Kurzkritik:Stimmungslinien

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Rudolf Buchbinder und die Münchner Philharmoniker

Von Andreas Pernpeintner, München

Lange applaudieren die Zuhörer in der ausverkauften Philharmonie vor der Pause. Sie haben recht: Rudolf Buchbinder, Herr des Klaviers, hat wunderbar gespielt. Aber Buchbinder gibt keine Zugabe - und hat ebenso recht: Welches Stück sollte man als Zugabe zu Brahms' Erstem Klavierkonzert spielen?

Begonnen hat der Abend mit Mendelssohns Ouvertüre zu "Ruy Blas" op. 95, die die Münchner Philharmoniker unter der Leitung ihres Ehrendirigenten Zubin Mehta sehr charmant umsetzen: stringent, präzise, Mehta in seinen Vorgaben absolut unaufgeregt. Die Ouvertüre kommt so trefflich zur Geltung, klingt kräftig, aber nie entfesselt, frisch in den filigranen Passagen - und ist bestens inszeniert, wie die Bläser im bewegten Gewusel streng zur Besinnung rufen.

Ein solch schlankes, griffiges Musizieren bewährt sich phasenweise auch beim Brahms-Konzert. Im Kopfsatz etwa, dessen düsteren Einstieg und süffige Melodik die Philharmoniker sehr unprätentiös angehen, weitgehend ohne Pathos. Schön auch der süße Orchesterbeginn des Adagios - dann setzt Buchbinder ein. So zauberhaft still und gläsern, wie er das tut, wirkt das, was das Orchester soeben vorlegte, im Vergleich etwas weniger beglückend. Darin liegt ein wenig die Krux: Das ganze Werk über gibt Buchbinder im Ausdruck, ja selbst klangfarblich, stets etwas mehr als das Orchester, spielt lyrisch dichter, wärmer, donnernder, virtuoser. Besonders im feurigen Finalsatz wird dies deutlich, den die Philharmoniker nicht übermäßig engagiert lodern lassen.

Trotzdem bleiben die Philharmoniker am Ende überaus positiv in Erinnerung: für ihre Interpretation von Tschaikowskys Sechster Symphonie nach der Pause. Eigentlich ändern sie ihre Herangehensweise nicht grundlegend. Nach wie vor beleuchten Mehta und seine Musiker nicht jedes Detail, das man beleuchten könnte, nach wie vor werden die Ausdrucksmomente nicht intensiviert. Genau das aber erweist sich hier als fruchtbar: weil dadurch die groß angelegten Stimmungslinien unverbrämt zur Geltung kommen, weil dadurch diese überaus opulente Musik expressiv, aber nie überstrapaziert klingt, manchmal geradezu verbindlich. Dazu sind die Bläser (Holz wie Blech) in meisterlicher Tagesform. Fabelhaft.

© SZ vom 30.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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