Lesung:Wiedersehen in Gaza

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Susan Abulhawa liest aus ihrem neuen Roman

Von Renate Frister, München

Es gibt keine Überraschungseier mehr - daran erkennt ein kleiner Junge in Gaza den Ernst der Lage. Während die Älteren immer nervöser werden, verschwinden allmählich die Schokoladeneier, deren Inneres ein kleines Spielzeug birgt, aus den Ladenregalen. Auch durch die Tunnel von Ägypten werden die Süßigkeiten nicht transportiert, nur nützliche Dinge wie Windeln und Batterien. Eindrücklich schildert Susan Abulhawa in ihrem neuen Roman "Als die Sonne im Meer verschwand" (Diana Verlag), wie der Konflikt mit Israel das Leben der Palästinenser über Generationen hinweg prägt, indem sie dessen Historie sowie dessen politische Zuspitzung mit einer Familienchronik verflicht. Die Autorin und Menschenrechtsaktivistin liest an diesem Mittwoch im Münchner Literaturhaus aus ihrem Roman.

Darin erzählt der palästinensische Junge Khaled die Geschichte von Nur, seiner Cousine dritten Grades, die in den USA aufwächst und ihre Familie erst kennen lernt, als sie, der Einladung eines Mannes folgend, zum ersten Mal nach Gaza reist. Die Erzählung beginnt bei der gemeinsamen Urgroßmutter - die Verwandtschaftsverhältnisse sind für den Leser anfangs etwas verwirrend -, deren Kinder in Palästina zunächst unbeschwert leben. Doch im Mai 1948, kurz nach der Staatsgründung Israels, stecken israelische Soldaten das Dorf in Brand, töten oder vertreiben die Bewohner. Die Flüchtlingsfamilie zerstreut sich. Erst 60 Jahre später, als Nur in die Heimat ihrer Vorfahren zurückkehrt, findet die Familie allmählich wieder zusammen.

In der Geschichte der jungen Frau spiegele sich zum Teil ihr eigenes Schicksal wider, so die Autorin in einem SZ-Interview per Mail. Ihre palästinensischen Eltern flohen 1967 im Sechstagekrieg; sie wuchs nach deren Trennung in Kuwait, Jordanien und Jerusalem auf, bis Pflegeeltern in den USA sie als Teenager aufnahmen. Dort studierte sie Biologie und Neurologie; später arbeitete sie als Journalistin, schrieb Kurzgeschichten und Romane. Auf der Suche nach ihren Wurzeln reiste sie im Jahr 2000 nach Palästina - ein einschneidendes Erlebnis. Die Begegnung mit ihrem Heimatland habe sie wachgerüttelt und dazu bewogen, sich für die Rechte der Palästinenser zu engagieren, sagt sie. Mit ihrer eigenen Organisation "Playgrounds for Palestine" unterstützt sie seit 2001 palästinensische Kinder durch den Bau von Spielplätzen.

Ein Jahr später, nach dem israelischen Angriff auf das UN-Flüchtlingslager Jenin im Westjordanland, reiste Abulhawa als internationale Beobachterin dorthin. Die Erfahrung mit den traumatisierten Palästinensern sei ihr sehr nahe gegangen und habe sie zu ihrem erfolgreichen Debütroman "Während die Welt schlief" veranlasst, sagt sie. Ihre eigene Heimatlosigkeit sei ein Grund dafür, sich für Menschen ohne Zuhause einzusetzen. Den Impetus für ihr aktuelles Buch hätten ihr dagegen ihre Romanfiguren gegeben, erzählt sie; sie habe den Wunsch verspürt, "deren Leben durch Erinnerung, Phantasie, Nachforschungen, Tagträume zu erkunden". Besonders sei ihr der kleine Khaled ans Herz gewachsen, mit ihm fühle sie sich besonders verbunden.

Das Leben der Hauptfigur Nur wird von der Suche nach Zugehörigkeit bestimmt. Die findet sie schließlich bei ihrer Familie. Die Erzählung endet mit einem weiteren Besuch Nurs in Gaza, trotz der Schikane und Bürokratie, die mit der Einreise verbunden sind. Aus Kairo bringt sie den Kindern Überraschungseier mit - die können ihr Glück kaum fassen.

Susan Abulhawa - Als die Sonne im Meer verschwand, Mittwoch, 10. Juni, 20 Uhr, Literaturhaus

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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