Kurzkritik:Hardbop vom Feinsten

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Saxofonist Wayne Escoffery & Co. glänzen in der Unterfahrt

Von Ralf Dombrowski, München

Dreizehn Stunden saß Stefan Lievestro im Auto, um von Rotterdam nach München zu kommen. Urlaubsverkehr, dumm gelaufen, wo er selbst doch zum Arbeiten in den Süden musste. Allerdings machten die zwei Abende in der Unterfahrt einiges wieder wett, was der holländische Bassist auf sich genommen hatte, um für seinen verhinderten Kollegen Ugonna Ukegwo einzuspringen. Denn so oft bekommt man nicht die Gelegenheit, mit Koryphäen wie dem Saxofonisten Wayne Escoffery, dem Pianisten David Kikoski und dem Drummer Ralph Peterson auf der Bühne zu stehen.

Lievestro schob daher den Streetlag beiseite und fügte sich in eine Band ein, die mit viel Chuzpe den Spaß an der amerikanischen Spieltradition kultivierte. Escoffery zum Beispiel, nicht nur Chef des Quartetts, sondern auch einer jener profunden Charmeure, der selbst nach dem Ablegen des Jacketts noch wirkt wie einer edlen Herrenkollektion entsprungen, präsentierte sich als sublimer Erbfolger einer reflektierten Moderne à la John Coltrane und genehmigte sich wohl dosierte vieltönende Ekstasen ebenso wie geschmeidige Intensität in einer Ballade seines Lieblingskomponisten Billy Strayhorn. Kikoski verhalf der Musik durch pfiffig vitale Balance zwischen wilden, sich in der Soundwirkung flächigen Texturen nähernden Tonausbrüchen und markanten Phrasierungen oder rhythmischen Akzentuierungen zu einer abwechslungsreichen Vielfalt der Klangerscheinung. Peterson wiederum impfte das musikalische Geschehen mit einer wuchtigen Dosis trommelnder Präsenz, stellenweise derart opulent, dass er die Ideen der Kollegen unter einer Mure des Powerdrummings zu begraben drohte.

Da passte es gut, dass sich der holländische Gast mit seinen Basslinien zurückhielt, um die Fülle der Impulse und gestalterischen Angebote nicht noch mit weiteren Optionen zu füttern. So sehr die Band auf der einen Seite durch die umfassende Aufarbeitung stilistischer Grundlagen der jazzenden Moderne brillierte, so deutlich blieb sie daher auf der anderen Seite dem engen Rahmen des fortgeschrittenen hardboppigen Spiels verpflichtet. Dafür lohnte sich die lange Anfahrt, zweifellos, denn die Musik hatte wirklich Klasse. Ob sie letztlich auch Perspektive hat, ist eine andere Frage.

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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