Krimiautor Ian Rankin:"Jede Ecke in Edinburgh ist ein Tatort"

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Die Romanfigur Inspektor John Rebus wurde in Rente geschickt - trotz Leserprotest. Ein Treffen mit Ian Rankin, Schottlands erfolgreichstem Krimiautor.

A. Menden

Ich war ziemlich früh dran", sagt Ian Rankin beim morgendlichen Treffen vor der Oxford Bar in Edinburghs Young Street. "Ich stehe hier, lese meine Zeitung, und plötzlich fährt ein Bus voller Amerikaner vor, und die Reiseleiterin sagt: ,Das ist die Oxford Bar, in der Inspektor John Rebus aus der bekannten Kriminalreihe immer sein Bier trinkt. Und da steht ja auch ihr Autor, Ian Rankin.'" Er verzieht kaum merklich die Mundwinkel. "Jetzt denken die, ich warte hier jeden Morgen um elf Uhr vor der Kneipe, um Touristen zuzuwinken."

Ian Rankin: "Es stört mich nicht, wenn ein Leser schon auf der zehnten Seite weiß, wer der Mörder ist." (Foto: Foto: afp)

Besonders betrübt wirkt Rankin deswegen allerdings nicht, eher amüsiert. Dem Bestsellerautor, der auch mit 48 Jahren in seiner dunklen Flanelljacke immer noch aussieht wie ein Langzeitstudent und nicht wie einer der erfolgreichsten Kriminalschriftsteller Europas, verdankt der Tourismus in der schottischen Hauptstadt jedenfalls nicht unbeträchtliche Umsätze.

Fans seines trinkfesten, selten sorgenfreien Inspektors John Rebus von der Lothian and Borders Police reisen nach Edinburgh, um die Schauplätze der auf mittlerweile 17 Bände angewachsenen Kriminalreihe aufzusuchen. Mit den "Rebus-Tours" kann man die Stadt erkunden; ein Schauspieler führt durch die Gassen Edinburghs und erweckt Szenen aus Rankins Romanen zum Leben. Unvermeidlich, dass eine dieser Touren hier vor Rebus' Stammkneipe beginnt, der Oxford Bar.

"Als ich 1983 als Student zum ersten mal herkam, war der Laden voll mit Polizisten", erinnert sich Ian Rankin und lässt sich an einem der fünf Tische im winzigen Pub-Hinterzimmer nieder. "Es ist eine Fundgrube für Geschichten und Anekdoten. Aber ich lebe jetzt am anderen Ende der Stadt, deshalb schaffe ich es nur noch etwa einmal die Woche zur Oxford Bar."

Der Tatort ist Edinburgh

Rankin hat seit rund zehn Jahren ununterbrochen einen Stammplatz in den britischen Paperback-Top-Ten; derzeit führt er die Bestsellerliste mit seinem Roman "Exit Music" an. Seine Werke sind in 16 Spachen übersetzt, die Rebus-Reihe ist mittlerweile eine erfolgreiche Fernsehserie, und Rankin ist in jene Villen-Gegend gezogen, in der sich die literarische Elite Edinburghs ballt. Zu seinen Nachbarn gehören J.K. Rowling und Alexander McCall-Smith.

Inspektor Rebus frequentiert die Oxford Bar erheblich häufiger als sein Schöpfer. Seit der erste Roman "Verborgene Muster" 1987 erschien, hat Rebus vieles durchmachen müssen, was empfindsame Menschen zu verstärktem Alkoholkonsum verleitet. Vor allem gehen ihm die Morde, mit denen er sich ständig befassen muss, näher, als seine raue Schale vermuten lässt.

"Jede Ecke in Edinburgh ist für ihn entweder ein Tatort oder ein potenzieller Tatort", sagt Ian Rankin über seinen Protagonisten. Wie so viele Figuren, die ihren Autor lange begleiten, hat John Rebus einen eigenen Willen entwickelt. Zwar stammt er, wie Rankin selbst, aus Cardenden, einem Bergarbeiterort in Fife. Doch darüber hinaus hat er nicht sehr viel gemein mit seinem Schöpfer. "Er würde mich für einen verweichlichten Liberalen halten, der keinen einzigen Tag in seinem Leben richtig gearbeitet hat", sagt Rankin.

Die Working-Class war nichts für ihn

Diese despektierliche Einschätzung wäre allerdings ziemlich ungerecht: Ian Rankin arbeitete, wie er selbst gerne auflistet, nach seinem Literatur-Studium unter anderem als Traubenpflücker, Schweinehirt, Journalist und für das schottische Finanzamt. Bevor 1997 "Das Souvenir des Mörders" erschien, blieb Rankin literarischer Erfolg weitgehend verwehrt. Heute bieten ihm Verlage Millionenvorschüsse auf seine Romane.

Für den zunehmend finsteren Ton seiner Krimis hat Ian Rankin des öfteren eine Periode Anfang der Neunziger Jahre verantwortlich gemacht - damals war er mit seiner Frau Miranda und dem älteren Sohn Jack nach Frankreich gezogen. Bei dem dort geborenen jüngeren Sohn Kit wurde das Angelman-Syndom diagnostiziert, eine seltene Behinderung, die unter anderem zu starken Entwicklungsverzögerungen und Zwangsverhalten führt. Doch Rankins Vorliebe für die dunkleren Seiten menschlicher Existenz gehen wahrscheinlich viel weiter zurück; sie wurzeln in seinem frühen Gefühl, "anders zu sein", wie er das nennt.

Im Gegensatz zu Rebus hat Ian Rankin sich in dem Working-Class-Milieu, in dem er aufwuchs, stets fremd gefühlt: "In meinem Heimatort wusste jeder alles über jeden, alle arbeiteten im selben Betrieb." Abends saß Ian in seinem Zimmer und schrieb Song-Texte und Gedichte. "Davon erzählte ich keinem etwas, so etwas war daheim einfach unüblich. Erst im Studium traf ich Menschen, die wie ich an Literatur interessiert waren."

Doktorarbeiten über seine Romanfigur

Ian Rankin wollte Literatur aber nicht nur konsumieren und interpretieren, er wollte sie selbst schreiben. In Edinburgh, seiner wahren geistigen Heimat, fand er sein Lebensmotiv: "Ich schrieb zuerst Gedichte, dann Geschichten und schließlich Romane über Edinburgh", erzählt er. "Ich wollte die tiefere Bedeutung dieser Stadt ergründen."

Mit berechtigtem Stolz berichtet Rankin davon, dass seine Bücher es mittlerweile auf die Leselisten schottischer Schulen geschafft haben und dass Doktorarbeiten über Rebus verfasst werden. An akademischer Anerkennung liegt ihm, der seine Doktorarbeit über Muriel Spark zugunsten der eigenen literarischen Produktion unvollendet ließ, bis heute etwas. "Die Bücher sollen ja immer mehr sein als Kriminalstorys", sagt er. "Mich selbst interessiert das Verbrechen an sich am allerwenigsten. Es stört mich nicht, wenn ein Leser schon auf der zehnten Seite weiß, wer der Mörder ist."

In "Exit Music" ("Ein Rest von Schuld"), dem 17. Rebus-Roman, befasst Rankin sich mit der Aussicht auf eine mögliche schottische Unabhängigkeit von Großbritannien und den Wirtschaftsinteressen, die dabei eine Rolle spielen. Das Buch spielt im November 2006 und beginnt mit dem Mord an einem russischen Schriftsteller. Das stellte sich als narrative Hürde für den Autor heraus: "Bei der Lektüre der Zeitungen aus jener Zeit wurde mir klar, dass in der gleichen Woche Alexander Litwinenko vergiftet in einem Londoner Krankenhaus lag. Ich dachte: Hier wird ein russischer Dichter ermordet, während in England ein russischer Ex-Agent stirbt. Ich hatte keine andere Wahl, als das mit einzubauen."

War es wirklich Rebus' letzte Ermittlung?

Wenn wie in Rankins Geschichten die Jahre gleichsam in Echtzeit vergehen, kann man bestimmte geschichtliche Ereignisse eben nicht ignorieren, auch wenn das den Erzählfluss eher behindert. So bedeutet auch der Umstand, dass John Rebus, Jahrgang 1946, in "Ein Rest von Schuld" 60 wird und damit das Pensionsalter für schottische Polizisten erreicht, dass dieser Fall unweigerlich seinen Abschied aus dem regulären Polizeidienst markieren wird.

War das also Rebus' letzte Ermittlung? Wird vielleicht die junge Kollegin Siobhan Clarke seinen Platz einnehmen? "Ich habe keine Pläne in der Richtung", sagt Ian Rankin. "Momentan gibt es eine Reihe von Projekten, in denen weder Rebus noch Clarke eine Rolle spielen." Aber die Ungeduld der Rebus-Fans ist jetzt schon zu spüren. Harry, der Besitzer der Oxford Bar, reicht ein paar Briefe herein, die an Ian Rankin adressiert sind.

"Die Leute schicken mir Post hierher", erklärt er, während er einen der Umschläge aufreißt. Er entfaltet das Blatt und liest den ersten Satz vor: "Lieber Mr Rankin, hier sind ein paar Gründe, warum Rebus nicht in Pension gehen muss." Rankin seufzt. Bekommt er viele solcher Briefe? "Viel zu viele", sagt er, und wirkt dabei wiederum gar nicht so betrübt.

© SZaW vom 20./21.09.2008/sst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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