11 Kultur-Desaster:Davon ging die Welt nicht unter

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Nicht alle Errungenschaften, die uns einmal in Angst und Schrecken versetzen, haben sich als wirklich gefährlich entpuppt. Hier sind 11 Beispiele dafür, dass dem Abendland doch nicht jedesmal die Puste ausgeht, wenn mal wieder Kultur-Revolution angesagt ist.

Kollegium Musicum

Comics

Verblasster Mythos: Superman galt nicht jedem als wunderbarer Weltretter. Inzwischen konkurriert er mit interessanten Schundheftln voller Nackter, Japanern und Darstellungen des Geschlechtsverkehrs, der gezeichnet sowieso interessanter ist als in natura. (Foto: N/A)

In der Grundschule, die damals Volksschule hieß, hatte ich einen Lehrer, der Ohrfeigen austeilte, wenn er im Ranzen "Heftl" fand. Comics hießen bei uns "Heftl" und die bangenden Eltern nannten sie sogar "Schundhefte". Viele Erwachsene, auch solche in höheren Positionen in Politik und Publizistik, waren überzeugt davon, dass Kinder, die Comics lesen, niemals Bücher lesen und schön sprechen können würden.

Viele Kinder, die damals Comics lasen, können heute aber schöner sprechen als die meisten jener Erwachsenen, die damals, gestärkt durch die Sicherheit einer Erziehung im Dritten Reich, Micky Maus für kulturlosen Ami-Schund hielten.

Comics jedenfalls haben, das steht fest, nicht zum Untergang des Abendlandes geführt. Man muss die Heftl nicht für Hochkultur halten, obwohl eine profunde Comic-Kenntnis heute Voraussetzung für eine Festanstellung im Feuilleton der FAZ ist! (Im Politikteil ist das nicht so, was man ihm auch anmerkt.) Trotzdem haben sich Comics zu Recht neben dem Buch, dem Radio, der Zeitung und dem Fernsehen als Massenmedium etabliert.

Anders als vor vierzig Jahren gibt es heute ein breites Spektrum verschiedener Heftl, darunter auch interessante Schundheftl mit Nackten, Japanern und Darstellungen des Geschlechtsverkehrs, der gezeichnet sowieso interessanter ist als in natura. Letztere Schundheftl soll mein Sohn nicht lesen. Die Entwicklung der Gesellschaft, die Wiedervereinigung sowie das FAZ-Feuilleton beweisen aber, dass Heftl als solche gut für den Menschen sind.

Mein Sohn liest Micky Maus, so wie ich es vor vierzig Jahren auch getan habe.

Baby-Bauch

Eine Schwangerschaft der Öffentlichkeit zu präsentieren, galt in den Fünfzigern als roh und unfein; eine Moral, die sich selbst entlarvte, denn so gaben die Menschen zu, dass sie bei einer schwangeren Frau nicht an unschuldige Babys, sondern gleich an Sex denken mussten.

Jedenfalls: Die Regel galt auch für Prinzessinnen, die mit Thronfolgern schwanger waren. Und so besorgte sich Grace Kelly 1956 die größte Hermès-Tasche, die sie finden konnte, um für das Cover des Life-Magazine ihren Bauch dahinter zu verbergen. So wahrte Life den Anstand und machte seinem eigenen Namen doch keine Ehre.

Die Hermès-Tasche hieß fortan "Kelly-Bag". Dann kam die Pille, die Frauenbewegung, die Mein-Bauch-gehört-mir-Kampagne. Heute wünscht man sich, man hätte in den vergangenen Jahren weniger dieser Taschen und mehr dieser Bäuche gesehen; nicht immer aus denselben Motiven übrigens. Während man in Deutschland sorgenvoll Kinder und Rentenansprüche gegenrechnet, haben die Frauen der Londoner Gesellschaft längst unter sich ausgemacht, dass die eigene Vervielfältigung eine der letzten Möglichkeiten ist, Status zu demonstrieren.

Fabelhafter, monströser als Woody Allen in "Match Point" kann man es nicht beschreiben: mit dem Londoner Millionärstöchterlein Chloe, die sich, so meint man, von ihrem Ehemann benutzen lässt. In Wirklichkeit hat sie ihn längst zum Zeugungsinstrument degradiert. Allen verfilmte damit nicht nur die männliche Urangst, sondern auch seinen eigenen, durch den Adoptionswahn seiner Ex-Frau Mia Farrow ausgelösten, Komplex.

Adoptiert wird in Hollywood immer noch öffentlich, zusätzlich geht es jetzt darum, wer während einer Schwangerschaft am besten angezogen ist und wer nach einer Schwangerschaft am schnellsten wieder so schlank ist wie vor dem ersten Sex. Darin besonders erfolgreichen Schwangeren verleiht die Presse das Prädikat "Yummy Mummy". Und, nein: Über das Life-Magazine spricht heute keiner mehr. (Rebecca Casati)

Amerika

Als der Dichter Nikolaus Lenau im Jahre 1832 nach Amerika auswanderte, schrieb er: "In dem großen Nebellande Amerikas werden der Liebe leise die Adern geöffnet, und sie verblutet sich unbemerkt. Hier lebt der Mensch in einer sonderbaren kalten Heiterkeit, die ans Unheimliche streift." Kurze Zeit später kehrte Lenau nach Europa zurück, wo er in Stuttgart und Wien lebte und über die "verschweinten Staaten von Amerika" schimpfte.

Lenau war nicht der erste Europäer, der Amerika verteufelte. Der französische Anthropologe Comte de Buffon befand schon Mitte des 18. Jahrhunderts, dass Fauna und Flora Amerikas von einer "natürlichen Inferiorität" bestimmt seien, was auch auf die dort lebenden Menschen zuträfe. Solche "Degenerationsthesen" erfreuten sich bei den europäischen Eliten des 18. und 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit. Im 20. Jahrhundert profilierten sich dann Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger und Ernst Jünger mit antiamerikanischen Thesen.

Früh schon standen die Grundbegriffe des Antiamerikanismus fest: Der Optimismus der Neuen Welt wurde stets als Antithese zur pessimistischen Gefühlsbetontheit der europäischen Geisteswelt empfunden; das amerikanische Völkergemisch widersprach dem völkischen Reinheitsgedanken des europäischen Nationalismus.

Ein Leitmotiv des Antiamerikanismus war die Angst vor der kosmopolitischen Moderne und dem technischen Fortschritt. Hauptanklagepunkte: Geldkultur, Seelen- und Kulturlosigkeit, Technokratie, Oberflächlichkeit. So wurde Amerika mit dem Anbruch des Industriezeitalters zum Sündenbock für sämtliche Unbill des Kapitalismus. Heute dient der Antiamerikanismus vor allem dazu, die Schuldgefühle zu vertreiben, die Bürger eines EU- oder gar G-8-Staates überkommen, weil sie genauso von der Ausbeutung der globalisierten Welt profitieren wie "die Amis".

Nikolaus Lenau starb übrigens wenige Jahre nach seiner Heimkehr in der Irrenanstalt Wien-Döbling an geistiger Umnachtung. (Andrian Kreye)

Tamagotchi

Kulturpessimismus ist keine Weltanschauung, sondern ein Reflex. Jeder hat dieses Rousseau-Gen in sich, man sollte es nur intellektuell im Griff haben. Rousseau-Gen kann man es nennen, weil der Kulturpessimist von einem Naturzustand ausgeht, in dem der Mensch eins mit sich selbst war. Dann kam irgendwann Zivilisation, die den Menschen aus seiner Selbstidentität herausriss.

Weil es offensichtlich ist, dass der technische Fortschritt viele Erleichterungen gebracht hat, ist der Kulturpessimist vor allem auf dem Feld des Innenlebens und der Kommunikation mit brennender Sorge unterwegs. Der Preis für den Fortschritt nämlich ist die Entfremdung. Kein Wunder, dass vor allem neue Kommunikationsmedien dem Kulturpessimisten aufs Gemüt drücken. Musterbeispiel ist das Tamagotchi.

Man könnte meinen, ein Quälgeist habe es erfunden, um Kulturpessimisten bis aufs Blut zu reizen. Das Tamagotchi, wir erinnern uns, war eine Mode aus Japan um 1997: Es hatte die Form eines Eis, und es musste per Knopfdruck gefüttert, bespaßt und in den Schlaf gewiegt werden. Bei sozialer Vernachlässigung starb es.

Das Tamagotchi passte in das Argumentationsmuster aller Kulturpessimisten: Es war ein Substitut, dass "echte" Kommunikation durch die computergenerierte Simulation von Dialog und Fürsorge ersetzte. Wolfgang Roth von der Pädagogischen Uni Freiburg sprach deshalb vom "Ausdruck unserer Zeit": "Wir wollen einen Partner mit wenig Eigenleben und hoher Steuerbarkeit."

Und Wolf Brühan, Geschäftsführer vom Bundesverband Neue Erziehung, erklärte: "Die Kinder wollen sich mit der wirklichen Welt auseinander setzen, dafür kann ein Tamagotchi kein Ersatz sein." Dass die, die in den dürrsten Floskeln ihre Zeitkritik betreiben, von "echtem Welterleben" sprechen, dürfte selbst ein Tamagotchi zum Lachen bringen.

Dieter Bohlen

1985 in der Scheunendisco östlich von Münster. Es regnete. Die Kleider rochen streng, wie das bei Feuchtigkeit in Verbindung mit Kunststofffasern so ist. Plötzlich ein Lied. Das Lied hieß "You're my heart, you're my soul". Die Kunststofffaser-Mädchen tanzten Disco-Fox. Und der Sound dieser Band, die Modern Talking hieß, schien zwar nicht den Untergang des Abend-, aber doch sicher den des Vaterlandes zu verkünden.

Diese erste Single verkaufte sich acht Millionen Mal auf dem Planeten. Modern Talking bestand aus dem Diplomkaufmann Dieter Bohlen und einem Sänger. Bohlen (Ostfriese, Abitur mit 17, Millionär mit 30) etablierte die Abwesenheit musikalischer Phantasie bei gleichzeitiger Gewinnmaximierung. Mit Pop oder einem anderen Stil hatte das getackerte Gefistel eigentlich nichts zu tun. Gegen diese "Musik" hatten nicht mal Eltern direkt etwas einzuwenden.

Die Eltern haben sich Jahre später erregt, als berichtet wurde, dass Bohlen auf dem Zuschneidetisch eines Teppichladens Sex mit einer Angestellten hatte. Oder weil Bohlen seine Ex-Frau Verona Feldbusch geschlagen habe, wie die Ex-Frau behauptet. Oder weil Bohlen eine Biografie autorisierte, in der er behauptet, er habe sich den Penis gebrochen.

Die Biografie verfasste eine Bild-Journalistin. Statt zur vaterländischen Gefahr wurde Dieter Bohlen zu einer Bild-Story. Weiter hat das weder das Boulevardblatt noch Bohlen gebracht. Irgendwann wurde Bohlen Juror einer Talenteshow. Irgendwann fanden Spaziergänger Müll von Bohlen, Badelatschen, was dann in den Stand einer Meldung gehoben wurde. Das war das Ende.

Im Animationsfilm "Dieter - Der Film" kehrte Bohlen schließlich als das zurück, was er immer schon war: als Comic-Figur. (Christopher Keil)

SMS

SMS: schon falsch. SMS heißt Short Message Service und bezeichnet nicht die Kurzmitteilung, also die short message, sondern nur den Übertragungsdienst - den service. Das korrekte Kürzel einer Kommunikationsform, die seit 1992 gebräuchlich ist, konnte sich nicht durchsetzen: SM.

Offenbar wollen wir nicht daran erinnert werden, dass die SM (die in Deutschland jährlich 20 Milliarden mal versendet wird) etwas zu tun haben könnte mit SM - mit Sadomasochismus. 20 Milliarden Mal "schon gelandet?" oder "Schumann's?" oder "lg" (liebe Grüße): Das ist milliardenfache Lustqual. Bis zu 160 Zeichen. Codiert. Mit Anglizismen. Barbarisch. Die Phonies sind das Letzte, so schaut's doch aus.

Das hat sich auch Stephen King gedacht, dessen neues Buch "Cell" heißt: "Ein Mann hält sich mit beiden Händen den Hals, um das zwischen seinen Fingern hervorquellende Blut aufzuhalten, während ihm seine Eingeweide vor dem Unterleib hin und her schwingen." Dem Mann aber geht es deshalb nicht so besonders, weil er - wie alle Phonies - durch Anruf oder SMS von Terroristen zur Bestie umprogrammiert wurde. Kulturkritik pur. Nur die Normies kommen davon, zu denen sich King zählt. King, heißt es auf der letzten Seite, hat kein Handy. Dieser Hinweis ersetzt das ganze Buch und wäre eine prima SMS.

Uschi Glas dagegen weiß nicht, dass die einzige Distinktionsmöglichkeit unserer Zeit darin besteht, nicht zu wissen, was SMS ist. Sie sagte kürzlich bei Beckmann: "Heute simse ich nur mit einem Daumen, fast ohne hinzuschauen." Obacht! Wenn Uschi Glas beim Simsen angekommen ist, ist Simsen bereits veraltet.

Auch die vielen Studien zu Handy-Missbrauch in der Schule, die CSU-Pläne zu Anti-SMS-Eingreiftruppen und Typen in Restaurants, die wie Onanisten unter der Tischdecke ihre Mobiltelefone kneten, sind bald Vergangenheit. Die SMS wird wieder eine Kommunikationsmöglichkeit unter vielen sein. Alles normal. Normies, entspannt euch mal! (Gerhard Matzig)

Microsoft

Microsoft, das ist wie der süße Hirsebrei aus dem Märchen, der aus dem Töpfchen quillt und erst die Küche, dann die Stadt und schließlich den Erdball einlullt. Das Ganze schmeckt so lala. Und das Töpfchen soll bekanntlich irgendeine Garage gewesen sein, in der Bill Gates die digitale Revolution zum Brodeln brachte. Zwischendurch gab es ein Mordsgeschrei in den Hackerstuben der Cyberanarchisten.

Der Einheitsbrei aus Windows, Internet Explorer und Office drohte auch die letzten Schlupflöcher der digitalen Anarchie zu verstopfen. Doch all das Gerede von Open Source klingt heute ein bisschen nach Jute statt Plastik. Sicher, es gibt es da noch die coolen Apple-Fans und die total abgefahrenen Linux-Freaks. Aber kriege ich da drauf mein Excel-Sheet zum Laufen? Haben die überhaupt eine Taskleiste? Und wie soll man auf dem PC noch was finden ohne Explorer?

Nee, lasst mal gut sein, ihr Betriebssystem-Maseratis! Die paar schweren Ausnahmefehler - das ertragen wir. Wir: das ist die große Koalition, der totale Einheitsbrei. Windows, das ist der Kurt Beck unter den Betriebssystemen. Nicht sehr ansehnlich. Nicht innovativ. Aber harmlos. Und einfach da.

Synthesizer

Den Synthesizer hielt man in den siebziger und achtziger Jahren für noch gefährlicher als die Atomkraft. Durch ihn drohte die Automatisierung der lieben Musik. Die Schreinerwerkstatt, in der ausdrucksstarke Stargitarristen den Penis am hohen E rieben und Keith Moon sich beim Trommeln beide Handgelenke brach: Tempi passati.

Die analogen Synthesizer der Frühzeit addierten zur Hausmannskost lediglich den Kirchenchor, das Echolot und das Glöckchen. Die digitalen Geräte der Spätzeit ersetzten, wenn sie sollten, alles. Der Gottvater unter den Placebowummen: der Yamaha DX-7. Ein Knopfdruck, alles piepte los, und der Musiker konnte sich in Ruhe die Haare machen. Im Radio nur Zurp, Zirp, Ding und Dong. Die Welt ging unter. Millionen ehrlicher Musiker saßen auf der Straße und spielten für Brot, Wasser und ein bisschen Heroin. Die Jugend? Verblödete über Nacht.

Was keiner ahnte: Es war nur Spaß.

Martin Gore von Depeche Mode zum Beispiel komponierte seine Synthiehymnen immer klammheimlich daheim auf der akustischen Gitarre, bevor er sie im Studio mit falschem Lächeln in den DX-7 programmierte. Als Johnny Cash aber Jahre später Gores "Personal Jesus" sang, flog alles auf: Ein greiser Tontechniker bemerkte, dass das Lied wieder genau so klang, wie Gore es einst zur Holzgitarre aufs Demo genuschelt hatte. Sapperlott!

Heute hört man wieder mundgeblasene und handgeschnitzte Instrumente. Als Fetisch der Kulturtheoretiker ist der Synthesizer unterdessen von der Espressomaschine abgelöst worden. Die Welt ist doch nicht untergegangen. Deshalb sollte man sich mit etwas mehr Liebe an den Synthesizer erinnern.

"Enjoy The Silence" - wie klänge denn das, gespielt auf der Blockflöte! (Alexander Gorkow)

Tutti Frutti

Es war eine Zeit des Heulens und Zähneklapperns. Der Plan der letzten Standhaften im Land, die Zahl der TV-Programme für immer gesetzlich auf drei zu begrenzen, war gescheitert. Privatkanäle durften senden, Zuschauer durften zuschauen, und sogleich bestätigten beide Parteien ihren Willen zum Untergang: die einen, indem sie nichts als Sex, Gewalt und irres Gelächter zeigten, die anderen, indem sie begeistert einschalteten. Besonders eine Show, die sich "Tutti Frutti" nannte und auf einem Sender namens "RTLplus" lief, wurde zum Kristallisationspunkt kollektiver Ängste und Begierden.

Die Show kam aus Italien, dem Mutterland des Fernsehschwachsinns; sie funktionierte nach Regeln, die keiner verstand; und sie zeigte junge Frauen, die a) eine Obstfrucht repräsentierten und b) hin und wieder ihre Brüste zeigten; außerdem war sie das erfolgreichste Privatprogramm. Man musste das als "Schmuddel-TV" bezeichnen, auch als "Tiefpunkt deutscher Fernsehunterhaltung" (taz), als "hart am Rande des Schwachsinns" (ein Kultusminister), oder als "frauen-, ja sogar menschenverachtend" (eine Gleichstellungsbeauftragte). "Wir sind nicht prüde, aber wir können nicht verantworten, dass junge Frauen sich so leichtfertig gierigen Männeraugen aussetzen", urteilten die "Katholischen Medienfrauen".

Auch sonst war niemand prüde, auch sonst wollte das niemand verantworten. Außer Helmut Thoma, der wie Buddha grinste. Nach drei Jahren und etwa 140 Folgen war es dann soweit: Der Spiegel trat dem Untergang mit einer Titelgeschichte ("Ein Volk im Schweinestall") entgegen. Einen Monat später war alles vorbei. Das Abendland hatte zwar einen Aufschub bekommen, das Fernsehen, ja, die Massenmedien sind seither allerdings zugegebenerweise noch viel, viel schlimmer geworden. Übrigens: Die Frau mit den schönsten Augen hieß a) Angelique und repräsentierte b) die Erdbeere. (Tobias Kniebe)

Demokratie

Weil es sie ja doch gibt, die meinen, sie müssten ihren Kaiser Wilhelm oder doch den Kohl wieder haben, bei dem alles Übrige die Portokasse von Leo Kirch regelt; weil es sie ja doch gibt, die Kleinmütigen und Furchtsamen, die sich gar nicht heimlich wünschen, es käme endlich einer, der aufräumt mit den ganzen Gesetzen und Verordnungen und Vorschriften, und die mit dem Gevatter Botho von der "Resurrektion des Führers" lustträumen;

Weil es genug gibt, die jeden Tag neue Eliten entdecken, die doch gefördert sein wollen und nicht mehr in die Schule gehen sollen mit dem Pöbel, weil sie keine Lust haben, ihr schönes Geld an das arbeitslose Gschwerl zu verschwenden, das nicht mal mit Messer und Gabel umgehen kann; und weil ja sonst nichts hilft gegen die eingebildeten Tröpfe, die sich beim Art. 20, Abs. 2 GG bekreuzigen müssen, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und nicht vom Beckstein und auch nicht vom netten Köhler -: weil das so ist, sei der Hinweis erlaubt, dass es nicht immer so war.

"Geht einmal nach Darmstadt und seht, wie die Herren sich für euer Geld dort lustig machen, und erzählt dann euren hungernden Weibern und Kindern, dass ihr Brot an fremden Bäuchen herrlich angeschlagen sei, erzählt ihnen von den schönen Kleidern, die in ihrem Schweiß gefärbt, und von den zierlichen Bändern, die aus den Schwielen ihrer Hände geschnitten sind, erzählt von den stattlichen Häusern, die aus den Knochen des Volks gebaut sind", stand 1834 auf einem Flyer, der auch von der Polizei gelesen wurde.

Der eine Autor, Georg Büchner, konnte fliehen vor der elitebewussten Obrigkeit, den andern, Friedrich Ludwig Weidig, haben sie gekriegt. Im Gefängnis wurde er misshandelt, bis er sich umbrachte. Deswegen bekamen wir irgendwann doch die Demokratie. Auch wenn sich die selbsterfundnen Geistesaristokraten die alte Zeit immer noch schöner denken: 's ist doch besser, dass wir keinen Hessischen Landboten brauchen.

Fruchtzwerg

Oh Gott, ruft der Kulturpessimist bei jedem sich bietenden Anlass, jetzt ist alles zu spät! Dann kommt es - ewiger Kreislauf des Lebens - noch schlimmer. "Dany plus Sahne" zum Beispiel. Ein harmloser "Pudding mit Sahnehäubchen". Für meine Mutter zirka 1978 ein korruptes Produkt, entworfen im Chemie-Labor, mit einem Cocktail von Aroma-, Schad-, und Farbstoffen versetzt, um Kinder körperlich und geistig zu ruinieren. Im Supermarkt zerrte mich Mutter mit Nachdruck vom Kühlregal weg, um den Bann des satanischen Milchmischerzeugnisses zu brechen.

Ein "plus" im Namen führte später auch der Privatsender RTL, den meine Mutter als genauso gefährlich einstufte, aber das ist eine andere Geschichte (siehe "Tutti Frutti"). Irgendwann tauchte ein neues Produkt im Kühlregal auf, ein bunter Becher, kaum größer als ein Osterei. Das perfideste war der Slogan: "So wertvoll wie ein kleines Steak". Super! Mutter war schachmatt. Es dauerte Jahre, bis sie sich vom "Fruchtzwerg" erholte.

Dann der nächste Hammer: "Monsterbacke"-Fruchtquark von Ehrmann ("Keiner macht mich mehr an"). Die Endstufe? Eben nicht, liebe Pessimisten! Heute gibt es noch viel perversere Sachen im Kühlregal. Lecker. (Oliver Fuchs)

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