Kurzkritik: Pop:Einnehmend

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Philipp Poisel nutzt die Olympiahalle als Spielplatz

Von Christiane Lutz, München

Philipp Poisel ist, mit Verlaub, der wohl liebenswerteste Mensch der Welt. Anders lässt sich nicht erklären, was am Freitagabend in der Olympiahalle passiert. Da sind zunächst 10 500 Menschen, die den Eindruck machen, sie könne gar nichts mehr vom Hocker reißen. Lahmes Klatschen nach "Mein Amerika" und "Geh nicht". Aufs Handy gucken, Stille sogar, obwohl Poisels Performance absolut ein Grund zur Freude ist. Was ist da los? Poisel aber, der Singer-Songwriter, der mit herzzerreißender Stimme Herzzerreißendes singt, startet seine ungewöhnliche Show, die - ja, was eigentlich? - eine Mischung aus Kleinkunst, Folklore und Party ist.

Für jeden Song hat er, der nicht müde wird, seine Band mit einzubeziehen, sich etwas ausgedacht. Bei "San Francisco Nights" etwa rollt ein kleiner gelber Bus über die Bühne, zu "Zum ersten Mal Nintendo", eine Hommage an seine Kindheit in den Neunzigerjahren, hüpfen als Tetris-Elemente verkleidete Menschen herum, und Poisel düst mit Inline-Skates umher. Zu "Das kalte Herz", ein Song, den Poisel für die Verfilmung des gleichnamigen Schwarzwald-Märchens geschrieben hat, traut er sich gar, eine Folkloregruppe mit Bollenhüten auf die Bühne zu holen. Hallen dieser Größe verführen die Künstler sonst eher zu Pyro-Wahnsinn und Lichter-Bombast. Poisel nutzt die Bühne als Spielplatz seiner Kindheits- und Bastelträume. Das ist alles so liebevoll erdacht, das ist so wunderbar umgesetzt, dass man ihn, der stets etwas unbeholfen wirkt, gleich noch einmal fester in den Arm nehmen möchte.

Überhaupt ist das die Kunst des Philipp Poisel: Er nimmt mit all seiner Verschrobenheit unironisch für sich ein, was bei anderen unglaubwürdig oder gar peinlich wirken könnte. In einer gut zweieinhalbstündigen Show mit alten und neuen Songs, teilweise im Duett mit der zauberhaften Alin Coen vorgetragen, kriegt er das schläfrige Publikum schließlich doch noch rum. Gemeinsam mit Philipp singen 10 500 Menschen: "Ich will nur, dass du weißt, ich hab dich immer noch lieb." Und jedes Wort ist ernst gemeint.

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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