Kurzkritik:Überwältigend

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Julia Fischer und das Petersburg Philharmonic Orchestra in der Gasteig-Philharmonie

Von Klaus P. Richter, München

Lange 89 Takte muss die Solistin im Violinkonzert von Brahms warten, bis sie mit ihrem fulminanten Forte einsetzen darf. Das gab lange Gelegenheit, über den Klang des St. Petersburg Philharmonic Orchestra bewundernd zu staunen: ein tiefgründig-blühender "deutscher" Klang, wie ihn höchsten noch die Dresdner unter Thielemann zustande bringen. Das älteste Orchester Russlands, mit einem dirigentischen Adelsstammbaum von Richard Strauss, Arthur Nikisch, Bruno Walter, Otto Klemperer bis Jewgenij Mrawinsky, zeigte in der Gasteig-Philharmonie von dem ersten Takt an, was bewegende Klangkultur ist. Dann kam Julia Fischer und verzauberte mit ihrem leuchtenden Espressivo - ebenfalls vom ersten Takt an.

Versteht man das Brahms-Konzert als "Klassik" in der Spätromantik, wäre das eine Wahl zwischen zwei Interpretationsoptionen. Aber Julia Fischer ging ihren eigenen Weg: Sie fügte sich wunderbar in die Dialektik mit dem Orchester, die weniger aus dem Wettstreit lebt, sondern mehr aus dem Ausgleich - gestaltete den aber mit höchst virtuosem Elan und edler Kraft. Damit leuchtete sie die Kadenz von Joseph Joachim in ihren verschiedenen Schichtungen aus, führte mit schwärmerischer Lyrik durch die fis-Moll-Kantilene des Adagios und mit Verve in das Forte des Finales.

Die Zugabe bekräftigte ihr Bekenntnis zu beseelter Virtuosität: die berühmte 24. Caprice von Paganini. Dann kam das Bekenntnis von Yuri Temirkanov, dem Maestro der St. Petersburger, zu einem existenziellen Tschaikowsky. Der Nachfolger Mavrinkys, ohne Dirigentenstab weniger taktschlagend als pointiert modellierend, führte in der vierten Sinfonie nicht eine sentimentale Nervenmusik vor, sondern Ernst, Ethos und Format einer gewaltigen Seelen-Programmmusik.

Wieder überwältigte das Orchester, dieses Mal in voller Besetzung mit seiner unerhörten Klangkunst: von der feinen Koloristik der Holzbläser, dem Melos der Andantino-Kanzone und dem pittoresken Pizzicato des Scherzos bis hin zum folkloristisch inspirierten "con fuoco"-Kehraus des Finales. Heftiger Beifall.

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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