Kulturreport:Brühwürfel nach hanseatischer Art

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"Ärger mit der Unsterblichkeit": Sven Regener und Andreas Dorau in den Kammerspielen

Von Michael Zirnstein

Hätte man Andreas Dorau 1985 einfach machen lassen, hätte München heute kein Problem mit der Instandsetzung des Gasteigs. Vermutlich hätte es gar keinen Gasteig. Den sollte Dorau auf einer Experimetierbühne mit einem Singspiel einweihen. Eingeladen hatte ihn der Filmemacher Eckart Schmidt, der war ein Fan seiner Kurzoper "Guten Morgen, Hose", in der ein Chor aus von Schnüren bewegten Hosen sang: "17 Frauen, viele tot, alle nackt . . ." Daran also sollte Dorau, der vier Jahre zuvor als Teenie-Star der Neuen Deutschen Welle mit "Fred vom Jupiter" berühmt geworden war, anknüpfen. Bei "Die Überglücklichen" agierten nicht Klamotten, sondern Kinder, dumm nur, dass eines der Kinder Grippe hatte und der Zampano selbst einspringen musste, dabei mit nichts am Leib als einen Reifrock aus Draht mit Glöckchen daran.

Bei der Aufführung kam es auch noch zu Zwischenfällen: Als der Bettlerchor, der von Fischen dargestellt wurde, auf die Bühne geworfen wurde, schritten Tierschützer ein. Und als die Kinder für eine Bücherverbrennungsszene in Benzin getränkte Wälzer abfackelten, stürmte der Brandschutz die Bühne. Gegen Zahlung von 3000 Mark wurden alle drei Anzeigen gegen Andreas Dorau fallen gelassen: die wegen Tierquälerei, die wegen versuchter Brandstiftung und die wegen Entblößung vor Kindern. Solche Dämpfer haben Dorau ("Mir wurde schon in der Grundschule Hochmut bescheinigt") eher angetrieben.

Andreas Dorau hat sich in seiner Karriere einige Fans, aber nicht allzu viele Freunde gemacht. Was abzusehen war bei einem, der schon als 15-Jähriger einen Urheberrechtestreit lostrat. Das war 1981, als er bei einem Projekt der Otto-Hahn-Gesamtschule in Hamburg "Fred vom Jupiter" schuf, sein One-Hit-Wunder in Deutschland (mit "Girls in Love" hatte er später noch eines in Frankreich). Der Text stammte von den Sängerinnen, den Marinas, elf- bis 13-jährigen Mitschülerinnen. Das wurde erst später honoriert, Dorau selbst wurde von der Plattenindustrie um etliche goldene Schallplatten betrogen, wie er meint, und der betreuende Lehrer war eher ein veruntreuender. Alles in allem eine lustig-leidige, olle Kamelle, findet Dorau selbst. Daher hat er sie in seiner Biografie "Ärger mit der Unsterblichkeit" gleich am Anfang weggeschrieben. "Das ist wie beim Umzug, da schleppt man auch erst die dicken Brocken hoch, dann kommen die feinen Bücherkisten." Da war er sich einig mit seinem Co-Autor Sven Regener, einem alten Freund - so einen gibt es also doch.

Regener, Erfolgsschriftsteller und Sänger von Element of Crime, hat ein paar Cameo-Auftritte in dem Buch. Zum Beispiel, weil Dorau ihn als Trompeter mit auf seine erste Tour nehmen wollte, die ihn übrigens auf Einladung von DJ Upstart, der heute in München den Club Rote Sonne betreibt, in einen Punkladen in Ampermoching führte. Es ist alles verzwickt und verbandelt. Aber Regener erzählt das klipp und klar, mit einem nüchternen Ich, als spiele es in seinem "Herr Lehmann Magical Mystery"-Subkulturkosmos - eine Kunst, eine Freude.

Zu der Kooperation kam es, als Element of Crime bei einigen Heimspielen Doraus "Hamburg '75" spielen wollten. Backstage erzählte Dorau von Buchverlags-Anfragen und davon, wie er an Kurzgeschichten "kläglich gescheitert" sei. Regener sagte: "Komm, dann schreiben wir das zusammen." Sie trafen sich, rauchten, tauschten Anekdoten aus, stachelten sich an und bremsten sich, behielten die Reihenfolge ihrer Mitschriften bei, was zu einem schönen Zeit-Ping-Pong in der Biografie führte.

Sie hielten "alles brühwürfelartig", episodisch, mal pointiert, mal bröckelnd, stets trifft Regener den hanseatisch-knappen Tonfall seines Pop-Kollegen. "Ohne ihn hätte ich mich das nicht getraut", sagt Andreas Dorau. Auch bei den Lese-Shows baut Dorau auf Regener als bekannt "starken Vorleser", er selbst beschränkt sich darauf, Dias und Videos zu zeigen. Singen wird er nicht. "Musikerlesungen mit Musik finde ich ekelhaft eitel." Lesereisen seien aber besser als Band-Touren, "da muss ich nicht zwanghaft mit anderen Musikern herumreisen".

In den Münchner Kammerspielen wird sich der 51-jährige Dorau jedenfalls wie zu Hause fühlen. In deren Kantine war er oft essen, als er an der Filmhochschule studierte. Schon deshalb ist das Best-of aus Doraus ersten 19 Karrierejahren (zu den restlichen habe er nicht genug Abstand) keine Musikerbio und kein Hamburg-Roman geworden, sondern ein Bohème-Buch voller München-Schwänke. Sein Abschlussfilm an der HFF war "Schlag dein Tier" mit Eva Pflug aus "Raumpatrouille Orion" und Kurt Schmittchen aus den Didi-Sketchen. Dorau inszenierte da eine TV-Show, in der Menschen gegen ihre Lieblinge antraten. Die Gewinner - etwa eine Rockerbande, die eine Gans im Geldstücke-an-die-Wand-werfen schlug - durften sich ein Dorau-Video an der Schlagerwand wünschen.

Andreas Dorau gehört ohne Zweifel zu den am meisten missverstandenen Gesamtkunstwerken, er gilt den Plattenfirmen als "Hitverhinderer". Tatsächlich sabotierte er sich selbst, drehte etwa ein Musikvideo, das nie im Fernsehen laufen durfte, weil sich darin ein Mädchen von einem Hochhaus stürzt. Musikalisch meistert er nicht viel, nur "das Dorau-Prinzip: einfach aufeinanderschichten. Das ersparte mir das ganze lästige Musikersein und Musikergehabe." So schrieb er zu seiner HFF-Zeit zusammen mit Tommi Eckart ( 2Raumwohnung) die Musik zu "Manta - Der Film". Die beiden bastelten auch Dance-Tracks, um "Schwabing auf die Techno-Landkarte zu bringen". Was ihnen freilich nicht gelang.

Aber die Stadt war gnädig zu dem Dandy, der gern die "Noagerl am Chinesischen Turm" zusammensoff, derweil die Kapelle "Ghostriders in The Sky" blies. Betrunken pinkelte er obsessiv in Cabrios. "Aber München", sagt Dorau, "war eine softe Stadt und für Dinge, für die man in Hamburg übelst verprügelt worden wäre, hatte man hier Verständnis. Die Hilfsbereitschaft betrunkenen Menschen gegenüber kannte kaum Grenzen." Bei einer Geburtstagsparty der Udo-Jürgens-Kinder John und Jenny in einer Nobeldisco war er so dicht und ihm so fad, dass er mit einem Kaminfeuerzeug einer Frau "die turmhohe Haarsprayfrisur" abfackelte. "Gut, dass ich in München war, die Leute waren alle fit und schnell genug, das Feuer zu löschen." Sonst gäbe es vielleicht kein P1 mehr. Nicht, dass Andreas Dorau das stören würde.

Ärger mit der Unsterblichkeit , Sven Regener und Andreas Dorau in den Kammerspielen, Mittwoch, 20. Januar, 20 Uhr

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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