Lesenswert:Kraut und Rüben

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"Kulinarisches Bayern" - eine literarische Erkundung

Von Sabine Reithmaier

Vielleicht sollte man dieses Buch ausnahmsweise von hinten beginnen. Da geht es nämlich ums Fasten, das passt gerade gut in die Zeit. "Wenn's aber nix gibt" ist das Kapitel überschrieben, in dem es weniger um den freiwilligen Verzicht als ums Hungern geht, eine Erfahrung, die Lena Christ und Oskar Maria Graf beschreiben, aber auch die Brüder Klaus und Golo Mann. Das Hunger-Kapitel ist aber eher dünn ausgefallen. Verständlich, denn in dem Buch "Kulinarisches Bayern" (Allitera Verlag) geht es eher um die Lust an Essen und Trinken, die Literaten und Literaturliebhaber gleichermaßen beflügelt. Da vorher aber gekocht werden muss, haben die Herausgeber Dietlind Pedarnig und Gerd Holzheimer auf ihren Streifzügen nicht nur literarische Texte, sondern auch Kochrezepte zum Ausprobieren gesammelt.

Daher kann man vor, während oder nach dem Kochen die passenden literarischen Texte lesen oder - noch besser - sie sich vorlesen lassen. Die kurzen Textausschnitte oder Gedichte sind eher Appetitanreger als Sattmacher, vermitteln aber den Eindruck, es gebe kein einziges bayerisches Gericht, das den Schriftstellern entgangen ist. Suppen, Fleisch, Fisch, Nachspeisen, Brot, Knödel, Kraut und Rüben werden ausgiebig erörtert und bedichtet. Wobei die Art der Zubereitung nicht immer nur Beifall fand. Jean Paul gefiel es in Nürnberg gut, wie er 1812 in einem Brief an Caroline Richter schrieb - "... wenn nur freilich nicht immer das alte aufgewärmte Sauerkraut wäre". Der Niedersachse August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), bekannt als Nationalhymnendichter, störte sich am Umgang mit Rettich in einem Münchner "Bockkeller". "Wenn man die Tische sah voller Übereste des Biers und die alten schmierigen Radiweiber, wie sie aus ihren schmierigen Taschen ein schmieriges Buchsbaumbüchschen, worin fünf Löcher, hervorholten und auf den schmierigen Tisch einige Körnchen Salz herausklopften, und wie der gute Baier den Rettig verarbeitete, dann hatte man genug." Diesen kritischen Blicken von außen setzte der erste deutsche Literaturnobelpreisträger, der Wahl-Münchner Paul Heyse (1830-1914), einen pathetischen Lobgesang auf den "Rettig" entgegen. Und auch Bert Brecht widmete der Zubereitung von schwarzem Rettich ein eigenes Lied.

Fast noch mehr als der Hunger animiert anscheinend der Durst zum Schreiben. Der britische Komponist Edward Elgar mutmaßte, dass hierzulande Lebensfreude nur durch eine genügende Menge Münchner Bier erreicht wird, wie viel hänge vom Einzelnen ab, "lässt sich aber bei vorsichtigster Schätzung mit mehreren Litern pro Tag ansetzen". Jörg Maurer schildert einen Selbstversuch, Ödön von Horvath analysiert die "Starkbiersaison". Ein weiteres Kapitel widmet sich Wirtshäusern, Biergärten an Regentagen und natürlich dem Hofbräuhaus, in dem es Frank Wedekind so gut gefiel, dass er 1899 befürchtete, er werde vor lauter Gemütlichkeit nicht arbeiten können. Alles in allem also ein wirklich genussvoller, literarischer Spaziergang.

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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