Lernen von den anderen (2):Wie die Löcher im Käse

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Beispielhafte Bibliotheken

Von Michael Zirnstein

Zwei Tage vor ihrem Vortrag bei "Public!" hat Sonja Beeck die neue Stadtbibliothek Heidenheim besucht und ein Foto gemacht. Darauf zu sehen ist eine junge Frau, die sich auf eine Prüfung vorbereitet, sie hat sich die Schuhe ausgezogen und lümmelt in einem Loungesessel mit Blick ins Grüne. Ein anderes Bild zeigt Beeck von der Nationalbibliothek in Paris: Im Salle Ovale von Jean-Louis Pascal aus dem Jahr 1916 studieren die Besucher umringt von ehrfurchteinflößenden Bücherwänden an Tischen in Reih und Glied. Bibliotheken haben sich geändert: Sie sehen heute anders aus, weil sie anders genutzt werden, und sie werden anders genutzt, weil sie anders gebaut sind. Der spielerische Sandstein-Bau in Heidenheim zum Beispiel bietet den Gästen eine Leseterrasse im Freien. "Was könnte noch alles kommen?", fragte sich die Architektin, Stadt- und Regionalplanerin Beeck, "ein Lesegarten? Ein Lesepool?"

Warum nicht. Moderne Kulturzentren und Bibliotheken machen den Gästen den Aufenthalt nicht nur so angenehm wie möglich, wie man etwa beim Rolex Learning Center in Lousanne sieht: Einem Emmentaler Käse gleich, öffnen sich überall Löcher und Blasen, die Licht hereinlassen und Räume öffnen. Gäste werden förmlich angesaugt - wie in der Mediathek im japanischen Sendai. An dem Glaskubus verschwindet die Glasfassade im Erdgeschoss morgens einfach. Das Kulturzentrum in einem Elendsviertel in Santa Cruz auf Teneriffa schottet sich durch eine Mauer zwar zur Straße ab, vom lichten Innenhof aus aber werden die Besucher wie durch einen Weg durch die Bücherinseln gelotst.

"Das ist die große Frage: Wie verbindet man das Erdgeschoss eines Gebäudes mit dem Quartier?", fragt Sonja Beek. Bei einem von ihr geleiteten privaten Projekt, einem Haus, das sich Kulturschaffende in Berlin gebaut haben, hat sie als Anlaufstelle für alle eine kleine Bibliothek eingeplant.

Und was, wenn die "vibrierende Stille", die Beeck in Bibliotheken als inspirierende und gemeinschaftstiftend so schätzt, gebrochen wird? Etwa von Rihannas Modenschau mitten über die Tische der Pariser Nationalbibliothek? "Man sollte die Grenzbereiche ausloten dürfen", sagt die Architektin, "dann kommen vielleicht andere Leute herein".

© SZ vom 13.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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