Kurzkritik:Nicht nur süßer Pop

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Asaf Avidan zeigt sich im Backstage facettenreich

Von Theresa Hein, München

In der kleinen Halle im Backstage steht die Luft. Es ist so heiß, dass Asaf Avidan zweimal anmerkt, wie nett jetzt eine Klimaanlage wäre. Dann sagt er: "Wenn ich schmelze, dann schmelzt Ihr alle mit mir". Das ist sehr treffend, weil einen an diesem Abend außer der Hitze auch noch viel süßer Pop erwartet. Umso überraschender ist dann allerdings, dass sich das für den Bekanntheitsgrad des Sängers vergleichsweise intime Konzert rasch in einen Bluesrock-Abend verwandelt.

Der Israeli Avidan kann seine Stimme feminin und männlich zugleich klingen lassen. Das stellt er in den Balladen "Gold Shadow" und dem Hit "Cyclamen" unter Beweis, das weiß seit dem "Reckoning Song" sowieso jeder. Aber dank eines sehr guten Drummers und einer überzeugenden Gitarristin darf Avidan auch schreien, den Mund aufmachen, zeigen, was er eigentlich drauf hat. Nach etwa einem Drittel des Konzerts lässt er die schlangenartigen Bewegungen und die Selbstinszenierung als graziler, verletzlicher Sänger hinter sich - genau wie das Janis-Joplin-Korsett, in das Feuilleton und Fans seine Stimme gepresst hatten. Die Songs werden mit Gitarrensoli in die Länge gedehnt, und das Klangbild, das beim Publikum ankommt, macht klar, dass hier keiner der sechs Musiker zu viel auf der Bühne steht. Irgendwann wird auch die Klimaanlage wieder eingeschaltet und ein Rauschen, ähnlich einem sehr lauten Plattenspieler, begleitet die Musik. Der Stimmung von Band und Publikum tut das keinen Abbruch.

Nur am Schluss, zur Zugabe, bricht dann doch der Kitsch durch bei diesem phantastischen, leidenschaftlichen Bluesgemetzel von "Hangwoman". Bei dem Song, bei dem man nicht mehr sagen kann, wer da so schön leidet, die Stimme oder ob es die Gitarren sind, fordert Asaf Avidan sein Publikum zum Springen auf und faselt etwas von der Schwerkraft und vom freien Menschen. Schlagartig ist man wieder auf dem Boden - ob wegen des Kitschanfluges oder wegen der Schwerkraft. Draußen regnet's.

© SZ vom 11.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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