Lesung und Musik:Zeitreise mit Schmalz

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Fredric Hollay, Julia von Miller und Anatol Regnier (von links). (Foto: Seerosenkreis)

Drei Künstler widmen sich dem deutschen Schlager der Siebzigerjahre

Von Dirk Wagner, München

Faschingszeit ist Schlagerzeit. Auffallend viele Partygäste grölen derzeit laut die Refrains der dort gespielten Schlager mit, gerade so als gestatte der Partygesellschaft erst ihre Kostümierung, sich zur urdeutschen Popkultur zu bekennen. "Griechischer Wein" singen sie zum Beispiel, stemmen dazu das eigene Trinkgefäß prostend in die Luft und übersehen bei der damit assoziierten Trinkseligkeit gern jene Fremdenfeindlichkeit, die Udo Jürgens in seinem Schlager auch verhandelt.

Dass der Schlager übrigens tatsächlich eine urdeutsche Erscheinung sein könnte, merkt man spätestens dann, wenn man seine Bedeutung einem Ausländer erklären will. Ihn ins Englische einfach mit "Hit" zu übersetzen, wovon das deutsche Wort "Schlager" wahrscheinlich abgeleitet ist, greift jedenfalls zu kurz, zumal unzählige Schlager nie ein Hit wurden, obwohl sie es werden sollten. Die Massenwirksamkeit ist auch von Anfang an im Songaufbau berücksichtigt. Entsprechend leicht ist es daher, als kulturell gebildeter Mensch die Nase zu rümpfen über solche Niederungen der Unterhaltungsindustrie.

Doch der Schriftsteller und Gitarrist Anatol Regnier, Enkel von Frank Wedekind, rümpft sie nicht. "Das sind ganz großartig komponierte Melodien, sonst würde sie ja nicht jeder kennen", sagt er stattdessen und beweist das nun zum zweiten Mal mit einer Songauswahl, die von der Sängerin Julia von Miller und dem ungarischen Pianisten Frederic Hollay vorgetragen wird. Anatol Regnier selbst ergänzt diesen Vortrag um Texte, die pointiert die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Erinnerung rufen, innerhalb derer die präsentierten Schlager entstanden sind und auf die sie letztlich auch reagierten. "Denn der Schlager ist ein Spiegel der Gesellschaft", sagt Regnier.

Im ersten Programm, mit dem das Trio längst erfolgreich tourt, entlarvte Regnier sowohl die nationalsozialistische Propaganda im Schlager der Dreißigerjahre als auch die spätere Flucht in eine heile Welt angesichts der eigenen zerbombten Heimat. Einschließlich der Sechzigerjahre ließen Miller, Hollay und Regnier deutsche und bundesdeutsche Geschichte anhand bekannter und zum Teil skurriler Schlager Revue passieren.

Nun wagt das Trio aufgrund des Erfolgs seines ersten Potpourris eine Fortsetzung, die sich diesmal allerdings nur einem einzigen Jahrzehnt widmet: den quietschbunten mit Pril-Blumen bepflanzten Siebzigern, in denen beinahe keine deutsche Fernsehshow ohne deutsche Schlager auskam. Etwa Rudi Carrells Spielshow "Am laufenden Band", in deren Silvestergala 1977/78 eine zehnjährige Andrea Jürgens davon sang, dass sie noch zu klein sei, um die Trennung ihrer Eltern zu verstehen: "Denn schließlich liebe ich euch beide. Ich bin doch euer beider Kind", klagte sie. Der Text reagierte auf ein verändertes Scheidungsgesetz in der BRD. An der geschlechtsspezifischen Arbeitsaufteilung daheim hat dieses freilich wenig verändert, wie Johanna von Koczians "Das bisschen Haushalt" aus dem Jahr 1977 belegt. Wunderbar, wenn auch dasselbe Gesellschaftsbild stärkend, reagierte damals der Adolf Tegtmeier-Darsteller Jürgen von Manger mit seiner in Ruhrpott-Dialekt gesungenen Persiflage auf jenes Lied, "Dat bisken Frühschicht". Juliane Werding mit "Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst" und Gitte Haenning mit "So schön kann doch kein Mann sein, dass ich ihm lange nach wein'" standen ganz im Sinne der Frauenbewegung für ein neues, selbstbewusstes Frauenbild.

Von solchen Randerscheinungen abgesehen, klammert der Schlager dieser Jahre aber laut Regnier die aktuellen Ereignisse jener Zeit bewusst aus. Weder die Ölkrise noch Baader-Meinhof noch der Radikalenerlass oder die zunehmende Drogenproblematik finden einen Niederschlag. Stattdessen träumte man sich mit Karel Gott in eine zufriedenere Vergangenheit, als Oma respektive "Babicka" den Kindern noch spannende Geschichten erzählte. Oder man erhob mit Marianne Rosenberg in "Er gehört zu mir" eigenartige Besitzansprüche, während Heino das nationale Liedgut wieder salonfähig machte.

Julia von Miller, Frederic Hollay und Anatol Regnier konterkarieren das selbstzufriedene bundesdeutsche Schunkeln der Siebzigerjahre in "Let it be" mit angloamerikanischen Popsongs wie "Bridge over troubled water" oder "Imagine", die zur selben Zeit ein ganz anderes Weltbild transportierten. Wie sich der Gegensatz zwischen süßem Rausch und harter Wirklichkeit anhört, ist an diesem Montag, 1. Februar, im Künstlerhaus zu hören.

Let it be - Sentimentalität, Witz und Tragik der 70er", 1.2., 19.30 Uhr, Seerosenkreis, Münchner Künstlerhaus, Lenbachplatz 8

© SZ vom 01.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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