Kunstausstellungen:Meteoriten, Miniaturen und ein Trauma

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Ein Brocken mit Geschichte und voller Geschichten: Der "Indian Iron", dem Regine Petersen jüngst auf der Spur war. (Foto: Regine Petersen)

Ein Galerienrundgang zeigt Fundstellen von außerirdischen Einschlägen, Tuschearbeiten eines berühmten Romanautors und die Aufarbeitung eines Lebens in der Diktatur

Von Evelyn Vogel

Die einen haben den Niedergang beobachtet und machen widersprüchliche Angaben. Die anderen haben nur davon gehört und berichten übereinstimmend dasselbe. Wer sich mit Meteoriteneinschlägen beschäftigt, trifft immer wieder auf derart Widersprüchliches. Und all die Geschichten entwickeln im Laufe der Zeit zudem eine Eigendynamik, so dass sich irgendwann Realität und Vorstellungen überlagern. Die Fotografin Regine Petersen beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit Meteoriteneinschlägen. Sie folgt Zeitungsberichten, fährt in die entlegensten Gebiete, befragt Zeugen, kramt in Archiven. Vor allem aber sucht sie tatsächliche wie mögliche Spuren und hält sie in ihren Fotoarbeiten fest. Ihre Assoziationsfelder sind weit und schlagen einen großen Bogen vom Tatsächlichen zum Möglichen. Denn nicht nur die Meteoriten liefern Geschichten, auch ihre Fundstellen machen Geschichte. Unter dem Titel "Find a Fallen Star" ist eine Trilogie entstanden. Bei Jo van de Loo, der schon die ersten beiden Kapitel - "Stars Fell on Alabama" (ein Fall aus den Fünfzigerjahren in den USA) und "Fragments" (1958 in Deutschland) gezeigt hat -, ist derzeit das dritte Kapitel "The Indian Iron" (2006 in Indien) zu sehen. Mit ihrer Kamera tastet sich Petersen durch einen Kosmos von Geschichten rund um den Meteoritenfall. Die zum Teil großformatigen Aufnahmen werden ergänzt durch Berichte aus verschiedenen Quellen. Zudem ist im Kehrer Verlag eine dreiteilige Publikation erschienen (49,90 Euro).

Regine Petersen: Find a Fallen Star - Chapter 3: The Indian Iron, Galerie Jo van de Loo, Theresienstraße 48, bis 1. August, Mi-Fr 12-18 Uhr, Sa 12-15 Uhr und nach Vereinbarung 27 37 41 20

Eine Entdeckung ganz anderer Art lässt sich in der Galerie Klüser I machen. Für die Franzosen ist Victor Hugo einer ihrer Nationaldichter schlechthin, für die Deutschen ist er vor allem der Verfasser des "Glöckners von Notre-Dame" und "Der Elenden" - zweier Romane, die man hierzulande noch dazu mehr als Film und als Musical kennt. Dass Victor Hugo aber nicht nur der Autor zahlreicher Romane, Gedichte und Dramen, sondern auch ein ungemein begabter Zeichner war, wissen weder diesseits noch jenseits der Rheins all zu viele. Eine kleine Auswahl an Zeichnungen Victor Hugos zeigt Bernd Klüser aus seiner privaten Sammlung derzeit in der Georgenstraße. Einige der kleinformatigen Tuschearbeiten wirken so abstrakt und modern, dass man kaum glauben mag, dass sie um 1860 herum entstanden sind. Andere muten formal zwar ein wenig traditionell an, wirken aber dennoch frisch. Sie lassen erkennen, wo sie entstanden sind: auf den englischen Kanalinseln. 1851 musste Hugo, weil er sich gegen Napoleon III. stellte, nach Jersey ins Exil gehen, von 1855 an lebte er auf Guernsey im Hauteville House. Aus dieser Zeit stammen etliche der Blätter. Das Hauteville House gab der Ausstellung zudem den Titel. Sie zeigt neben den Hugo-Zeichnungen Fotografien des Franzosen Klavdij Sluban, der 2013 als Artist in Residence dort lebte. In seinen überwiegend mittelformatigen, zum Teil auch großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien fängt er die Stimmung des Hauses und der Umgebung ein. Einzelne Räume, der Garten, manches Detail zeichnet Sluban fotografisch mit Licht und Schatten. Es sind Strukturen, die mitunter minimale Einblicke gewähren, dafür viele Freiräume eröffnen. Man stellt sich vor, wo Victor Hugo saß und schrieb und zeichnete, wie er durch das Fenster nach draußen blickte, wie er durch den Garten schritt. Das alles ist so stimmig, dass es eine Freude ist, in diese Welt einzutauchen, die das Gestern und das Heute verbindet.

Hauteville House Guernsey: Klavdij Sluban (Fotografie) und Victor Hugo (Zeichnungen), Galerie Klüser I, Georgenstraße 15, bis 30. Juli, Di-Fr 11-18 Uhr, Sa 11-14 Uhr und nach Vereinbarung 38 40 81-0

Frisch und überraschend wirkt auch die Gruppenausstellung, die es bei Schöttle derzeit noch zu sehen gibt. Unter dem Titel "Painting Show Part One" vereint er sechs verschiedene Positionen und zeigt Arbeiten von Helene Appel, Jānis Avotinš, Adrian Ghenie, Toulu Hassani, Kour Pour und Florian Süssmayr. Eine Entdeckung ist Kour Pour, ein junger, aus England stammender Künstler mit iranischen Wurzeln. Seine Motive sind angelehnt an die ornamentale Ästhetik und die Figuren altpersischer Teppiche. Doch wie er diese Formen in der Arbeit "Chanting" verdichtet, gerät zu einer Entdeckungstour. Wo Pour verspielt wirkt, gibt sich Toulu Hassani, die aus dem Iran stammt, in Valencia und Braunschweig studiert hat und Meisterschülerin von Walter Dahn war, fast streng. Ihre Leinwände geben ebenso etwas vor, was sie nicht sind. In ihren Mischtechniken formuliert sie Objekthaftigkeit und Materialität von Malerei auf eine neue, überraschende Art. Das kann man auch bei Helene Appel finden: Täuschung und Illusion allenthalben. Gestisch ist die Malerei des rumänischen Künstlers Adrian Ghenie, der unter anderem in Berlin lebt und in seinen düsteren Interieurs das Trauma der Diktatur seiner Heimat verarbeitet. Von den diffusen figurativen Arbeiten des lettischen Künstlers Jānis Avotinš zu den in dieser Schau gezeigten Werken des Münchner Malers Florian Süssmayr ist es tatsächlich gar nicht weit. Zwei Positionen, die unterschiedlich gearbeitet sind, aber sich durchaus nahe kommen. Der zweite Teil der "Painting Show" mit Werken von Thomas Helbig, Ma Ke, Karin Kneffel, Andrew Palmer, Qiu Ruixiang und Thomas Zipp eröffnet am 11. September zur Open Art 2015.

Painting Show Part One , Galerie Rüdiger Schöttle, Amalienstraße 41, bis 31. Juli, Di-Fr 11-18 Uhr, Sa 12-16 Uhr

© SZ vom 24.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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