarine", auch wenn das Buch einem plakativen Augenfänger des Prospekts zufolge erst im Mai 2008 erscheint: zum "50. Jahrestag der Einheit", wie es heißt - welcher Einheit? Ach so, des Kampfverbands! Kämpferisch geht's auch im Frühjahrsprogramm der "Edition Ost" zu, deren Spitzentitel "Die Liquidatoren. Der Reichskommissar und das wiedergewonnene Vaterland" endlich und unter "Enthüllung deutscher Traditionslinien" die Frage beantwortet: "Wer machte die DDR platt?".

Mit seiner "Roten Reihe" präsentiert dieser Verlag eine Sorte militanter Erinnerungsliteratur, wie sie in den fünfziger Jahren auch im Westen florierte. Immerhin grenzt man sich aber nicht mehr ganz so heftig wie ehedem gegen die Genossen aus anderen linken Lagern ab. In der "Reihe Polemik" der Edition Ost können die Stalinistin Sahra Wagenknecht und die Trotzkistin Lucy Redler ("Was will die Rote Lucy"?) nebeneinanderstehen, ohne dass die eine die andere mit dem Eispickel traktieren würde.

Was Luther & Louise im Osten, das sind Rainer & Uschi im Westen, in dessen linke Verlage ebenfalls längst der Biedermeier Einzug gehalten hat: Je älter die Verlage, um so stolzer die Backlist, die zumeist besser und traditionsbewusster als unter den heutigen Nachfolgern vormals "bürgerlicher Verlage" gepflegt wird.

Mit dem ewigen Che Guevara und dem neuen Hoffnungsträger Hugo Chávez werden allenthalben die zumal reisetauglichen Steckenpferde des "Terzomondismo" - der Verpflichtung auf eine siegreiche Dritte Welt - geritten, und noch immer breitet "Spaniens Himmel" seine Sterne aus. Neben einem intellektuell und wissenschaftlich durchaus anspruchsvollen Programm bedient der Kölner Verlag "PapyRossa" das altbackene feministische Lager mit dem seit 1978 erscheinenden Taschenkalender "Wir Frauen" und den schrägeren Nachwuchs mit dem sexy Pendant "Bad Women".

Und weil das "Leben mit Kindern" ideologisch eher neutral ist, kann "PapyRossa" in dem zugehörigen Programmsegment auch nichts anderes als alle anderen bieten, nämlich das Buch "Immer Ärger mit den Kids". Selig die Zeiten, als die Linken noch Ärger machten.

© SZ vom 14.3.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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