Kurzkritik:Reden ist schwer

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"Building Conversation" - ein Sprachprojekt mit Tücken

Von Petra Hallmayer, München

Dass ein Gespräch in einer größeren Gruppe gelingt, ist keineswegs selbstverständlich. Dafür haben alle Kulturen besondere Techniken entwickelt. Mit einigen davon experimentiert das Stadtraumprojekt "Building Conversation", das Lotte van den Berg und Daan't Sas für die Kammerspiele realisierten. Jeder Teilnehmer kann sich dabei einer von drei Gruppen anschließen, die sich im Marienhof treffen. Elf Menschen machten sich unter Leitung der Pathos-Chefin Angelika Fink von dort auf den Weg zur Praterinsel, um ein "(Un)Mögliches Gespräch über Gott" zu führen, das auf einer Gesprächspraxis der Jesuiten basiert.

Zum Auftakt sollen wir nach zehnminütiger Besinnung auf Zetteln ein Erlebnis notieren, bei dem wir die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes körperlich gespürt haben. Der Zwang zur Verschriftlichung erweist sich als ein wunderbares Mittel gegen das Drauflosschwätzen. Reihum werden die Notizen vorgelesen, die um existenzielle Erfahrungen, Tod, Geburt und Liebe kreisen. Als wir jedoch abermals in uns gehen und aufschreiben sollen, welche Geschichte uns tief berührt hat, stehlen sich zwei Frauen enttäuscht davon. Danach dürfen alle ihren Gedanken freien Lauf lassen, und es entspinnt sich eine Diskussion über den Holocaust, die Frage, warum Gott in die höllenfinsteren Kapitel der Geschichte nicht eingegriffen hat. Als zu "theoretisch" empfindet Angelika Fink bald die Argumentationen und drängt uns sanft zu persönlicheren Äußerungen ganz im Sinne der Regisseurin und der von Theologen wie Friedrich Wilhelm Graf konstatierten Subjektivierung religiöser Diskurse, des modernen Glaubens, dass also die wahren Wahrheiten nur im Bauch zu finden sind. Dem stimmen viele zu, wenden jedoch ein, dass Gotteserfahrungen die Grenzen der Sprache sprengen oder wie die Sufis es ausdrücken: "Worte bleiben an der Küste." In der Folge mäandert das Gespräch richtungslos zwischen privaten Erlebnissen und aufflackernden Reflexionsansätzen, von denen keiner nachhaltig verfolgt wird.

So lernen wir auf der Praterinsel vor allem, dass sich Kommunikationstechniken nicht so einfach aus ihrem kulturellen Kontext herauslösen lassen. Während die Jesuiten ein gemeinsames Glaubensfundament und einen ebensolchen Wissensschatz haben, muss diese kunterbunt zusammengewürfelte Gruppe sich erst aufeinander zutasten, bald hierhin, bald dorthin schlingernd nach basalen Übereinkünften suchen. So fehlte dem Abend am Ende just das, worauf die jesuitische Technik abzielt und was ein wirklich gelingendes Gespräch auszeichnet: Konzentration, Intensität und Tiefe.

© SZ vom 05.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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