Lido:Rush Hour auf dem roten Teppich

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Wenig Geld, aber viele Stars und publikumsträchtige Filme - wie der neue Festivalchef versucht, Venedig wieder an die Spitze zu bringen.

Von Susan Vahabzadeh

Wenn man Denzel Washington gegenüber steht, dann kann man sich gar nicht vorstellen, dass sich auf der Straße alle Welt nach ihm umdreht. Gut, er ist witzig und charmant und klug, aber er lacht sehr laut und spricht sehr laut, und im schwarzen Rippenpulli wirkt er sehr bodenständig.

Zwei, die "nur" ihren Job machen (gemeinsam in "The Manchurian Candidate") und in Venedig zum Staraufgebot gehören: Die Oscar-Gewinner Meryl Streep und Denzel Washington. (Foto: Foto: AP)

Und dann fragt man ihn, wie er denn die Szene in Jonathan Demmes Film "The Manchurian Candidate", der gerade in Venedig Premiere hatte, hinbekommen habe, diese Szene, die man nur über den Ausdruck in seinen Augen begreifen kann. "War nicht so schwer", sagt er lapidar. Oder wie er, der vor zwei Jahren für "Training Day" den Oscar bekam, diese qualvolle Sequenz in dem Film "Hurricane" durchgestanden habe, als er einen unschuldig verurteilten Boxer spielte - ohne Text, ohne Requisiten, ohne dass etwas geschieht, außer dass ein Mann im Halbdunkel fast den Verstand verliert.

Da lächelt Denzel Washington, legt den Kopf ein wenig schief und sagt: "Hey, das ist mein Job."

Professionelle Bescheidenheit

Soviel professionelle Bescheidenheit ist sympathisch, und Schauspielerei, selbst großartige, mag tatsächlich nur ein Job sein. Aber ein Star zu sein bedeutet mehr. Es ist zwar aus der Mode gekommen, sich besonders exaltiert und zickig zu präsentieren, doch eine gehörige Portion Entrücktheit muss man schon noch zeigen. Wenn Stars sich anfassen lassen und in der Menge untertauchen würden, wären sie keine mehr. Niemand käme, um sie zu sehen.

Es gäbe keine Fotografen, die ihre Bilder in alle Welt verkaufen könnten, und es gäbe keine Schaulustigen, die irgendwann die Kinosäle füllen. Doch so bescheiden und normal Denzel Washington in der persönlichen Begegnung ist, auf dem roten Teppich vor der Sala Grande zu Venedig wirkt er wieder unerreichbar, wie einer dieser Hollywood-Halbgötter, die aus einer anderen Galaxie zu stammen scheinen. Und genau das ist das Kalkül der Festival-Betreiber.

Washington muss diesen Hauch von Glamour an den Lido zaubern. Auch das ist sein Job. Solche Leute braucht der neue Chef in Venedig, Marco Müller, der sich vorgenommen hat, das älteste Festival Europas, die Mostra, wieder zur ersten Adresse zu machen. Und alle - das Publikum, die Verleiher, die Produzenten - werden ihm folgen und nur das Festival für das wichtigste halten, das den meisten Glamour zu bieten hat.

Es ist die erste Mostra des in Rom geborenen Schweizers Müller, der vorher das Festival in Locarno geleitet hat und der hier in Venedig der dritte Festivalchef in vier Jahren ist. Zuerst hat er natürlich bei den amerikanischen Produzenten und internationalen Verleihfirmen angefragt. Denzel Washington, Tom Cruise, Nicole Kidman, John Travolta - Müller hat in der Tat zum Einstieg ein Superaufgebot zusammengetrommelt. Nun muss er zeigen, dass er diesen Balanceakt zwischen Kunstanspruch und Starrummel auch tatsächlich hinbekommt.

Die Vorrunde hat er schon mal gut überstanden - denn er hat zwar ein Promi-Programm zusammengestellt, es dabei aber auch geschafft, respektabel zu bleiben. Die Filme von Jonathan Demme und Michael Mann könnten genauso gut am Wettbewerb teilnehmen. Gefährlich wird es nur, wenn ein Festival zur Abspielstätte für Hollywoodmassenproduktionen verkommt. Andererseits verschwände ein Festival bald von der Landkarte, wenn es sich nur entlegenen cineastischen Schätzen widmen würde.

Festivals als Wirtschaftsfaktor

Das aber wird in Venedig oder Cannes wohl nie passieren. Die Festivals sind längst ein Wirtschaftsfaktor, also wird jede regionale Regierung Druck ausüben, damit das Programm möglichst populär bleibt. Ob der erste Leiter in Venedig, Luciano de Feo, auch diese Sorgen hatte, als am 6. August 1932 das allererste Festival mit Rouben Mamoulians "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" begann? Wohl kaum, denn damals gab es keine Konkurrenz zu Cannes oder Venedig. Das Filmemachen war zwar auch schon ein Geschäft, aber im Vergleich zu heute, wo man die Dimension eines Großkonzerns erreicht hat, spielte man damals auf der Ebene eines Krämerladens.

Dass Venedig in den letzten Jahren so hinter Cannes und Berlin zurückgefallen ist, liegt nicht nur daran, dass die Festivalleitungen fast so oft wechselten wie die italienischen Regierungen. Sondern natürlich auch am Geld. Mit dem Etat von Cannes kann sowieso niemand mithalten, noch nicht einmal mal mit dem Etat von Berlin, wie Moritz de Hadeln sagte, der vor Müller zwei Jahre das Venedig-Festival leitete und davor 20 Jahre in Berlin die Filmfestspiele prägte.

Vor allem hatte de Hadeln darüber geklagt, dass in Venedig die Ausstattung miserabel sei. Am Ende seiner Amtszeit erzählte er dem Corriere della Sera, dass man ihm 20.000 Euro Schweigegeld geboten habe dafür, dass er über all das die Klappe halte. Wenn ja, dann könne er ein weiteres Jahr in Venedig bleiben. De Hadeln wollte aber nicht die Klappe halten, Müller wurde engagiert und hat nun die Aufgabe, mit der gleichen Summe an öffentlichen Geldern - etwa fünf Millionen Euro- und Sponsoren-Zuschüssen zu jonglieren.

Leicht wird das nicht, den Ruf der Mostra zu sanieren: Die 60 pompösen goldenen Löwen, die er von Martin Scorseses Lieblingsausstatter Dante Ferretti vor den Filmpalast am Lido hat aufstellen lassen, stießen zum Beispiel auf wenig Gegenliebe.

Zu eng gestricktes Programm

Um einen Filmmarkt wie in Cannes zu veranstalten, fehlen Venedig die Infrastruktur und der Raum. Und die logistischen Probleme, die schon de Hadeln zur Weißglut trieben, sind in diesem Jahr noch deutlicher sichtbar als in der Ära de Hadeln: Halbleere Säle bei großen Premieren und Verspätungen von bis zu anderthalb Stunden. Die Zuschauer, die zum Beispiel um Mitternacht zur Premiere von "Finding Neverland" gekommen waren, mussten lange warten auf den Star Johnny Depp. Weil das Programm viel zu eng gestrickt ist, mussten die Zuschauer bis nach zwei Uhr nachts auf den Film warten.

Diese Probleme muss das Festival in den Griff bekommen - nicht nur, weil das Publikum sich ärgert und im Zweifelsfall die Geduld verliert und geht. Vor allem aber auch, weil die Stars beleidigt sind, und wer so richtig wütend ist, kommt so schnell nicht wieder.

Auf dem Weg zurück an die Spitze hat Müller das Programm kleiner und konzentrierter gestaltet, 71 Filme statt 90, davon 21 im Wettbewerb. Und es gibt nur noch diesen einen Wettbewerb, den zweiten, die Contrecorrente, die das Festival verjüngen sollte, hat er flugs wieder abgeschafft. Dort sollte der Nachwuchs eine Bühne haben. Funktioniert hat das nicht: Im letzten Jahr blieb der Hauptwettbewerb frei von Überraschungen, die Contrecorrente bekam dennoch kaum Aufmerksamkeit, obwohl dort der größte Venedig-Erfolg des letzten Jahres lief, "Lost in Translation" von Sofia Coppola.

Junge Wilde gegen alte Meister

Nun treten im selben Wettbewerb wieder die jungen Wilden gegen die alten Meister an, aber wie fast überall läuft einiges außer Konkurrenz, was manchen Wettbewerbsbeitrag in den Schatten stellt: 15 Filme insgesamt, von Denzel Washingtons Auftritt in "Manchurian Candidate" über Tom Cruise in "Collateral" bis zu Claude Chabrols "La demoiselle d'honneur" und dem Episodenfilm "Eros", an dem Antonioni beteiligt war.

Das ist bei jedem großen Festival eine schwierige Aufgabe, weil das Kino mindestens in drei Teile zerfällt - jenes Starkino, für das Washingtons "The Manchurian Candidate" steht, das kleinere, aber immer noch erfolgreiche Kino, das zwar nicht klatschspaltentauglich ist, aber Kino-Prominenz hervorbringt, wie Francois Ozon, der mit dem Film "5 x 2" am Wettbewerb teilnimmt. Und dann gibt es das Kino, das nur über die Festivals den Weg ins Ausland schafft. Als Produzent gehört Marco Müller eher zu dieser Fraktion, aber sein Programm lässt ahnen, dass sein Herz für alle drei Bereiche schlägt.

Hinter dem Palast, im Halbdunkel, gibt es einen zweiten roten Teppich, uneinsehbar für die Fotografen. Im ersten Moment glaubt man, dieser Teppich wäre da, damit die Halbgötter nicht mit ordinärem Kies in Berührung geraten, wenn sie zum Hinterausgang hinausflüchten. Aber er führt zum Palagalileo, wo die Filme laufen, die es nicht in den großen Filmpalast geschafft haben. Hier kommen die Macher und Schauspieler entlang, um ihre Filme zu präsentieren; und manchmal müssen sie dann nach der Vorführung an der Schlange vorbei, in der die Leute schon auf den nächsten Film warten.

Da sind beispielsweise Thanos Samaras und Alexia Kaltshiki vorbeigehuscht, die Hauptdarsteller des griechischen Wettbewerbsbeitrags "Delivery": gesenkten Hauptes, als ob es ihnen ein wenig peinlich wäre, dass niemand sie fotografiert. Das Blitzlichtgewitter vor dem Palast, für Tom Hanks und Tom Cruise und Denzel Washington und Meryl Streep, muss eben hell genug strahlen, damit das Licht für alle reicht.

© SZ vom 6.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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