Kritik:Quatsch im Dunkeln

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"Die lächerliche Finsternis" ist in Nürnberg allzu lächerlich

Von Egbert Tholl, Nürnberg

"Die lächerliche Finsternis" von Wolfram Lotz ist derzeit eines der beliebtesten Stücke auf deutschsprachigen Bühnen. Eigentlich als Hörspieltext geschrieben, kam es schon auf dem Theater heraus, bevor das Hörspiel zu Ende produziert war, man kann es in Wien, Zürich, Berlin, Luzern und sonst wo sehen, zum Glück, denn das Stück ist saugut. Lotz hat Joseph Conrads "Herz der Finsternis" gelesen, er hat Coppolas Film "Apokalypse Now" gesehen, aber er ist weit davon entfernt, daraus eine Art Jetztzeit-Theaterversion zu basteln, auch wenn in seinem Stück zwei Kerle auf einem Fluss herumfahren und wenig Ahnung haben.

Lotz' Finsternis ist die Dunkelheit unter dem dünnen Firnis unserer Zivilisation. Da fällt einem natürlich gleich Castorfs Münchner "Baal" ein, den das Residenztheater nicht mehr zeigen darf, weil darin der dampfende Dichter Baal im Dschungel von Coppolas Selbstverlorenheit abtaucht. Es gibt auf dem Theater ein Unwohlsein, und bei Lotz ist es klug und lustig, böse. Zu Beginn erklärt sich Ultimo Michael Pussi vor dem Hamburger Landgericht. Pussi ist ein "schwarzer Neger aus Somalia", angeklagt der Piraterie, weil er in einem Akt aktiver Tölpelei einen Frachter geentert hat. Es stimmt schon, Pussi hat Piraterie studiert, aber was blieb ihm anderes übrig? Er wollte mit seinem Freund Tofdau Fischer werden, aber das Meer vor Somalia war leergefischt von den internationalen Flotten. Also studierte er, wie man fremde Matrosen erschreckt, das hat auch gut geklappt, der Rest nicht. Lotz lässt das Pussi mit fabulierender afrikanischer Poesie erzählen, aber putzig ist das nie, es ist ein Bild für ein Fremdes, was einen hier nicht schert, Hauptsache, die Fischdosen sind billig bei uns.

Pussi erzählt, er klagt nicht. Auch in Nürnberg nicht, wo am Staatstheater Eike Hannemann nun das Stück inszeniert hat. Pussi ist Josephine Köhler, sie gibt ihm den Trotz eines Lausbuben mit, wobei in der Aufgeregtheit die Poesie ein bisschen hinten runterfällt. Überhaupt denkt Hannemann seine Inszenierung weniger von der Schönheit des Textes her als von den diesem innenwohnenden Möglichkeiten, Theaterbudenzauber zu entfachen.

In Kern der Handlung fahren ein Hauptfeldwebel und ein Unteroffizier mit einem Boot in einen undurchdringlichen Dschungel, der sonstwo sein könnte, um einen Kollegen aufzuspüren, der lieber die wenigen eigenen Leute umbrachte als die vielen Feinde. Auf dem Weg begegnen dem in Gestalt von Philipp Weigand zerrissen-zauderlichen Gehilfen und seinem eisern Offiziers-kalten Chef (Jochen Kuhl) ein Papagei, der vom Einschlag einer Granate in einen Bus erzählt, ein durchgeknallter Leiter eines italienischen Blauhelm-Rangers (wieder Köhler), ein alles Schwarze verehrender Missionsvorsteher. Da kriegt die Aufführung einen seltenen Aberwitz, weil Frank Damerius grandios die westliche Euphorie angesichts der edlen, schönen Wilden spielt, also so eine Art Philo-Kolonialismus, Köhler dazu die lächelnde Figurine dieser Anbetung darstellt.

Am Ende taucht dann Tofdau auch wieder auf, als Wasserleichengespenst. Doch wovon er zu berichten hat, es geht unter in Hannemanns Aktionismus, in seinem momenthaften Drang zur Überlagerung von Texten, Geräuschen und Gemurkel. Eine Zeit lang geht das gut. Aber dann geht Hannemann dem Angebot Lotz' auf dem Leim, die Herstellung des Textes selbst zum Thema zu machen und verheddert sich in einer szenischen Thematisierung der Aufführungssituation, die ablenkt von allem Bösen und Schönen, was in dem Text drinsteckt. So drückt sich diese Aufführung zu sehr vor der Auseinandersetzung und nutzt die "Finsternis" zu Spuk, Einfällen und Quatsch. Dadurch wird sie ein bisschen lächerlich, aber nicht so, wie Lotz das gemeint hat.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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