Kurzkritik:Zuckerbabys

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"Tocotronic" mit hedonistischem Lebensgefühl im Strom

Von Ekaterina Kel, München

"Hallo Sauna 'Deutsche Eiche'!", postete Tocotronic nach dem Konzert auf Facebook. Recht haben sie, die vier ewig-jungen Könige der deutschen Indie-Rock-Szene. Es war heiß, proppenvoll und schwitzig im Strom beim Pre-Release-Konzert ihrer nun schon elften Platte "Das rote Album", die am 1. Mai erscheint.

Dirk von Lowtzows Pullover hat ein Loch am Ellbogen, und auch seine Stimme hängt etwas schief, doch das gehört zum individuellen Klang der 20 Jahre alten Band, genauso wie ihre unverwechselbaren Rückkopplungsspiralen zwischen den Songs und ihr Hang zum mystischen Hall von gesungenen Lebensweisheiten. Zu Anfang dröhnt Prokofjews "Romeo und Julia" im opulenten Orchesterklang. Ob dies Zeichen wahrer Liebe oder ironischen Kitschs ist - Tocotronic betreten die Bühne mit viel Pathos. Und verlegen ihr Konzert ins Reich der Empfindsamkeit.

Die Herren haben das Lebensgefühl des hedonistischen Hipsters mit Löffeln gefressen: Die Kapitulation haben sie schon vor einiger Zeit angepriesen, in ihren neuen Liedern wollen sie den ganzen Tag im Bett liegen und knutschen und sich für alles öffnen. Ironie ist ebenfalls angesagt - der Song "Die Erwachsenen" ist das beste Beispiel. Was für eine süße Selbstverständlichkeit, mit der Dirk "Wir sind Babys" säuselt und gleichzeitig seine grau melierten Stirnfransen zum Takt schwingt. Souverän und offensichtlich unwahr. In der unerwarteten dritten Zugabe erwecken die Träumer eines ihrer ersten Liebeslieder von 1995 "Drüben auf dem Hügel" wieder zum Leben. Auch Hass, das Elementargefühl schlechthin, gehört dazu: "Aber hier leben, nein danke", schreit das Publikum mit. Dirk hebt die Faust - und alle tun es ihm nach. Das Konzert setzte sich aus neuen Liedern und unsterblichen Klassikern wie "Die Grenzen des neuen Geschmacks 2" oder "Let There Be Rock" zusammen. Für kleine, fast verlorene Schätze ist an diesem Abend aber leider kein Platz. "Danke, meine Zuckerbabys!" ruft Dirk den nassgeschwitzten Fans zu.

© SZ vom 30.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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