Lesung:Liebe mit Löchern

Lesezeit: 2 min

Er schreibt über ein Leben zwischen Straßenkultur und Bildungselite: der 25-Jährige Mano Bouzamour. (Foto: Mart Boudestein)

Bestsellerautor Mano Bouzamour zu Gast im Gasteig

Von Christina Koormann, München

"Früher hat mein Bruder mich überallhin mitgenommen: Zu den Spielen von Ajax, ins Rijksmuseum, zum Anne- Frank-Haus, ins Lichtspielhaus Tuschinski, zum Allard-Pierson-Museum, zu Peep-Shows im Rotlichtviertel. Es waren die schönsten Tage meines Lebens." Samirs Erinnerungen sind Erinnerungen, die schmerzen: Er vergöttert seinen zehn Jahre älteren Bruder, mit dem er nachts auf dem Roller in den Straßen von Amsterdam die große Freiheit fühlt. Doch die ungetrübten Zeiten sind plötzlich vorbei. Samirs Bruder muss für sechs Jahre ins Gefängnis - und damit verändert sich die Welt des jungen Niederländers mit marokkanischen Wurzeln schlagartig. Nicht nur, weil sein großes Vorbild hinter Gittern sitzt; sein Bruder hat ihm das Versprechen abgenommen, das Abitur zu machen.

Auf dem Gymnasium trifft der musikalisch begabte Migrantensohn Samir auf den Nachwuchs der Amsterdamer Elite, kämpft gegen Vorurteile, Liebeskummer und Sehnsucht nach dem Bruder. Er wünscht sich, Rache nehmen zu können an dessen Verräter. Er versucht, die Unterschiede von den zwei verschiedenen Kulturen, in denen er lebt, zu vereinen. Und er wird nebenbei auch noch erwachsen. Viel Programm also für einen jungen Mann.

"Samir, genannt Sam" (Residenz Verlag) heißt der Debütroman des niederländischen Autors Mano Bouzamour. Wie seine Hauptfigur ist Bouzamour Sohn marokkanischer Einwanderer und er wuchs ebenfalls in Amsterdam auf. Am Montag, 26. September, stellt der Autor die autobiografisch inspirierte Großstadtgeschichte im Gasteig gemeinsam mit Bettina Bach, der Übersetzerin seines Buches, vor.

In seiner Heimat hat Bouzamour mit dem bereits 2013 veröffentlichten Roman offenbar einen Nerv getroffen - hier hat "Samir, genannt Sam" unter dem passenderen Titel "De belofte van Pisa" ("Das Versprechen von Pisa") die 15. Auflage erreicht, auch die Bühnen- und Filmrechte sind bereits verkauft. In einem rotzfrechen, teilweise naiven, pubertären und gleichzeitig poetischen Ton erzählt der 25-jährige Bouzamour die Geschichte von Samir Zafar. Bouzamours Hauptfigur ist dabei gnadenlos ehrlich, kritisch, pflegt ein fragwürdiges Frauenbild und behauptet sich in einem Umfeld, in dem Widersprüche zur Tagesordnung gehören.

Bei der Einschätzung seines Debüts zeigt sich der junge Autor durchaus selbstbewusst: "Ich habe mein Buch für jeden geschrieben, der lesen kann, neugierig ist, sich amüsieren will und scharfen Humor schätzt", sagt Bouzamour. "Ich will auf geistreiche Weise Einsichten in Welten geben, von deren Existenz man weiß, aber in die man von außen keine Einblicke bekommt. Ich nehme den Leser an die Hand und zeige ihm, wie es darin zugeht - in der muslimischen Kultur, der Straßenkultur und der Elite; aufrichtig, authentisch und unverfälscht."

Bouzamour wurde selbst zwischen diesen Kulturen groß, seine Biografie ist spürbar, wenn er Samir zwischen Schule, Mädchen, Moschee und Klavier seinen Platz im Leben suchen lässt. Auf dieser Suche verändert sich Samir, auch sein Blick auf den Bruder wird ein anderer: "Es war nicht wie früher. Aber er hatte ja auch einen Großteil meiner Jugend und meiner Entwicklung verpasst. Und seine Entwicklung war natürlich für eine ganze Weile zum Stillstand gekommen. Wenn große Löcher in der Straße der Bruderliebe klaffen, wird das Fahren holprig."

Niederländisch zum Verlieben: Mano Bouzamour , Mo., 26. Sep., 19 Uhr Gasteig (Black Box)

© SZ vom 26.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: