Künstlerin Leslie Feist:Aspirin in akustischer Form

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Sie hat vielleicht die schönste Frauenstimme des wohltemperierten Gegenwartspop und macht die passendste überzeitliche Musik zur Zeit: Leslie Feist.

Dirk Peitz

Man kann sich Leslie Feist, ihre Stimme, ihre Musik als gegenstandsloses Kunstwerk vorstellen. Wie eine unbewusste neuzeitliche Pop-Adaption von Kasimir Malewitschs Komposition "Weiß auf Weiß", ohne den ganzen suprematistischen Theoriekram natürlich, aber schon mit dem Impuls des "ästhetischen Gefühls" gemacht, von dem auch Malewitsch sprach.

Konsenskünstlerin der aktuellen Pop-Saison: Leslie Feist (Foto: Foto: Universal)

Die Farbe Weiß: ewig zeitlos, ewig supermodern, ewig leicht, ewig unergründlich. Man kann sich hinstellen vor dieses Bild, das eben nicht nur aus einer grundierten Leinwand besteht, es ist die perfekte Projektionsfläche, man kann sich darin verlieren oder einfach mit den Schultern zucken und zum nächsten Bild weitergehen.

Aber irgendwie ist man doch berührt von diesem Weiß. Wir Popkritiker, zudem wenn wir männlich sind, nicht mehr ganz jung und mit einem ziellosen Rest an Sehnsucht geschlagen, tendieren spätestens mit Leslie Feists neuem Album "The Reminder" dazu, still zu schwärmen für dieses Weiß. Zum Glück geht es vielen Frauen ähnlich, sonst müssten wir uns ernsthaft Gedanken machen.

Es kann zum Beispiel kein Zufall sein, dass ausgerechnet in Berlin, wo Leslie Feist schon kurz Station gemacht hat, seit ziemlich langer Zeit in den trendigsten Mitte-Modeboutiquen rund um die Schönhauser Straße paradoxerweise zwei Platten rauf- und runtergespielt werden, die sich demonstrativ der Gegenwart entziehen: die letztjährige Debütplatte von The Whitest Boy Alive und Feists vorletztes Album "Let It Die" von 2004.

Gefühl von Geistesgegenwart

Sicherlich klingt diese mit natürlichen Instrumenten eingespielte Popmusik angenehm und unaufdringlich und doch danach, als enthalte sie wahre Empfindungen. Sie passt mit ihrer frostfreien Frische in jede Jahreszeit. Und sie bedient das gerade unter nicht mehr ganz Jungen weitverbreitete Gefühl feiner, aber nicht richtig schmerzhafter Melancholie.

Es tut eben nur ein bisschen weh, das moderne Leben, es verlangt regelmäßig nach leichten Kopfschmerztabletten. Man kann sich Leslie Feists Musik also auch als Aspirin in akustischer Form vorstellen. Hilft nicht gegen echte Migräne, und gibt der ermatteten Seele doch ein Gefühl von Geistesgegenwart.

Freundlicherweise hat Feists Plattenfirma sie auf ihrer Interviewreise für "The Reminder" bei ihrem Berlin-Stopp dann in ein Hotel genau in Boutiquenmitte gebucht, und freundlicherweise passt auch das, was die 31-jährige Leslie Feist im Gespräch zu sagen hat, genau ins Bild.

Sie antwortet auf Fragen gern mit Metaphern, deren Inhalt immer vage genug bleibt, dass man gar nicht weiter nachfragen will. So macht sie das auch in ihren Songtexten, die fast immer von vorläufigen Lieben handeln, auch wenn der Wunsch wohl schon da wäre nach Beständigkeit, Verlässlichkeit, Sicherheit. Wäre da nicht der Drang nach Unverbindlichkeit, die zugleich die Zivilisationskrankheit und das Erlösungsversprechen des urbanen Lebens schlechthin ist.

Wirre, metaphorische Sprechweise

Leslie Feist, in Calgary aufgewachsen, gehört dem ursprünglich kanadischen Hip-Zirkel um den Musikimpresario Gonzales an, dessen Mitglieder sich heute wie der perfekte virtualisierte Myspace-Freundeskreis zwischen Toronto, Berlin und Paris bewegen. Feist ist die ideale Vertreterin dieser Existenzform, 33 Monate, hat sie zusammengezählt, war sie auf Tour mit dem Album "Let It Die".

Sie sagt heute über diese Zeit, in der ihr eigenen, etwas wirren metaphorischen Sprechweise: "Das Reisen wurde zu einem Kunstprojekt, wir schufen eine Art bewegliche Installation des Lebens, jeder Moment war ein eigener Tropfen Zeit, alle Zeit und Distanz wurden elastisch, jeder Tag war die Fotokopie des Tages zuvor, und in der Erinnerung bleibt doch nichts haften, da ist nur ein Haufen Schnappschüsse, der kein ganzes Bild mehr ergibt."

So wie Kunst und Leben hier ineinander zu greifen scheinen in einem seltsam bewusstlosen Geisteszustand der Heimatlosigkeit, so klingt auch die Musik auf "The Reminder", und es ist gar kein Widerspruch, dass Feist diese Platte mit ihrem Freundeskreis fast hippiesk in einem Landhaus draußen vor den Toren von Paris aufgenommen hat.

Man holt sich die menschliche Wärme aus dem temporären Beieinandersein und macht daraus überzeitliche, fast transparente Musik. "Letztlich moderne Barmusik" hat das einer der verliebten Popkritiker genannt, und eine treffendere Annäherung an Feists Musik lässt sich kaum finden, obwohl sie sich von vielen Stilen und Spielarten etwas borgt.

Etwa vom Folk den Einsatz der Akustikgitarren, manchmal rumpeln auch klassische Rock-Rhythmen durch die Lieder oder eine dreckige E-Gitarre. Aber das wird gleich dementiert, weil dazu ein verlorenes Piano klimpert oder ein Vibraphon herumschmeichelt oder ein Chor sich erhebt oder Streicher und Bläser jede Disharmonie aufheben.

Ausdrucksform einer Nichtpersönlichkeit

In dieser Platte steckt die Erdenschwere des Blues und die Eleganz des weißen Soul, doch alles wird überstrahlt von Feists heller, klarer Stimme, die jubiliert und sich versteigt, aber nie ins Ätherische abgleitet.

Das ist wunderschön, und doch fragt man sich, wo dahinter eigentlich ein Geheimnis verborgen sein könnte. Die Wahrheit ist: Vermutlich gibt es keines. Es ist, als bleibe Feist im Ungefähren, Vagen, weil das genau eben ihre Existenz- und Ausdrucksform ist, die einer vor allen Fährnissen des Lebens imprägnierten Nichtpersönlichkeit.

Leslie Feist hat zehn Jahre in Schulchören gesungen als junges Mädchen, sie hat mit 15 in einer Mädchenpunkband geschrien, sie hat in einer Band Gitarre gespielt, und dann hat sie in Shows ihrer Freundin Peaches eine Sexhäschen-Rapperin gemimt.

Aber diese biografischen Fetzen erklären nicht im Mindesten, warum sie heute vielleicht die schönste Frauenstimme des wohltemperierten Gegenwartspop ist und die passendste überzeitliche Musik zur Zeit macht.

Feist, die Farbe Weiß als Frau und Künstlerin, ein unbeschriebenes, unbeschreibbares Blatt Papier, scheint irgendwie: abwaschbar.

Feist spielt am heutigen Montag in Berlin. Eine ausgedehnte Tour folgt.

© SZ vom 23.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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