Kurzkritik:Unendlich groß

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Patti Smith und ihre Band beim Tollwood-Festival

Von Egbert Tholl, München

Patti Smith erzählt auf dem Tollwood zwei Geschichten, eine davon eher unfreiwillig. Das Konzert läuft noch nicht sehr lange, man ist gerade im dritten oder vierten Lied, da verschwindet sie. Die Band rollt unermüdlich im Rhythmus weiter, Patti Smith kehrt zurück, entschuldigt sich und nennt auch den Grund ihres kurzen Fernbleibens: Sie musste bieseln, was ihr eigentlich nie passiert, es muss wohl am "Spirit" von München liegen. Dass sie es so unverblümt erzählt, liegt indes an ihrer Grundhaltung dem Leben gegenüber, liegt an Feminismus, unverbrüchlicher Authentizität und, ja klar, am Punk. In der anderen Geschichte erzählt sie, dass sie am Sonntag in der Oper war, was sich an sich kaum mit Punk verträgt, sollte man meinen. Aber wie sie dann von Waltraud Meier erzählt, die an jenem Abend zum letzten Mal die Isolde gesungen hat, das hat in der Bewunderung großer Kunst eben doch wieder viel von der Lust am Nicht-Normierten. Man solle doch bitte Frau Meier von ihr grüßen, "the fucking greatest singer", was wir hiermit gerne tun. Dann stürzt sich Patti Smith mit Furor in ein groß angelegtes psychedelisches Gitarrenerlebnis, vertreibt mit Macht das, wovon sie zuvor erzählte und worüber sie Musik machte.

68 Jahre ist Patti Smith alt, und sie hat überlebt. Nun spielt sie "Elegie", zusammen mit ihrer Band The Horses, in der noch zwei der Urbesetzung, Lenny Kaye an der Gitarre und Jay Dee Daugherty am Schlagzeug, dabei sind. Der Song ist ein Requiem für all die Toten, für die Ramones, Morrison, Hendrix, Lou Reed. Am Ende nennt sie Robert Mapplethorpe, mit dem zusammen sie vor vielen Jahren nach der für ihre Ausdruckslust passenden Form suchte; es wurde die Lyrik, und damit die ein bisschen lauter ist, die Musik. Wenn sie dann "My Generation" singt, dann meint sie die Generation der Toten - kein Wunder, dass sie so berührt war, als sie Waltraud Meier den "Liebestod" singen hörte.

Das Konzert besteht aus dem ersten Album, "Horses", exakt 40 Jahre alt, besteht aus einem Velvet Underground-Medley und vor allem aus tief empfundenem Text, dessen Vertonungen meist ganz leise beginnen, und sich dann immer weiter steigern, lauter, schneller, wilder werden, bis die Worte gespuckt, geächzt, gegrunzt und ausgespien werden. Smiths Würde bei allem Treiben ist unermesslich, und wie sie am Ende alle Saiten auf der Gitarre vernichtet und dem zerrupften "Engelshaar" die allerletzte Rückkopplung entlockt, das ist unendlich groß.

© SZ vom 15.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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