Krise des Kinos:"Wir sind nur noch eine Werbemaschine für die weitere Auswertung"

Lesezeit: 4 min

Es geht ihm schlecht, obwohl mehr Filme denn je angeschaut werden. Die Leute gehen nicht mehr ins Kino, sondern in die Videothek. Jetzt wird gefordert, die Filme noch früher auf DVD zu lizensieren, weil Omas Cinema nur noch als Teaser für die anschließende Groß-Vermarktung taugt.

FRITZ GÖTTLER

Es war ein Schreck in der Morgenstunde, Anfang Juni, dieser Telefonapparat, der durch die Halle des New Yorker Mercer Hotel segelte, gegen vier Uhr früh -- eine Aktion, die einen Hotelmitarbeiter blessierte und den Werfer Russell Crowe, den impulsiven Bad-Boy-Star-Australier, für ein paar Stunden in eine Zelle und für ein paar Tage in die Schlagzeilen brachte. Es war ein schlechtes Timing, eben war "Cinderella Man", der neue Crowe-Film, angelaufen, und der Star war für ein bisschen lockere Promotion in der Stadt. Ein Bagatellfall der Hollywood-Chronik, sicher, aber irgendwie auf triste Weise signifikant für die Situation des Kinos heute. Denn "Cinderella Man" gehört zu den Filmen, die beweisen wollen, dass es ein spannendes und erfolgreiches Kino jenseits der Megahits geben könnte -- die Geschichte des Boxers Jim Braddock, der den Ring verlassen muss, sich aber noch einmal zurückboxt, um seiner Familie das Überleben in der Depression der Dreißiger zu ermöglichen. Eine Geschichte von Verzweiflung und Hoffnung und dem Glück des Siegers, vom Erfolgsteam des großen Oscar-Siegers "A Beautiful Mind", Regisseur Ron Howard und Produzent Brian Grazer. Doch der Sommerstart klappte nicht, "Cinderella Man" (deutsch "Das Comeback") schaffte keine zwanzig Millionen Dollar am ersten Wochenende, bestätigte damit erneut die Sommerflaute. Auch von den großen Filmen konnte bislang allenfalls "Star Wars" überzeugen, als Kult-Ereignis, das auf eine langjährige Gemeinde zählen durfte. Am Erfolg von "Krieg der Welten", der nächste Woche anläuft, wird man sehen, ob die Zugkraft der Namen Cruise und Spielberg noch so stark ist wie erhofft.

Stars auf Briefmarken-Format: Der Defätismus in der Branche ist so groß, dass es fast schon einen Hoffnungsschimmer bedeuten würde, wenn die Defizite dieses Sommers wirklich nur den schlechten Filmen zu verdanken wären. (Foto: N/A)

Seit einiger Zeit leben wir nun schon in einer Kinodepressionszeit, und haben uns an die entsprechenden Einspielzahlen und die dazugehörigen Branchenlamentos und -mutmaßungen gewöhnt. Seit nunmehr 16 Wochenenden liegt das wöchentliche Einspiel zurück, nur 1985 war es noch heftiger, mit 17 mageren Wochen. Dass die fetten Sommer jemals wiederkommen, mag man inzwischen nicht mehr glauben. Schneller als erwartet hat sich die gewaltige Umstrukturierung in der Unterhaltungsbranche bemerkbar gemacht. Der Defätismus ist so groß, dass es fast schon einen Hoffnungsschimmer bedeuten würde, wenn die Defizite dieses Sommers wirklich nur den schlechten Filmen zu verdanken wären.

Peinlich genau werden seit ein paar Jahren die Startpläne für den Sommer ausgetüftelt, die Choreografie der Megastarts. Ich sehe jede Jahreszeit als lebenden Organismus, sagt Brian Grazer; für ihn sind Sommerfilme biorhythmisch große, aufregende fun events. Die US-Studios haben mit ihrem PR-Wahnsinn, mit ihrem schier atemlosen Fahrplan für die Sommer-Serie spektakulärer Actionfilme seit langem den Gesamtrhythmus im Filmgeschäft verloren. Millionen werden investiert, um diesen irre teuren Filmen am Startwochenende Supereinspielergebnisse zu garantieren -- es gibt, anders als im Boxring, an der Kinokasse keine zweite Chance, kein Comeback.

Gibt es inzwischen aber offensichtlich doch -- nämlich DVD, und das drückt zur Zeit gewaltig nach vorn. 16 Milliarden Dollar haben laut Hollywood Reporter im vorigen Jahr DVD-Scheiben den Studios beschert, im Vergleich zu 9,5 Milliarden Kinoeinspiel. Plötzlich ist das Kino das schwächste Glied in der Verwertungskette, nach DVD, TV und Internet, sieht sein exklusives sechsmonatiges Erstauswertungsrecht in Frage gestellt. Dieses Fenster zwischen Kinostart und DVD-Auswertung sorgt sowieso für Nervosität, angesichts der existenzbedrohenden Hydra Piraterie. Zudem wurden vorige Woche die Ergebnisse einer von Associated Press und AOL News organisierten Umfrage veröffentlicht, die sagt, dass zwei Drittel des US-Publikums sich die Filme lieber zuhause auf DVD anguckt. Angesichts der ständigen Verbesserung der Abspielgeräte für den Hausgebrauch -- Großbildschirm, optimale Tonsysteme -- sehen die Kinos sich wieder mal unter Erklärungszwang: Was eigentlich macht, außer dem Popcorn- und Colarausch, das Kinoerlebnis so einmalig, dass es die hohen Eintrittspreise rechtfertigt! Es ist die dritte derartige Grundsatzkrise, nach dem Triumph des Fernsehens in den Fünfzigern, als das wöchentliche Kino noch zum Alltag gehörte, und nach der Einführung von Video in den Achtzigern. Aber es könnte die finale sein. Bedeutet DVD das Ende des Kinos an sich?

Dafür spricht zum Beispiel der neue Ton aus der Verleiherecke. Als vor einigen Monaten das Sechsmonate-Fenster von amerikanischen Verleihstrategen versuchsweise zur Diskussion gestellt wurde, gab es sofort Abwiegelung. Vor einigen Tagen hat nun Fred Kogel, Chef bei der Münchner Constantin, die Lage cool analysiert: "Wir werden uns massiv dafür einsetzen, dass diese Sperrfrist verkürzt wird." Die Piraten wären ausgebootet und die Käufer durch schnellere Bedienung glücklich. Man könnte, weil das DVD-Publikum auch ältere Zuschauer umfasst, das Angebot locker erweitern. In Zukunft werden dann nur noch die Blockbuster in die Kinos kommen und die komplizierten aber billigen Arthaus-Produktionen -- der gesamte mittlere Output würde total in der DVD-Maschine verschwinden. So wie man es im Kinobetrieb heute sowieso schon erlebt, wo attraktive amerikanische Komödien nach zwei Wochen nicht mehr auffindbar sind. Die Konsequenzen für die Kinos sind Kogel klar: "Aber es gibt Marktentwicklungen, die sich nicht aufhalten lassen. Unser Ziel muss es sein, dass die DVD drei Monate nach der Kinopremiere auf den Markt kommt." Die Kinobranche will diese rigorosen Pläne mit ebenso rigoroser Verweigerung kontern -- es geht ums nackte Überleben, nach radikalen Einsparungen und angesichts eines Besucherrückgangs, der den Hochrechnungen nach sich von 156 Millionen 2004 auf 130 Millionen in diesem Jahr zubewegt. Die Verleihmieten müssen runter, erklären Heiner Kieft und Hans-Joachim Flebbe von den Multiplexen CineStar und Cinemaxx im neuen Filmecho: "Wir sind nur noch die Werbemaschine für die weitere Auswertung, mit der viel mehr als früher verdient wird."

Ganz verschwinden wird das Kino sicher nicht, aber es wird sich in kürzester Zeit stark verändern. Auch der DVD-Markt wird sich entschlacken müssen; das Getümmel mit den diversen Super- und Gold- und Director's-Cut-Editionen, mit dem Bonusmaterial-Hype wird sich beruhigen müssen. Kino ist mehr als der einzelne Film, erklärte nun George Lucas, ist ein soziales Event wie Football oder ein Theaterabend. Er glaubt an das Miteinander der Medien -- denen zudem schon Konkurrenz droht durch neue Formate wie Handy-Clips. So sieht es auch der Kollege Steven Soderbergh, der sechs Produktionen ankündigte, die er zugleich auf Leinwand, DVD und im Kabelfernsehen herausbringen wird. "Für den Zuschauer ist es eine Frage der Wahl: Wir lassen die Leute entscheiden, zum ersten Mal, ob sie ausgehen wollen ins Kino, wenn ein Film startet, oder zuhause bleiben wollen." "Bubble" heißt der erste Soderbergh-Film zu diesen Konditionen, vielleicht wird er der hitzigen Diskussionsblase ein wenig von ihrer Spannung nehmen.

© SZ vom 20.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: