Kurzkritik: Jazz:Noch zu brav

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Andrea Motis präsentiert sich in der Unterfahrt

Von Oliver Hochkeppel, München

Es dürfte lange her sein, dass in der Unterfahrt eine Trompete so sehr nach Louis Armstrong klang wie die von Andrea Motis gleich zu Beginn ihres Auftritts. Was umso erstaunlicher war, kamen diese klassischen Klänge doch von einer 22-Jährigen, die obendrein ziemlich stilsicher wie eine Billie Holliday oder eine Nancy Wilson singt. Dieser Hang zur Tradition entspringt wahrscheinlich ihrer Ausbildung bei den alten katalanischen Kämpen, die sie auch in der Unterfahrt begleiteten, allen voran ihr Mentor Joan Chamorro am Bass, dann der blinde Pianist Ignasi Terraza, Drummer Esteve Pi und Gitarrist Josep Traver.

Wie ein Ausbildungskonzert wirkte das jedoch auch über weite Strecken. Präsentiert wurde eine staunenswerte Technik anhand von sehr gut Abgehangenem aus Nord- und Südamerika. Dazu als weitere Talentprobe zwei eigene Kompositionen, die ebenfalls wie alte Standards klangen, ein Prise katalanischer Pop ("Louisiana O Els Camps De Coto") und ein bisschen Jam Session, als ihr Freund, der Geiger Christoph Mallinger, mit einstieg. Die Band ließ zunächst in erster Linie Motis glänzen, vor allem der ohnehin stets dezente Pi am Schlagzeug verschwand förmlich. Am interessantesten war noch ein wogender Bolero von Terrazi, der ja ohnehin eine Art katalanischer George Shearing ist (wie zum Beweis spielte er später auch Fats Wallers "Honeysuckle Rose" nicht als Stride, sondern in der Mittellage).

Wenn man böse sein wollte, hätte man zumindest bis zur Pause sagen können, abgesehen von Motis' leichtem Akzent, der aus einem "treat" schon mal einen "Tritt" macht, nichts wirklich Eigenes gehört zu haben. Das änderte sich später, etwa bei einer ungewöhnlichen Bill-Withers-Interpretation und allgemein mit mehr Engagement der Band. Trotzdem blieb es die Musik einer Hochtalentierten, die niemandem weh tut (weswegen Motis nun auch beim amerikanischen Major-Label Impulse ist), ihren eigenen Ausdruck aber erst noch finden muss.

© SZ vom 15.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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