Led Zeppelin:Der Gitarrist und sein Sklave

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Erster und letzter Schrei: 1970 verpasste unser Autor ein leider denkwürdiges Led-Zeppelin-Konzert. Jetzt traf er Jimmy Page und John Paul Jones in London.

Hans Hoff

Im Frühjahr des Jahres 1970 ging ein Schrei durch die Düsseldorfer Rheinhalle. "Way down insiiiiiide, woman you need looooooooove", so jubilierte ein Engländer mit sehr langen Locken, und seine flehende, fliehende Stimme schien ihr Volumen, ihre Kraft, ihre Wucht aus Tiefen zu holen, die bis dahin weder die Beatles noch die Stones ausgelotet hatten.

1970 - these are the young men (v.l.n.r): John Paul Jones, John Bonham, Jimmy Page und Robert Plant - Led Zeppelin. (Foto: Foto: Getty Images)

"Whole Lotta Love" hieß der Song, Led Zeppelin die Band. Nicht einmal Jimi Hendrix war dem nahegekommen, und die Vokalorkane, die Jim Morrison und Janis Joplin ausgelöst hatten, wirkten da wie laue Vorwinde. "Way down insiiiiiide, woman you need looooooooove", sang Robert Plant, und dann setzte wieder Jimmy Pages Gibson ein mit jenen Tönen, die heute noch in die Liste der zehn besten Songkennungen gehören: Dada dada dab dabadab dabadab. Immer wieder Dada dada dab dabadab dabadab. Ein Riff, das mindestens so 'reinknallte wie später die Eingangsakkorde von AC/DCs "Highway To Hell". Ein Riff wie ein Faustschlag.

Leider habe ich es versäumt, diesen Hieb im Frühjahr 1970 zu kassieren. Ich war 14 Jahre alt und ein bisschen blöd. Weil zur selben Zeit zwei Bands in meine Heimatstadt Düsseldorf kommen sollten, das Taschengeld aber nur für eine reichte, entschied ich nach der Anzahl der Gitarristen. Fleetwood Mac spielten elektrischen Britblues mit drei Gitarren. Led Zeppelin dagegen hatten nur Jimmy Page. Tja.

Nur? Am Tag nach dem Zeppelin-Konzert machten mir meine Freunde klar, dass ich künftig mit der Schande würde leben müssen, am 12. März 1970 die Zukunft des Rock'n' Roll verpennt zu haben. Es gab am 13. März nur ein Thema: das Konzert in der Düsseldorfer Rheinhalle. Keine Sau sprach von Fleetwood Mac. Die Band mutierte bald danach zu einer US-Softpop-Kapelle.

Dabei hätte ich es wissen können. Mit "Whole Lotta Love", dem Aufmachersong ihres zweiten Albums, hatten Led Zeppelin im Februar '70 den Sprung an die Spitze der deutschen Singlecharts geschafft. 13 Wochen lang hielt sich das Lied in den Top Ten.

Mehr als 37 Jahre später ist es Zeit, Schande und sehr verspätete Einsicht zu beichten. Im Londoner Landmark Hotel sitzen Jimmy Page und Zeppelin-Bassist John Paul Jones gemeinsam auf einer Couch und hören sich die Geschichte vom 14-jährigen Versager an. Sie lächeln so milde, wie das nur zwei sehr saturierte Herren können, die das ganze Ding zigfach durchlebt haben, die mehrfach ganz oben waren, abstürzten, sich wieder fingen, erneut ins Trudeln gerieten, die aber seltsamerweise nie völlig aus dem musikalischen Rennen waren.

"Es war die Verbreitung musikalischer Wahrheit", sagt Jimmy Page, lacht Jones an und freut sich über seinen Werbespruch. Danach schaut er auf den Gast und zuckt die Schultern: "Sie haben das damals nicht kapiert. Sorry für Sie."

Sie waren die Härtesten und Erfolgreichsten

Ein Jahr vor dem denkwürdigen Konzert waren Led Zeppelin offiziell gestartet mit einem Album, das ein Bild des 1937 im amerikanischen Lakehurst abgefackelten Luftschiffs Hindenburg auf dem Cover trug. Die Band schmückte sich mit diesem Unglück, welches das Ende einer Ära markierte, um für den Rock eine neue einzuläuten. Led Zeppelin belebten Bluessongs von Willie Dixon auf die harte Tour neu, und sie schrieben Songs, die ewig Gültigkeit haben werden.

Kein Tag, an dem nicht eine Radiostation auf "Stairway To Heaven" zurückgreift oder eine der vielen drittklassigen TV-Shows zur Spannungshebung das gestrichene Gitarrenstakkato von "Kashmir" einspielt, mit dem sich selbst eine musikalische Flachwurst wie P. Diddy schon ein bisschen Bedeutung verliehen hat. Fragt man pubertierende und halbwegs erfahrene Bands nach ihren Vorbildern, sagen die fast grundsätzlich Led Zeppelin, und bei Kunstkaspern wie den von jungen Musikkritikern notorisch überschätzten White Stripes, bei Maroon 5 und etlichen anderen Bands der Jetztzeit braucht man ebenso wenig nach den Vorbildern zu fragen wie man es in den Neunzigern bei Nirvana oder den Black Crows gemusst hätte, so klar klingen über die Jahrzehnte Jimmy Page und Konsorten durch.

Zwölf Jahre lang haben Led Zeppelin die Bühne beherrscht, sie haben regelmäßig drei Stunden und mehr gebraucht, um zu spielen, was zu spielen war und ihren Anspruch einzulösen, "die härteste und erfolgreichste Heavy-Rock-Gruppe der Welt zu sein". So schrieb es die Bravo im Dezember 1972, als gerade das vierte Album kursierte. Sie waren die Härtesten und Erfolgreichsten bis 1980. Da gaben sie am 7. Juli in Berlin ihr letztes reguläres Live-Konzert.

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Am 25. September wurde dann während den Proben zu einer US-Tournee Schlagzeuger John Bonham tot aufgefunden. Der durch übermäßigen Alkoholkonsum ausgelöste Tod des Drummers markierte ein jähes Aus für Led Zeppelin. Die Band, sie brannte so lichterloh wie die Hindenburg 43 Jahre zuvor. Der Zeppelin sank zu Boden. Es sah aus wie das Ende, aber es wurde nichts draus.

Jimmy Page im November 2007 in London. (Foto: Foto: AP)

"Nie zuvor hat sich ein Publikum derart strikt geweigert, die Untätigkeit eines Künstlers zur Kenntnis zu nehmen", schreibt Cameron Crowe, der als Chronist und Freund der Band bekannt gewordene Rolling Stone-Autor und Regisseur, in dessen Film "Almost Famous" eine fiktive Band namens Stillwater auftritt, von der viele sagen, Led Zeppelin habe für sie als Blaupause gedient.

"Kein Kommentar", sagt Jimmy Page, wenn man ihn danach fragt, ob das so seine Richtigkeit hat. "Kein Kommentar" lautet auch die Antwort, wenn es darum geht, ob es bei Led Zeppelin möglicherweise ähnliche Exzesse gegeben habe wie im Film, wo der Robert Plant nicht unähnliche Sänger im Drogenrausch davon faselt, er sei ein goldener Gott. Immer wieder: "Kein Kommentar." Wie viel LSD steckte im psychedelisch angehauchten Mittelteil von "Whole Lotta Love", wo seltsame Klangschleifen mit Plants verhallender Stimme eine Drogenparty feierten: "Kein Kommentar."

Der berüchtigte gelangweilte Blick

Wenn Page die "Kein Kommentar"-Methode zu langweilig wird, schwenkt er rüber zum "Ich weiß nicht"-Spiel. Die wichtigsten Led-Zeppelin-Riffs? "Ich weiß nicht." Das wichtigste Album? "Ich weiß es nicht." Irgendwann schaltet sich der gelassene John Paul Jones ein. "Not on LSD", sagt der Bassmann vieldeutig zum Mittelteil von "Whole Lotta Love". Ob die Band indes bei den Aufnahmen so nüchtern war, wie sie sich heute gibt, das lässt auch er offen.

Wenig ist im Landmark Hotel zu spüren vom Geist, der die Band mal umwehte. Page (Jahrgang 1944) und Jones (Jahrgang 1946) wirken wie zwei Geschäftsleute, die mit dem Mythos einer großen Marke handeln, einer, die in den frühen Tagen nach der Gründung 1968 revolutionär wirkte. Niemand vorher hatte so konsequent Blues in harten Rock übersetzt und später mit folkloristischen und jazzigen Elementen angereichert.

"Wir waren vier sehr gute Musiker, die mit sehr viel Ehrlichkeit zugange waren", erinnert sich Page. "Uns ging es um Dynamik. Wir haben schon damals etwas gefühlt, was man heute vielleicht Synergie nennen würde. Wir haben etwas geschaffen, das größer war als die Summe der vier Musiker. Das hatte damals keine andere Band", sagt er und leistet sich leichten Spott an die Adresse des Gesprächspartners: "Ich weiß nicht, ob Fleetwood Mac das jemals hatten."

Beim Erinnern springt Kollege Jones bei. "Uns ging es nie um die persönliche Selbstdarstellung, uns ging es um die Band", schwört er und gibt sich als Sklave seines Gitarristen: "Wenn Jimmy das Tempo ändern oder sonst wohin wollte, dann waren wir da, um ihm zu folgen."

Für einen Moment rührt sich auch in der grandiosen Langeweile von Page so etwas wie eine Emotion: "Wir hatten immer diese Spannung in der Band. Es klang alles, als könnte es im nächsten Moment zusammenbrechen. Aber das hat es nie getan. Wir haben diese Spannung gehalten. Das war unsere Leistung."

Ha! Günstige Gelegenheit, um noch einmal nach dem besten Riff zu fragen! "No Dear!", kontert Page umgehend. Er müsste das aber wissen, er hat das doch gespielt! Antwort: "Ich weiß nicht." Mit welchem Song es ihm denn am besten ergangen sei? "Mit allen". Wem will er das denn erzählen? "Ich kann Ihnen das nicht erzählen. Warum kann ich Ihnen das nicht erzählen?"

In seine Langeweile mischen sich vereinzelte Körner von Zorn. Der Zorn mündet in eine kleine Predigt: "Wir haben jeden Abend an den Songs gearbeitet. Das Große an Led Zeppelin war, dass wir niemals aufgehört haben, uns vorwärts zu bewegen. Wenn einer in einem dreieinhalb Stunden langen Set schwache 15 Minuten hatte, dann haben die anderen das überspielt. Keiner ist da raufgegangen und hat mit seinem Fahrrad launige Runden gedreht. Everyone was pedalling like fuck!"

Page lehnt sich zurück und setzt erneut jenen gelangweilten Blick auf, der wohl schon Ende der Siebziger dazu beitrug, dass die Band nicht mehr zu den Lieblingen der Kritik gehörte.

Danke, hohes Gericht

So veröffentlichte die legendäre Musikbibel Sounds 1979 zur Besprechung der letzten echten Led-Zeppelin-Platte "In Through The Out Door" kurzerhand die Kritik, mit der 1976 das VorgängerAlbum "Presence" zu Recht verrissen worden war. Zentraler Satz: "Ein Scheißgefühl muss das sein, wenn die Kreativität längst abgestorben ist, der Markt aber immer neue Produkte fordert."

Was sagt man als Künstler zu solchen Kritikern? "To fuck off", brummt Page. Über ein Vierteljahrhundert danach ist ihm bei solchen Gelegenheiten immer zum Erbrechen zumute: "Journalisten hatten überhaupt keine Ahnung davon, was wir getan haben. Die haben nicht verstanden, worum es ging. Was die geschrieben haben, hatte nie etwas mit unserer Musik zu tun", schimpft er und animiert mal wieder seinen sonst sehr ruhigen Bandkumpel Jones.

"Journalisten hatten Spaß daran, Bands zu zerstören. Sie sagten, du kannst nicht Punk und Led Zeppelin hören", konstatiert der Bassist. "Punk war das Gute, das Ehrliche, und Led Zeppelin waren das Böse, das Aufgeblasene. Ich habe das nie verstanden. Das was die Punkbands gemacht haben, war - bis auf die Spuckerei - so ziemlich dasselbe, was wir 1968 gemacht haben. Es ist beides Kick-Ass-Musik."

Punk ist das Stichwort, bei dem Page wieder aus der Sofaecke kommt und sich zum Quizmaster aufschwingt. "Wie hieß die zentrale Band des Punk?", will er plötzlich wissen. Antwort: Die Sex Pistols. "Dankeschön. Wer war der Sänger der Sex Pistols?" Johnny Rotten. "Richtig. Was hat der nach den Sex Pistols gemacht?" Die Band PIL gegründet. "Danke. Und welchen Song haben die gespielt? ,Kashmir'. Danke, hohes Gericht. Mein Plädoyer ist beendet." Page lehnt sich wieder ins Polster. Er ist der Sieger. Und grinst.

"Fragen Sie Robert Plant. Der redet gerne darüber"

Als Sieger gelten Led Zeppelin dieser Tage sowieso, denn als bekannt wurde, dass sie am 10. Dezember zu Ehren des 2006 verstorbenen Plattenfirmenchefs Ahmet Ertegun in London ihr erstes echtes Konzert seit 1980 geben wollen, gab es Millionen Anfragen für die 125 Pfund teuren Tickets. Niemals zuvor hat eine Band einen solchen Run ausgelöst. "Es soll eine gute Show werden, keine Hetzerei durch die größten Hits", verspricht Jones.

"Ursprünglich wollten wir nur eine Stunde für die Ahmet-Ertegun-Stiftung spielen", berichtet Page: "Dann haben wir bei ersten Proben so gut zusammengepasst, fast wie am ersten Tag, dass wir gesagt haben: Lasst uns mehr tun." Am Schlagzeug sitzt nun Jason Bonham, der Sohn des verstorbenen Drummers, und obwohl das Konzert noch nicht gelaufen ist, machen bereits Spekulationen die Runde, dass dieses einzige Konzert nicht das einzige bleiben wird. Erstaunlicherweise lautet Pages Antwort: "Ich weiß nicht." Klingt immerhin nicht gerade wie ein Dementi.

Letzte Frage: Seit dem vierten Album finden sich auf den Zeppelin-Platten mysteriöse Zeichen, für jeden Musiker eines. Was bitte bedeuten diese Zeichen? Jones findet, das sei eine gute Frage. "Ich habe sie auch nie richtig verstanden", grinst er und lenkt seinen Blick erwartungsvoll auf Page. Der seufzt lang und gibt sich dann als fauler Zauberer, der ein bisschen Berufsehre vorschützt. "Ich habe sie verstanden. Aber ich erkläre sie nicht." Bitte! "Nein, nein, will ich nicht. Vielleicht irgendwann mal, zehn Minuten vor Mitternacht, aber nicht jetzt. Fragen Sie Robert Plant. Der redet gerne darüber."

Ein paar Stunden nach dem Interview stoßen auf dem Londoner Flughafen Heathrow eine Boeing 747 und ein Airbus A340 auf dem Rollfeld zusammen. Niemand kommt zu Schaden, aber der Flugverkehr eine Weile zum Erliegen. Die Ära der schnellen Bewegung scheint an ihr Limit zu stoßen. Zeit für den Zeppelin, nochmal durchzustarten.

© SZaW v. 10./11.11.2007/korc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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