Kurzkritik:Fingerfertig

Lesezeit: 1 min

Jonathan Burrows' und Matteo Fargions Handchoreografie

Von Rita Argauer, München

Jonathan Burrows und Matteo Fargion wischen sich ein paar Brösel vom Schoß. Dann versuchen sie zu schaukeln und anschließend zählen sie die übrig gebliebenen Kuchenstücke an den Fingern ab. Doch im Schwere Reiter gibt es weder Brösel noch eine Schaukel oder Kuchen - die beiden Künstler sitzen schlicht auf zwei Stühlen und erzählen über fast 45 Minuten hinweg ausschließlich mit ihren Händen. All diese konkreten Bilder sind dabei Interpretation und Geschichten, die das zuschauende inhaltssüchtige Gehirn zu den puren Gesten des britischen Duos baut.

Dieser als "Both Sitting Duet" betitelte Händetanz bescherte dem Tänzer Burrows und dem Komponisten Fargion 2002 internationale Anerkennung als Performance-Duo. Die unheimliche Präzision und Ernsthaftigkeit, in der die wechselnden Zeichen und die Geschwindigkeit dieser Gesten-Flut konzipiert sind, überzeugt noch immer. Denn die beiden wissen die Spannung in der vermeintlichen Sinnlosigkeit genauso zu halten, wie diese durch trockenen Humor zu brechen. Im Rahmen der Tanzwerkstatt Europa koppeln sie ihren Klassiker jedoch an "Body not fit for Purpose", ihr neuestes Stück, das im vergangenen Jahr als Auftragswerk für die Biennale in Venedig entstanden ist.

Das Grundparadigma dieser Kunst ist noch das gleiche: Burrows ist ein hoch virtuoser und sehr unterhaltender Hand-Choreograf und hat auch diesmal ein gestisches Spiel für einen sitzenden Tänzer geschaffen. Er lässt die Finger, die Handflächen und die Arme rauschen und flattern, während Fargion ihn an der Mandoline begleitet. Doch diesmal wird die pure Zeichenhaftigkeit der Gesten mit Bedeutung aufgeladen: "A Curse on Bankers", "Fear of Immigrants", "Special Interrogation Techniques" oder schlicht "George W. Bush" heißen die einzelnen Tänze. Und durch diese Überschriften kommentieren die Bewegungen plötzlich humorvoll und gleichzeitig zynisch das Weltgeschehen. Und Burrows und Fargion zeigen so auch, wie politisch Kunst heute sein kann, ohne naiv oder ideologisch zu wirken.

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: