Kulturreport:Der Wind ist gut, die See in Ruh'

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Es geht was voran: Die Front des Bayreuther Festspielhauses soll bis zum kommenden Frühjahr saniert sein. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Die Fassade des Festspielhauses von Bayreuth bröckelt seit Jahren. Lange hat man bei Reparaturen nur improvisiert. Jetzt aber gibt es einen Etat, Pläne und eine Mannschaft, die am Hügel werkelt. In acht Jahren will man fertig sein

Von Olaf Przybilla, Bayreuth

Heinz-Dieter Sense raubt das nicht den Schlaf. Das sei ihm schon bewusst, sagt er, wenn in Bayreuth am Hügel ein Sack Reis umfalle, interessiere das die Weltpresse. Aber dann müsse er eben dafür sorgen, dass der Reis nicht umfällt, jetzt bei der großen Sanierung des Hauses. Sense ist 76, da nimmt man die Dinge etwas gelassener. Seit zweieinhalb Jahren ist er Kaufmännischer Direktor auf dem Hügel, etwa genauso lang ist das Festspielhaus verhüllt. Die Fassade bröckelte so stark, dass Teile daraus Gästen und Passanten auf den Kopf zu fallen drohten.

Mancher Festspielgast mag die fotorealistisch bedruckte Plane in dieser Zeit für eine Art Kunstaktion gehalten haben: Wagners Weihestätte verhüllt, oho! Andere dürften an ein Symbol dafür geglaubt haben, dass da gerade gebaut wird am Hügel, irgendwo bröckelt es ja immer in Bayreuth. Tatsächlich war die Plane eine reine Schutzmaßnahme. Nicht auszudenken, wenn der Premierengesellschaft poröses Gestein ins Sektglas gerieselt wäre. Von Schlimmerem ganz abgesehen.

Zweieinhalb Jahre hielt dieser Zustand an, was sich für Bayreuth-Anfänger wie ein Witz anhören mag. 30 Monate verschwand da das Epizentrum des Wagner-Kultes hinter einer Art Fototapete, ging das nicht schneller? Sense aber, er stammt aus Norddeutschland, findet auch das einen passablen Zeitraum. Gab es da doch diesen Streit zwischen der Stiftung und den Gesellschaftern um einen neuen Mietvertrag, sagt er in einem Ton, als ginge es um Familienzoff am Amtsgericht. Bayreuth eben.

Den Bayreuth-Zoff in seinen Einzelheiten aufzublättern, würde für ein juristisches Oberseminar taugen. Grob vereinfacht ging es darum, dass Bund und Land mehr Einfluss wollten am Hügel, wenn sie schon die Hauptlast der Kosten tragen, etwa bei der Haussanierung. Wesentliche Teile der Familie Wagner, als Mitglieder der Stiftung, fürchteten wiederum exakt das: den Verlust der Macht am Haus. Böse Worte machten die Runde, von Erpressung war die Rede. Wer nicht unterschreibe, werde unverhohlen verantwortlich dafür gemacht, dass die Fototapete bis zum Ende aller Tage das Haus verhülle, solche Sachen.

Inzwischen gibt es einen neuen Vertrag, den man übrigens tatsächlich als Machtübernahme deuten könnte. Aber dafür wird jetzt eben auch saniert, gleich nach den Festspielen im September ist es losgegangen. Erst mal werden die Steine im südlichen Teil ausgebessert. Das ist die Fassade, die man sieht, wenn Merkel und Minister im Sommer kommen. Damit will man bis etwa März fertig sein. Die nächste Festspielsaison würde dann ohne Gerüst auskommen, zumindest die Hauptansicht.

Für die gesamte Sanierung aber, vor allem auch des Hausinneren, sind sieben bis acht Jahre veranschlagt. Das, sagt Sense, will er unter keinen Umständen am Haus erleben. Sense wäre dann 84. Er unterschreibt nur noch Ein-Jahres-Verträge.

Auch Detlef Stephan, der zuständige Architekt, macht keinen verkrampften Eindruck. Was auch daran liege, dass er und seine momentan 18 Mitarbeiter eine ganz passable Baustelle vorgefunden hätten, sagt er. Anders also, als nach diversen Horrorszenarien - in Bayreuth ist ja immer alles ganz schlimm - zu vermuten gewesen wäre. Und anders jedenfalls, als er es bei denkmalgeschützten Objekten schon vorgefunden hat: katholische Kirchen im Rheinland, Schinkelbauten, Museen.

Klar, sagt Stephan, es gebe verschiedene Ziegelsteine in der Fassade, jedes Jahrzehnt tauschte den bröckelnden Stein am Hügel irgendwie anders aus. Und der Sandstein am Sockel des Hauses sei komplett versalzt, sei es durch Nässe, Streusalz oder Hunde-Urin. Aber die verheerenden Schadstellen, um die sich fahrlässigerweise keiner gekümmert hat, die habe er nicht gefunden in seinen ersten zwei Monaten am Wagner-Bau. Immerhin war es da jahrelang gängige Praxis, die porösesten Stellen aus der Fassade kurz vor der Premiere einfach abzuklopfen. Sicher ist sicher.

Bis es eben so schlimm wurde, dass nur noch ein kariöses Etwas stehen geblieben wäre. Also Generalsanierung. 2,5 Millionen Euro soll allein die neue Südfassade kosten. 4500 Ziegelsteine kommen dafür aus Brandenburg, angefragt ist, sagt Stephan, "ein klassischer Blumentopf-Ton", der aber auch Patina suggerieren soll. Wenigstens ein bisschen. Einen passenden Sandstein für den Sockel hat man auch schon gefunden. Und 116 Baluster, die Einzelsäulen der Balustrade, müssen wohl auch zum größten Teil ausgetauscht werden. Aber die sind ohnehin nur aus Zementguss, man musste da offenbar sparen.

Ins Innere des Hauses kommt man an diesem Tag der Baustellenbesichtigung nicht, da aber warten die größeren Probleme. Die Haustechnik gilt als veraltet, erneuert wurde zuletzt immer genau das, was unbedingt notwendig war. Gewundert aber habe er sich darüber nicht, sagt Sense, als er 2013 seinen Dienst antrat. Sense hat einige der großen Theaterhäuser der Republik von innen gesehen, und selten war die Technik irgendwo nicht veraltet. Für bestimmte Probleme aber habe man bislang keine Lösung in Bayreuth, das gebe ihm schon zu denken. Barrierefrei etwa soll der Zuschauerraum werden, da werde man also eingreifen müssen. Nur dürfe man dabei nicht die Akustik des Raumes verändern, keine ganz leichte Sache.

Insgesamt sind 30 Millionen Euro für die Sanierung veranschlagt. 20 Millionen von Bund und Land, den Rest teilen sich Träger aus der Region und die Gesellschaft der Freunde. Ob das reicht? Dazu habe er eine private Meinung, sagt Sense. Und wirkt zum ersten Mal nicht optimistisch.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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