Kurzkritik:Jubelarien

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Waltraud Meier verabschiedet sich von ihrer "Isolde"

Von Egbert Tholl, München

Am Ende steht sie da, geliebt und gerührt, das Publikum hält es nicht mehr auf den Sitzen, alle Zuschauer springen auf. Sie wissen, hier geht eine Ära der Interpretationsgeschichte zu Ende, und diese Ära heißt Waltraud Meier. 22 Jahre lang hat sie die Isolde gesungen, nun beendet sie ihre Beziehung zu der Partie. Noch einmal wird sie sie singen, am 12. Juli, aber für die Zuhörer an dem Abend ist dieser der letzte. Und so nehmen sie mit Jubel Abschied. Waltraud Meier steht nun allein vor dem Vorhang, blickt dankbar ins Nationaltheater, die Augen schimmern feucht, und irgendwann in diesem Sturm der Begeisterung hebt sie ganz leicht die Schultern, als wolle sie sich entschuldigen, als wolle sie sagen, tut mir leid, aber irgendwann muss halt Schluss sein. Und Dankeschön, dass es euch gefallen hat.

Nikolaus Bachler, der Intendant der Bayerischen Staatsoper, hat sie dazu überredet, diesen Abschied bei den Opernfestspielen zu begehen. Eine Hilfe beim Überreden dürfte der Dirigent gewesen sein, Philippe Jordan. Er umsorgt die Sänger mit einer seltenen Aufmerksamkeit, ohne dabei zaghaft zu sein. Er lotet die Grenzen im Verhältnis zwischen Gesang und Orchester aus, ist dabei stets achtsam. Vor allem im zweiten Akt zaubert er einen Streicherklang, der schöner nicht vorstellbar ist; das Vorspiel hat einen langen Bogen, ist ein einziges tolles Crescendo über zehn Minuten, auch wenn dabei die Balance zwischen Streichern und Bläsern noch nicht ganz stimmt; der Liebestod ist ein in unendliche Gefilde entschwebender Traum.

Auch Waltraud Meiers Kollegen sind guter Dinge, René Pape ein Marke von phänomenaler Präsenz, Robert Dean Smith stemmt als Tristan einen gewaltigen dritten Akt. Und selbst wenn man manchmal spürt, dass Waltraud Meier nicht mehr die leichte Selbstverständlichkeit in der Stimme hat, dass sie sich manchmal fast ein bisschen Gewalt antun muss - schwer vorstellbar ist eine bessere, umfassendere Darstellerin. Sie gibt und fordert, sie lebt Isolde. Einmal noch.

© SZ vom 10.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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