Kurzkritik:Ein Himmel voller Saiten

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Das Stockhausen-Heli-Quartett beim Audi-Jubiläum

Von Egbert Tholl, Ingolstadt

Es ist ganz gut zu erleben, dass es sich hier um normale Musiker handelt. Um dies sicherzustellen, spielen die Vier vom Minguet Quartett erst einmal Beethovens Opus 130, das Quartett mit der Großen Fuge. Dazu nehmen sie auf dem Podium im Festsaal des Ingolstädter Theaters Platz und machen sehr schnell deutlich, dass ihnen weniger an akademischer Akkuratesse als an großer Lebendigkeit gelegen ist. Ihr Spiel ist ein Erlebnis wirklich gemeinsamen Musizierens, die Fuge explodiert, und dann ist erst einmal Pause.

Danach kommt Sebastian Wieser aufs Podium, Kulturreferent von Audi, und entschuldigt sich dafür, dass er nun spricht, wo eigentlich Felix Gargerle hätte sprechen sollen, aber dieser, Geiger im Bayerischen Staatsorchester und einer der Technikfüchse der ganzen Unternehmung, muss nun Bratsche spielen, weil Aroa Sorin nach einem Testflug ihre Mitwirkung absagen musste. Wie sehr man sie verstehen kann, sieht man dann gleich bei der Aufführung selbst: Annette Reisinger, zweite Geigerin bei den Minguets, wird blass und blasser, legt sich während des Spiels eine der Papiertüten zurecht, die im Flugzeug die Folgen aufkommender Übelkeiten lokal begrenzen sollen - und benutzt sie. Ganz en passant, denn sie muss ja weiterspielen.

Zunächst aber spricht Wieser von der Live-Vermittlung des Restrisikos zu scheitern, das aber nicht eintritt. Auf der Leinwand sieht man die Live-Übertragung von vier Hubschraubern; noch stehen sie auf dem Rasen, die Musiker nehmen darin Platz, dann heben sie langsam ab - und das Bild schaltet um ins Innere. Ein viergeteilter Bildschirm zeigt die vier Musiker, die Unruhe des Flugs kann man am Fenster hinter ihnen erahnen. Schräge Landschaften, kippende Donau und vier beherzte Könner, die sich auf Tremoli und Glissandi stürzen, dazwischen mit Inbrunst von eins bis 13 zählen und am Ende sogar ein klein wenig sanglich werden. Die Musik kommt zur Ruhe, die Hubschrauber landen. Mit zauberischer Leichtigkeit und stupender Präzision ist geglückt, Karl-Heinz Stockhausens "Helikopter-Quartett" aufzuführen, Synthese aus Technik-Gebrumm und musikantischem Furor, perfekt in den Festsaal übertragen. Eine herrlich gespinnerte Feier des Möglichen.

© SZ vom 21.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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