Leonhard Cohen wird 70:Bebend vor Schönheit

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Vor allem sein schüchtern siegesgewisses Lächeln und seine Treue zur Poesie machten den Kanadier vor über 30 Jahren zur Pop-Ikone.

Von Georg Klein

Es gibt den großen krisenhaften Augenblick im Leben des Erotomanen, in dem er ahnt, dass der Glanz seiner Jugend schwindet und ihn allein noch die Schönheit des Wortes zu retten vermag. Für den kanadischen Lyriker und Frauenliebling Leonard Cohen kam dieser bittermagische Moment wohl im Sommer des Jahres 1967, als er, seine Gitarre in der Hand, auf die Bühne des Newport Folk Festivals kletterte.

Somnabule Melancholie eines ewig Dreiunddreißig-Jährigen: Leonhard Cohen. (Foto: Foto: AP)

Cohen, Sproß einer reichen jüdischen Familie, hatte zuvor ein Bohème-Leben zwischen Nordamerika und Griechenland geführt, drei avantgardistische Gedichtbände veröffentlicht und war als junger Romancier zweimal auf hohem Niveau gescheitert.

Mit seinen 33 Jahren schien er nun in Newport nicht unbedingt im idealen Alter, um eine Karriere als Songwriter zu beginnen. Seine Saitenzupfkünste waren eben so begrenzt wie das Volumen und die Modulationsfähigkeit seiner Stimme. Ich weiß nicht, welches Lied Cohen in Newport als erstes gesungen hat. Aber gewiss enthielt es spätestens als dritte, fünfte oder siebte Zeile einen Vers, der jeden Jüngling, der über ein anrührbares Gemüt verfügt, wünschen lässt, er hätte diese Worte selbst in eben diese Reihenfolge gebracht.

Somnabule Melancholie

Darüber, was Cohen damals der weiblichen Zuhörerschaft antat, verbietet sich mir eigentlich jede Vermutung. Aber vielleicht darf ich heute, am 70. Geburtstag Cohens, doch spekulieren, dass vor 37 Jahren bei "Suzanne" oder "So Long, Marianne" die Herzen der Folk-Anhängerinnen kollektiv in Flammen sprangen. Schon ein Jahr später war der Kanadier ein Star. Die somnambule Melancholie seiner monotonen Intonation, seine minimalistische Mimik, vor allem sein schüchtern siegesgewisses Lächeln machten ihn zur Pop-Ikone.

Und seine besten Songs trafen musikalisch genau jenes Mischungsverhältnis aus glatter Eingängigkeit und homöopathisch reduzierter Originalität, das wahre, also wirkmächtige Popmusik kennzeichnet.

In seinen Texten aber hielt Cohen der Poesie die Treue. Das lyrische Reich Cohens ist eine Art transzendentales Schlafzimmer. Stets sind die Laken frisch verschwitzt vom Kampf der Geschlechter. Aber sogar, wenn es dort zu wahrlich grausamen Szenen der Entblößung und Verletzung gekommen ist, versteht es dieser Liebeshexenmeister, den schlimmen Akt in einen Moment der spirituellen Erhöhung und der sprachlichen Erlösung, in luzide Szenen der Gnade zu überführen.

Unveränderliche dreiunddreißig Jahre alt

So blieb Cohen all denen, die seine Verse zu lesen verstanden, drei Dekaden lang einer, den sein Wort zum Objekt der Begierde macht. Und wie Jesus, der die selbe Gabe besaß, schien er dabei unveränderliche dreiundreißig Jahre alt - auch dann, als er in halsbrecherischer Koketterie eines seiner Alben "Death of a Ladies' Man" betitelte und selbst dann noch, als aus dem nasalen, leicht brüchigen Tenor der ersten Platten ein rauchiger Bariton geworden war.

"Because of few songs / Wherein I spoke of their mystery, / Women have/ been /Exceptionally kind / To my old age / . . . / They become naked / In their different ways / And they say, / ,Look at me, Leonard. Look at me one last time.' / Then they bend over the bed / And cover me up / Like a baby that is shivering." Diese Verse handeln von dem, was einem Liebling der Frauen im Winter seines Lebens an eisig schönen Blumen noch erblühen kann. Sie finden sich auf Leonard Cohens kommendem Album "Dear Heather".

Wie Cohen das Lied "Because of You" und die zwölf anderen altersweisen, todesschwangeren und zugleich liebeslüsternen Gedichte in eingängige Songs verwandelt, können wir erst Ende Oktober dieses Jahres hören. Die Lyrics aber, das Beste, sind schon im Internet nachzulesen.

Weltweit finden heute Leonard-Cohen-Birthday Parties statt. In Toronto, in Kopenhagen, in Barcelona und in Toowooomba/Australien werden mehr oder minder hübsche Jünglinge die Akkordfolgen seiner Lieder zerklampfen und hemmungslos losschmachten, um heutigen Maiden mit geliehenen Fingern möglichst tief ins Gemüt zu grabschen.Wer aber ein Organ für den Vers hat, wer ein Herz besitzt, das Lyrik zu rühren vermag, oder wer wie ich als Satzschmiedgeselle von diesem Meister lernen durfte - der wird heute in stiller Lesekammer ein Knie beugen, um Leonard Cohen als poetischen Zeitgenossen zu ehren.

Von Georg Klein erschien zuletzt der Roman "Die Sonne scheint uns" (2004) im Rowohlt Verlag.

© SZ vom 21.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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