Kurzkritik:Goldener Käfig

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"Nora Reloaded 2015" im Theater Blaue Maus

Von Christina Prasuhn, München

"Ich protestiere gegen Luxus und Dekadenz!" Die Party wird jäh unterbrochen; alle Champagnerlaune ist schlagartig dahin. Society-Lady Nora samt Gäste wissen nicht, wie ihnen geschieht, doch der bärtige Mann mit dem unaussprechlichen Namen gibt keine Ruhe. Ein Flüchtling, der ein Teil ihrer Gesellschaft werden möchte - Nora ist überfordert, aber da es die Höflichkeit gebietet, lädt sie ihn ein, zumindest an diesem Abend mitzufeiern.

Andreas Berner, Gründer des Münchner Heldentheaters, will mit seiner Inszenierung "Nora Reloaded 2015", frei nach Ibsens "Ein Puppenheim" von 1879, einen Bezug zur Gegenwart herstellen. Zunächst durch Kritik an der Wohlstandsgesellschaft, die durchaus unterhaltsam ausfällt: Überall stehen goldglänzende Tüten herum, das verwöhnte Luxusweibchen ist ständig beim Shopping und lässt sich vom Ehemann füttern und mit albernen Tiernamen anreden. In einem Moment werden unangenehme Ereignisse ausgeblendet, um durch das eigene Glück "das Karma der Welt zu verbessern", im nächsten Augenblick leidet Nora unter der Oberflächlichkeit und fühlt sich unsagbar leer.

Leider belässt es Berner nicht dabei, sondern ersetzt eine zentrale Figur der Vorlage - den Intriganten Krogstad - durch den Flüchtling, der in einem langen Monolog seine Empörung über Globalisierung, Profitgier, Krieg, Umweltzerstörung und diverse andere Themen zum Ausdruck bringt. Durch diese Änderung fehlt ein wichtiger Teil der Handlung, und der Rest wird so auseinandergerissen, dass wesentliche Zusammenhänge nicht mehr erkennbar sind.

Im Gegensatz zu Ibsens Familiendrama über Betrug, Schuld und Erpressung, an dessen Ende Nora sich bewusst wird, für ihren Ehemann immer nur ein Objekt gewesen zu sein, entsteht in dieser Inszenierung eine zähe Mischung aus zusammengewürfelter Handlung, Gesellschaftskritik und seltsamen Tanz- und Gesangseinlagen, die wohl für eine ironische Brechung sorgen sollen. Warum genau die Begegnung mit dem Flüchtling Nora dazu bringt, ihren goldenen Käfig zu verlassen, das bleibt offen.

© SZ vom 28.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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