"Lemonheads"-Tournee:Marke Zitronenkopf

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Ein Independent-Rocker, der seine Band als Marke versteht, provoziert Stirnrunzeln. Vor allem, weil sich die Mitglieder der "Lemonheads" in den letzten zehn Jahren oft wechselten. Und auch Evan Dando ist nicht mehr derselbe.

Tobias Moorstedt

Evan Dando hat auf Tourneen schlimme Sachen gemacht, hat gekokst, ein paar Auftritte verpasst, weil er mit zwei Models und einem Päckchen Heroin im Bett lag, und in Hamburg fiel der Lemonheads-Sänger mal von der Bühne und lallte: "Ich bin der Moderator von CNN". Es sind gute Geschichten, meint er, "klar, aber eigentlich sitzt man auf Tour doch die ganze Zeit rum und wartet. Dabei lernt man mehr als bei den Exzessen."

"Es klingt erst jetzt so, wie wir immer wollten." Die "Lemonheads" spielen an folgenden Terminen in Deutschland: 27.10. Köln, 28.10 Hamburg, 4.11. München, 5.11. Berlin. (Foto: Foto: Universal Records)

Nun sitzt Evan Dando im Zimmer 410 eines kleinen Hotels in Manchester und starrt die Wand an. "Das Gebäude hier war mal eine Baumwollfabrik", meint Dando. Heute steht an der Adresse 107 Picadilly ein kleines Boutique-Hotel, ein Spielplatz für wohlhabende Bohemiens, mit Designer-Sesseln in der Lounge und einem riesigen Globus als Kristall-Küster-Ersatz. "Die ganze Industrie ist ja schon lange kaputt", sagt Dando: "Das Gute daran ist: man wird nicht abgelenkt. Es ist eine gute Stadt für Musik."

Die Neunziger sind vorbei!

Das Konzert, das Dando zwei Stunden später mit seiner Band im Academy-Club spielt, ist ein Beweis für seine Theorie. Ein paar Tage ist die erste "Lemonheads"-Platte seit zehn Jahren auf dem Markt, und doch singt das englische Publikum die neue Lieder wie "Pittsburgh" genauso mit, wie die alten Hits von den Alben "Come On Feel the Lemonheads" und "It's a Shame About Ray", die die Band Anfang der neunziger Jahre zu Stars der US-Independent-Szene gemacht hatten.

Lässigen Gitarrenpoppunk spielen sie immer noch, der bei aller Wut und Depression nicht vergisst, dass ein gutes Lied eine Hook-Line braucht, einen Haken, der den Zuhörer mitschleift. Einem Mainstream-Publikum wurde Evan Dando vor allem bekannt, weil er auf Druck der Plattenfirma Simon & Garfunkels "Mrs. Robinson" coverte - und unzählige Male im Pete-Doherty-Style in den Boulevard-Medien beim Drogenkonsum abgebildet wurde. 1996 löste sich die Band auf.

Der Academy-Club sieht aus wie ein Multiplex der Alternative-Rock-Szene; mit Neon-Röhren, einem zentralen Imbiss-Bereich und verschiedenen Konzertsälen. Die "Lemonheads" spielen im Hauptsaal, am gleichen Ort werden ein Tage später werden die Babyshambles und BoyKillBoy spielen.

Die Werbe-Plakate, die am Kiosk hängen, sehen aus wie Gemälde aus verschiedenen Epochen und fragen ziemlich lautstark: Evan Dando ist 39 Jahre alt! Die Neunziger sind vorbei! Ist Dando der Henry-Maske des Indie-Pops? Kann ein Konzert der alten Helden mehr sein als Nostalgie?

Dando selbst macht sich offenbar keine Sorge. Kommt auf die Bühne, startet nach einem verkrachten Intro mit "Down about it": "She is gonna give me all the time I need / to finish / and if I can't / I will sleep over. Wenn ich es nicht schaffe / dann mache ich erst einmal ein Nickerchen" - besser kann man die Lebenseinstellung der Generation X - deren erklärten Posterboy Evan Dando in den Neunzigern war - nicht beschreiben.

Dando sieht immer noch so aus, als käme er gerade vom Set von "Reality Bites". Lange Haare, ausgewaschener Pullover, Converse-Sneaker. "Ich bin und fühle mich noch genau wie früher", behauptet er oft.

Auch das Publikum dient als Beweis dafür, dass man nur lange genug warten muss, bis der persönliche Stil zum Trend wird. "Das Revival der Neunziger ist ja im vollen Gange", sagt Dando. Die Pixies hatten sich vor zwei Jahren für eine Tour wieder vereint. Dinosaur Jr. bringt bald eine neue Platte raus.

Retrospektive, die in die Zukunft weist

Geht es nach Dando, ist das kein Mode-Trend, sondern ein Zeichen, dass die Gegenwart eine strukturelle Ähnlichkeit mit früheren Krisenzeiten besitzt. "Als wir 1987 angefangen haben, hatten wir auch eine Rezession hinter uns. Und dann gab es einen Krieg im Irak." Dando sagt: "Wenn es den Leuten schlecht geht, brauchen sie harte und authentische Musik."

Die Drei ist die magische Zahl des Punkrock. Drei Instrumente gehören zum prototypischen Setup - Schlagzeug, Gitarre, Bass. 3:30 läuft ein Track. Länger darf ein Lied nicht dauern, wenn man wie die "Lemonheads" 30 Songs in 90 Minuten spielen will. Das Konzert ist eine Retrospektive, die in die Zukunft weist.

Dando spielt alte Songs wie "Style" oder "Different Drum" genau wie neues Material, das mit erhöhtem Tempo und dem wuchtigem Schlagzeug von Descendents-Drummer Bill Stevenson an Dandos der späten Achtziger erinnert und Hoffnung macht, dass die meisten Songs der "Lemonheads"-Best-Of-CD noch gar nicht geschrieben sind.

Evan Dando hatte 2003 unter seinem eigenen Namen die Solo-Platte "Baby I am Bored" heraus gebracht. "Die neue Platte ist eine 'Lemonheads'-Platte", sagt er, "es klingt erst jetzt so, wie wir immer wollten." Außerdem: "Es wäre doch schade um die Marke - wir haben so viel in sie investiert."

Schneewitchen als Karrierefrau

Die Band als Marke - eine seltsame Aussage für einen Helden des Independent-Rock. Und welche Werte diese Marke genau verkörpern soll, weiß er auch gar nicht. Weil die Besetzung immer wechselte, bestehen die "Lemonheads" eigentlich nur aus Evan Dando, seiner Stimme und der Idee eines Sounds.

"Ich versuche auf der Tour das nächste Album zu schreiben", sagt er, "auch bin ja schon fast 40". Es klingt, als wollte er sagen: Die Zeit läuft ab. Der ehemalige Junkie hat eine neue Arbeitsethik entwickelt. "Rechtzeitig erscheinen, zuverlässig sein, gut benehmen."

Evan Dando ist eine Figur aus dem Märchenbuch des Indierock-Szene. Und so, wie man nicht will, dass sich Schneewittchen zur Karrierefrau entwickelt, fällt es einem schwer zu glauben, dass aus dem wirren Songwriter-Genie Dando nun ein Musik-Arbeiter wird. "With a little bit of common sense / you can loose a lot of innocence", heißt es in dem neuen Lied "Pittsburgh".

Das könnte man natürlich als Selbstkritik lesen, als Kopfschütteln über die verschwendete Zeit. "Es sind nur ein paar Reime", sagt Dando, legt dann aber doch die Deutung nahe, dass der gesunde Menschenverstand manchmal ziemlich kranke Sachen fordert. Die depressiven Loser der Generation X waren ja Moralisten, die zwar nicht von einer besseren Welt träumten, aber es ablehnen, der kapitalistische Handlungsrationalität die eigenen Unschuld zu opfern.

"Auf der neuen Platte ist mein erstes politisches Lied zu hören", sagt Dando: "'Let's just laugh' zielt direkt gegen die Regierung. Ich halte den Typen einfach nicht mehr aus." George W. Bush politisiert selbst die unpolitische Generation X. Manche Dinge ändern sich eben doch.

© SZ vom 27.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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