Lara Croft ist wieder da:Unverhofft kommt Croft

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Lara, die bytegeborene Venus in Shorts, boxt sich in ihrem sechsten Computerspiel auf die Höhe der Zeit. Immerhin. / Mit Bildergalerie.

BERND GRAFF

Nichts fürchten die Produzenten von Computerspielen so sehr wie ihr launisches Publikum. Und so ist die folgende Nachricht Gift für sie: Um neue Kunden zu gewinnen, so die New York Times, müsse man nicht mehr viele Millionen Dollar in die Entwicklung immer neuer Video-Spiele stecken. Simple Tetris- oder Pac-Man-Varianten entzücken derzeit wieder die Verbraucher. Das sind Spiele aus der Pixelsteinzeit, deren Action- Potential gerade zu einem Auffahrunfall in zwei Dimensionen reicht.

(Foto: N/A)

Die Spielproduzenten, bislang Architekten vollmöblierter Komplettwelten, werden auf diesen Trendwechsel nicht so schnell reagieren können. Denn sie brauchen - neben einer dicken Brieftasche - vor allem Ausdauer und Beharrlichkeit. Wer heute eines der avancierteren Spiele herausbringt, hat mit dessen Umsetzung bereits 1999 begonnen. Und das Risiko ist groß, am Ende mehr investiert als gewonnen zu haben. Da sind zum einen die leidigen Raubkopien, die kein Geld einbringen. Und zum anderen gibt es mittlerweile einen fast peinlichen Reichtum an Spielen. Der Markt quillt über. Die Spiele-Industrie setzte zwar in Deutschland im vergangenen Jahr immer noch fast 1,5 Milliarden Euro um. Doch die Umsatzzahlen sinken. Die Summe der verkauften Titel, so berichtet der Verband der Unterhaltungssoftware, ist im Jahr 2002 zum zweiten Mal in Folge gesunken - um fast 14 Prozent. Wie Kinofilme müssen sich neue Spiele also schnell amortisieren. Das window of opportunity verengt sich zu einem schmalen Schlitz zwischen langer Produktionszeit und dem drohenden Verramschen.

In diese aufgeregte Malaise hinein platziert nun einer der Giganten auf dem Spielemarkt, Eidos Interactive, den sechsten Teil einer Folge, die ganz auf einen Dauerbrenner-Effekt setzt. Das Unternehmen annonciert den neuesten Teil der weltweit bereits 30 Millionen Mal verkauften Tomb Raider-Serie. Vier Millionen Euro hat allein die Weiterentwicklung dieses Titels gekostet. Drei Millionen Euro will man dennoch nur in Deutschland für die Werbung ausgeben. Das ist erstaunlich: Die Heldin des erstmals 1996 vorgestellten Sequels ist Lara Croft, jene bytegeborene Venus in Shorts, deren Physiognomie von einer schwerkraftresistenten, pectoralen Hypertrophie bestimmt wird. Und Ms. Croft ist einer der seltenen Stars unter den virtuellen Wesen.

Das Time-Magazine ernannte Lara zu einer der 100 wichtigsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die Firma Gucci schneiderte ihr einen virtuellen Bikini, ihr Terminkalender wird von der Creative Artists Agency, einer renommierten Künstlervermittlung, geführt. Bald schon wird der zweite Film zu den Computerspielen zu sehen sein - wieder mit Angelina Jolie in der Hauptrolle. Überhaupt versuchen zahllose menschliche Doppelgänger, dem Computergeschöpf Lara Croft so "ähnlich" wie möglich zu sehen. Offizielle Stellvertreterin Laras auf Erden ist derzeit die 21-jährige Niederländerin Jill de Jong. Eine ihrer Vorgängerinnen, Nell McAndrew, geriet 1999 in die Schlagzeilen, weil sie unter dem Lara-Croft-Logo für den Playboy posieren wollte, was ihr gerichtlich verboten wurde. Genauso mussten alle Webseiten schließen, die Nacktbilder und "Nude- Raider-Patches" feilboten, mit denen man Lara wie Eva ins Abenteuer- Paradies schicken konnte.Die Computer-Lara ging mit U2 auf Tournee, träumte in einem Werbespot für Brigitte von Brautkleidern und schmückte die Titelseiten von US Today, The Face, Wall Street Journal und ein Video der Ärzte.

Lara Croft ist also wieder da und kämpft nun im urbanen Dschungel. Angel of Darkness heißt die neue Folge, die in Paris und Prag spielt. Verhandelt wird ein mysteriöses Komplott, das mindestens seit dem Mittelalter durch den aufklärungsfreien Raum spukt. Lara wird als Mörderin verdächtigt, ist aber nicht mehr mutterseelenallein unter Werwölfen. Weil sie neuerdings mit ihren Mitprogrammierten kommunizieren kann, hat man ihr einen gewissen Kurtis Trent an die Seite gestellt, der zwar ein Leid geprüftes Seelchen, aber auch ordentlich Schmackes in den Oberarmen hat.

Und doch ahnt man, warum dieser Star gerade heute so aufwändig beworben werden muss. Die Etablierung eines flirtfähigen Prügel-Companeros im nächtlichen Paris und das Raunen fieser Alchimisten sind als Spiel-Topoi allein kaum mehr der Rede wert. Klar, Laras Gitterskelett wurde verfeinert, die Polygon-Brüste sind straffer denn je. Laras Gegner haben ein wenig an der Künstlichen Intelligenz genascht. Und die Lara-Welt samt Wetter sind naturgemäß komplexer geworden. Außerdem spielt das Londoner Symphonie Orchester.

All das aber war zu erwarten. Schließlich geht das Lara-Epos ins achte Jahr, und da sollte sich die Heldin, wenn sie schon nicht altert, wenigstens technisch auf die Höhe der Zeit durchgeboxt haben. Und das ist es auch, was die Lara 2003 von jener des Jahres 1996 unterscheidet: Sie wird keine Sensationen mehr auslösen. Es kann zwar nur eine Lara Croft geben, doch lassen sich inzwischen Legionen von Third-Person-Heroen durch ähnlich konstruierte, virtuelle Welten hetzen. Lara ist inzwischen die Großmutter aller Monitorschlachten und gewissermaßen das prominenteste Opfer eines von ihr mit- begründeten Genre-Erfolges. Aber das ist jetzt auch schon egal. Jetzt, da wir bald alle wieder Tetris spielen.

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