Lieblingsaufnahmen:Das klinget so herrlich

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Zwar ist das Mozart-Jahr erst 2006, doch bereits jetzt sind Plattenfirmen, Verlage, Opernhäuser, Zeitungen und Musiker kräftig dabei, Mozart, den Unverwüstlichen, zu bejubeln. Und die Kritiker? Die denken ganz nostalgisch an die schönsten Momente, die sie zusammen mit dem rotzig- frechen, erotisch überkanditelten und mit zunehmenden Alter immer komplizierter werdenden Wahl-Wiener verbracht haben. SZ-Kritiker schwärmen von ihren liebsten Mozart-Aufnahmen.

Wiener Espressivo

Es war ein großes, schicksalhaftes Glück, dass der Schallplatten-Produzent und Orchestergründer Walter Legge so früh überzeugt war von Dinu Lipattis Genialität - und dass er den mit 33 Jahren sterbenden Pianisten noch im Todesjahr (1950) dazu brachte, zahlreiche, überwältigende, ja vollendete Einspielungen in ewige Sicherheit zu bringen. Lipattis Interpretation der Mozartschen a-Moll Sonate ist ein Wunder geworden.

Es mag bei einem solchen Mirakel fast despektierlich klingen, vom "Können" des Künstlers zu reden: aber das atmende Gleichmaß, die Fülle der nie sich vordrängenden Nuancen, die schöpferische "Freiheit" von Lipattis Mozart-Spiel hat auch mit manueller Vollendung zu tun: Der "konnte" doch noch viel mehr als selbst seine bewundernde Freundin Clara Haskil, als der poetische Wilhelm Kempff, oder gar als der bei diesem Mozart falsch barockisierende Glenn Gould.

Begreift man, wie Lipatti den finster-stolzen Allegro maestoso-Kopfsatz meistert, dann fasziniert das unaufdringliche, sprechende Wiener Espressivo, das die Passagen gliedert und beseelt. In den dissonanten Akkorden des 7. und 8. Taktes scheint schmerzliche Sehnsucht mitzuschwingen, die man vielleicht nur mitfühlt, weil sie sich kaum dingfest machen lässt. Während des Andantes überwältigen Aufrichtigkeit und Reinheit, Anmut und melodische Fülle. Wie aber Lipatti im Presto-Finale trostlos untröstliches, depressives Kreisen gestaltet, wie er vorführt, daß der A-Dur Mittelteil nurmehr die Kraft zum "uneigentlichen", erschöpften Dur aufzubringen vermag - alles das steigert die Interpretation zum heillosen Mysterium (Emi). JOACHIM KAISER

Toscanini wütet bei Haffners

Er war nicht "Mozart-Dirigent" - den Titel teilten sich der seelenvolle Deutsche Bruno Walter und der sarkastische Brite Thomas Beecham -, und doch hat Arturo Toscanini eine merkwürdige, ja bizarre Mozart-Stern- und Lernstunde hinterlassen: Am 2.November 1946 probte er mit dem NBC Symphony Orchestra in New York die Haffner-Symphonie - der Sender schnitt diese Proben mit vom strengen Maestro, der 79 Jahre alt und eine lebende Legende war.

Toscanini fühlte sich dieser strahlend-festlichen Symphonie nahe, dirigierte sie oft. Die Probe macht die Nähe fassbar durch die liebevoll-vehemente Intensität, das Vorsingen, -brummen und -jaulen der Motive und Themen, das Schreien und Toben, all die bei Zuwiderhandlung wütenden Ausbrüche, die den verschreckten Musikern Zucht beibringen wollten. "Via, via!" und "Arco, arco!" oder "Voce, voce!", oft mit dem "Dio Santo!" versehen - Toscaninis um Gehorsam, um "richtiges" Musizieren buhlendes Fordern und Flehen bediente sich einer festen, bereits krächzenden oder berstenden Stimme.

Entscheidend, berückend seine auf musikalische Deutlichkeit abzielenden Vorstellungen, die Präsenz von melodischem Charme und rhythmischer Stabilität, von sinnreicher Artikulation der Streicher und Holzbläser, die federnde Klangbalance des Ensembles. Wie Toscanini bei den Musikern um Brillanz und Schönheit anhielt, gegen Trägheit und Unwillen ankämpfte: ein Ereignis. Kunst als harte Arbeit (Naxos). WOLFGANG SCHREIBER

Irritierend tröstlich

Bruno Weil versucht in Mozarts Requiem gar nicht, die oft bleierne Schwere und düstere Tragik großer Aufnahmen zu imitieren, wie sie sich vielleicht exemplarisch in der späten Solti-Einspielung niederschlägt. Weil stellt Tragik nicht aus, sondern provoziert sie unmittelbar. Das irritierende Gefühl des frühen Verlustes eines Genies wie Mozart überfällt den Hörer hier zwangsläufig - jeder neue Versuch einer abschließenden Fassung ist ein neues Stück Verzweiflung. Weil steigert die Irritation durch einen rasanten Einstieg, exzessiven Chorklang, schickt das Tafelmusik Orchestra und den Tölzer Knabenchor in disparate Welten, wenn der Diskant zum Höhenflug ansetzt, klanglich kaum noch geerdet vom Intrumentalensemble.

Wie flexibel letzteres im Detail reagiert, stilsicher mit zarten Farbtönen umgeht - auch dies zeichnet diese Aufnahme aus, die mitunter Reibungspunkte bietet und bieten will. Dies gilt nicht nur für den historisierenden Klang der alten Instrumente, sondern mehr noch für die Unmittelbarkeit des individuellen Ausdrucks aller Beteiligten. Jeder reagiert anders auf den Schrecken, eine Einebnung der Gefühle wäre nicht nur Reduktion, sondern Falschaussage. Wahrheit gibt es nur im Einzelnen, auch wenn sich alle zum klanglich überwältigenden Ganzen zusammenschließen. Der Mut, diesen Widerspruch nicht nur gelten zu lassen, sondern musikalisch zu behaupten, ist der einzig wirkliche Trost (Sony). HELMUT MAURÓ

Une Soirée chez les Jacquin

Es müssen glückliche Abende gewesen sein, die Mozart im Hause des Barons Jacquin verlebte. Abende, bei denen musiziert, gelästert und geflirtet wurde. Köchelverzeichnisnummern sind geblieben von diesem zwanglosen Beisammensein, bei denen sich neben den drei Kindern des holländischen Botanikers immer auch Freunde wie der Klarinettist Anton Stadler einfanden.

"Une Soirée chez les Jacquin" beschwört diese unbeschwerte Stimmung in all ihrer Frische und Spontaneität wieder herauf, und vielleicht ist man dem Ursprung von Mozarts Inspiration nirgends näher als in dieser lockeren Assemblage von Kanons, Bläserstückchen und größer dimensionierter Kammermusik. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich eine Tonspur von Gelächter und Gerede, von Frotzeleien und geistreichen Wortwechseln zum Kanon "Ach Mandl, wo ist's Bandl?" oder zum "Kegelstatt-Trio" hinzuzudenken und zu begreifen, dass für Mozart dieses Miteinander lebens- und schaffensnotwendig war.

Dass er den Klang des Geselligen förmlich aufsog und ihn umgehend wieder als Musik aufs Notenpapier sprudelte. Zum Greifen nah scheint hier dieser einzigartige Transformationsprozess der Sublimierung des Alltäglichen ins Unbegreifliche: Mozart, das ist Musik, deren innerster Antrieb die Suche nach gemeinsamer Harmonie ist, und die sich vor nichts so sehr fürchtet wie vor dem Alleinsein. Und die in dieser Angst und in dieser Sehnsucht die menschlichste von allen ist (zig zag territoires/Note 1). JÖRG KÖNIGSDORF

Schwärzer geht's nicht

Die ideale Mozart-Interpretation ist wie die schwarze Katze im völlig dunklen Raum: Wer vermag sie zu fangen? Einer der wenigen, der wirklich sagen konnte: "Ich hab' sie", war zweifellos 1955 Erich Kleiber mit seiner Einspielung von "Le nozze di Figaro" (Decca).

Mögen die Aufnahmen der Dirigenten John Eliot Gardiner oder Nikolaus Harnoncourt mit philologischen und interpretatorischen Feinheiten glänzen, mögen sie durchaus Feuer haben, so erwärmt man sich so richtig erst an Kleibers nahezu unübertrefflicher Einspielung: kraftvolle theatralische Aktion, umgegossen in musikalische Energie, dazu Farbigkeit, Natürlichkeit, Clarté.

Das ist absolute Stimmigkeit aus jenen Tagen, da eine Authentizitätswelle sich nicht mal kräuselte. Dem Figaro verleiht Cesare Siepi eine hinter Eleganz verborgene, sinnliche Brutalität, die etwas von jenem Dämon ahnen lassen, der auch Don Giovanni treibt. Wobei Siepi als Don Giovanni nicht nur am häufigsten auf Schallplatte vertreten, sondern allenfalls von einem übertroffen ist: in der Live-Aufnahme unter Bruno Walter, 1942 an der Met (Naxos), von dem Vulkan Ezio Pinza. Schwärzer geht's nicht. GERHARD PERSCHÉ

Lächeln unter Tränen

Sucht man im Gesamtschaffen Mozarts nach jenen Werken, die unter das Rubrum opus summum fallen, so zählt die Sinfonia concertante KV 364 gewiss dazu. Mannheimer und Pariser Erfahrungen liegen hinter Mozart; vom Dasein als uomo buffo hat er sich soeben verabschiedet; Charakter und künstlerische Fähigkeit sind gereift. Und die Sinfonia concertante ist beredtes Zeugnis dieser Entwicklung, sie ist früher Höhepunkt seines Konzertschaffens.

Gidon Kremer und Kim Kashkashian lassen in ihrer Interpretation vom Oktober 1983 in jedem Takt den veränderten Mozart erahnen. Der tiefe, human-irdische Ernst des Werkes, seine sinfonische Konzeption, die dennoch den beiden Solisten genügend Raum zur Entfaltung gibt, werden, auch im Dialog mit den Wiener Philharmonikern unter Nikolaus Harnoncourt, evoziert. Dabei ist diese Schönheit des Klangs nie Selbstzweck, sie dient der Darstellung eines dialektischen Prozesses, wie später bei Schubert. Ein Lächeln unter Tränen (DG). JÜRGEN OTTEN

Innig leuchtend

"Wie stark ist nicht dein Zauberton" - dreimal konnte ich Fritz Wunderlichs Tamino erleben, zuletzt im Sommer 1966. Es war seine Lebensbühnenrolle von seinem ersten Studentenauftritt bis zu seinem letzten im September 1966 in Edinburgh, wenige Tage vor seinem Tod. Die 1964 entstandene Studioproduktion mit Karl Böhm am Pult ist so wertvoll, weil der Mozarttenor Wunderlich in Gesamtaufnahmen ansonsten nur noch als Belmonte offiziell repräsentiert ist.

Diese "Zauberflöte" ist nicht in allen Partien gleichrangig besetzt, aber durch ihn ist sie ein unwiederholbarer Glücksfall der Schallplattengeschichte. Niemand hat zuvor und später den Tamino so gesungen: die innig-leuchtende Schönheit des Timbres lässt auch heute noch den Atem stocken, die Schlackenlosigkeit der Tongebung und die nervige Männlichkeit des jungen Tenors greifen ans Herz. Was ließ Grillparzer auf Schuberts Grabstein setzen: "Die Tonkunst begrub hier einen reichen Besitz, aber noch viel schönere Hoffnungen" (DG). JENS MALTE FISCHER

Divertissimo

Ein großartigeres Stück wurde nie für Geige, Bratsche und Violoncello komponiert als dieses Divertimento KV 563 Es-Dur. Und schöner wurde wohl nie auf diesen Instrumenten gespielt als von Jascha Heifetz, William Primrose und Emanuel Feuermann.

Doch ist es nicht die furiose Perfektion, sondern es sind Wehmut und Eleganz, Grazie und Witz, Poesie und Deutlichkeit, die unvergesslich gefangen nehmen. Wie Heifetz das Rondothema jedes Mal mit anderer Süße formuliert, wie Primrose die Bratsche tanzen und singen lässt, wie Feuermann aus Cellotiefe zu erregter Höhe aufsteigt mit direkt ins Herz treffendem Ton, es ist unvergleichlich. (Biddulph) HARALD EGGEBRECHT

(SZ vom 5.10.2005)

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