Kurzkritik:Gesellenstücke

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Tänzer üben sich in Nürnberg als Choreografen

Von Florian Welle, Nürnberg

Seit einigen Jahren gibt es am Nürnberger Staatstheater Ballett die Reihe "Exquisite Corpse". Der Name ist von den Surrealisten und ihrem spielerischen Umgang mit der Textproduktion entlehnt, bei dem König Zufall Regie führt. Der Spielcharakter steht auch bei den Nürnbergern im Vordergrund, erhalten doch hier die Tänzer des Staatsballetts unter der Leitung von Goyo Montero Gelegenheit, erstmals die Seiten zu wechseln und sich als Choreografen auszuprobieren.

Beim dritten "Exquisite Corpse"-Abend gibt es nun neun kleine Stücke zu sehen. Sie zeigen eine große Bandbreite inszenatorischer und tänzerischer Stile - erzählend und bebildernd, tiefsinnig und unterhaltsam, konkret und abstrakt. Die Qualität ist unterschiedlich, bei der ein oder anderen Arbeit vermisst man noch den stringenten Zugriff, wird das Thema - etwa die weibliche Schönheit in Sophie Antoines "Rose des Vents" - zwar behauptet, aber choreografisch nicht immer eingelöst. Doch genau dazu ist die Reihe ja da: Fehler dürfen gemacht werden, und auch "Rose des Vents" zu Schuberts ergreifendem Trio in Es-Dur op.100 hat immer dann schöne Momente, wenn die Körpersprache der Tänzer die Innigkeit der Musik widerspiegelt.

Einige der Stücke ließen aufhorchen: etwa Miguel Toros "Zweite Geschichte: Piedad". Erzählt wird von vier jungen Menschen, die wenig gemeinsam haben, außer dass sie Außenseiter sind. Piedad leidet unter ihrer religiösen Erziehung, Richard unter seiner Zwangsstörung, Emma sehnt sich unentwegt nach Aufmerksamkeit, und Manuel ist ganz naives Kind. Toro hat für alle ein eigenes tänzerisches Vokabular entwickelt, und trotzdem kommuniziert auf leerer Bühne jeder mit jedem.

Bemerkenswert ist auch Oscar Alonsos "Look up!". Zur melancholisch minimalistischen Musik von The XX ist die Vereinzelung der Menschen im Zeitalter von Social Media Thema. Hat man gemeint, es sei bereits ausbuchstabiert, zeigt Alonsos Choreografie die ganze Dringlichkeit: Der Verlust an Zwischenmenschlichkeit, den der Einzelne derzeit erfährt, ist unumkehrbar. Man darf gespannt sein, wer von den choreografierenden Tänzern nach seiner Karriere ins Regiefach strebt. Es könnte gut sein, in einigen Jahren von dem einen oder anderen zu hören.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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