Kurzkritik:  Ballett:Hochglanzpolierer

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Das Staatsballett nimmt "Raymonda" wieder auf

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Kein Wunder, dass der russische Choreograf Michel Fokine dereinst das seelenlose, rein auf Bravour getrimmte Ballett beklagte und Anfang des 20. Jahrhunderts inniglich traumverloren dagegen hielt. Der Tanzneuerer der Ballets Russes meinte mit seiner Kritik auch das Spätwerk des Epoche-machenden Marius Petipa. Dazu zählt prominent dessen letztes großes, nicht von ungefähr nur selten aufgeführtes Werk aus dem Jahr 1898, der zweiaktige Abendfüller "Raymonda". Der wurde nun in der von Ray Barra 2001 ballettmeisterlich penibel nachbuchstabierten Neufassung vom Bayerischen Staatsballett wiederaufgenommen.

"Raymonda", ein Sammelsurium exotischer Stereotypen und virtuoser Tanzmarionetten, funkelt, wie nicht anders zu erwarten, als ein weiterer Solitär in Igor Zelenskys exquisitem Antiquitätenladen. Und verweist in seiner unbedingten Tanzwut, vorzüglich bedient durch all die hochtrainierten Rollendebütanten, auf die Neoklassik und soll wohl, was fragwürdig ist, den Boden bereiten für George Balanchines dreiaktige "Jewels" in der kommenden Saison, die ganz ohne Plot auskommen.

In vier Bildern bietet "Raymonda" ein farbensattes Gustostück für die Liebhaber des ununterbrochenen Divertissements. Das Ballett rankt sich halbscharig um eine mittelalterliche Ménage à trois. Raymonda soll den strammen, aber faden Kreuzritter Jean de Brienne heiraten. Das tut sie am Ende auch, obgleich der den verbotene Lust verheißenden Kalifen Abderakhman im Duell tötet, dem Raymonda, verführt von einer zauberischen Weißen Frau, zeitweise verfällt. Der hoffärtige Jonah Cook braucht nur einen Hüftschlenker, um die dunkel lockenden Abgründe der Erotik zu markieren. Ksenia Ryzhkova nimmt seine Avancen mit ebensolch unschuldig-puppenhafter Gleichmut hin wie das biedere Werben ihres Verlobten, kraftvoll getanzt von Jinhao Zhang. Dazu zaubert Dirigent Michael Schmidtsdorff sämtliche Finessen aus Alexander Glasunows pikanter Musik hervor.

© SZ vom 24.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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