Konzertnacht:Das Buffet, das eröffnet

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Wenn die hohe Kunst von ihrem Podest auf die Straße geholt wird: Unter dem Motto "Oper zum Anfassen" gibt die Festspielnacht zum 17. Mal den Auftakt für die Opernfestspiele.

Von Katharina Rustler

Langsam streift der schwere rote Stoff zur Seite, bauscht sich an beiden Seiten zusammen und gibt den Blick auf die Mitte der Bühne frei: groß, leer, erwartend. Ein leichtes Kribbeln durchzieht den Körper, tiefe Atemzüge folgen, der Blick geht voraus. Der Applaus ebbt ab. Man findet sich wieder, nun im blendenden Scheinwerferlicht. Von hunderten Blicken durchbohrt, doch bis auf die ersten paar Sitzreihen sind keine Augenpaare zu erkennen. Dahinter ist alles in ein dunkles Nichts getaucht, ohne Gesichter, ohne, dass man angeschaut wird, ganz anonym.

Genau um diesen Raum zwischen Publikum und Bühne geht es. Auch wenn dieser meist unsichtbar bleibt, das fühlbare Knistern liegt immer in der Luft. "Der Raum ist für mich das, was die Beziehung zwischen Künstler und Publikum am meisten beeinflusst", erklärt die rumänische Sopranistin Adela Zaharia. Sie gilt als Nachwuchsstar der Opernszene, ist Mitglied des Ensembles an der Oper am Rhein, sang gerade am LA Opera House und feierte vergangenes Jahr in der Rolle der Lucia ihr Debüt an der Bayerischen Staatsoper. Dorthin kehrt sie nun auch zurück, um bei den Münchner Opernfestspielen als Angelica in Joseph Haydns "Orlando Paladino" aufzutreten.

Doch bevor die Festspiele am 24. Juni offiziell mit der Premierenmatinee von "Parsifal" beginnen, eröffnet die Uni-Credit- Festspielnacht" am Abend zuvor den Münchner Opernsommer. Eine Nacht, in der mit den Fünf Höfen, der HVB-Filiale am Promenadeplatz, dem Literaturhaus, dem Theatinerhof und der Salvatorkirche das Viertel um das Nationaltheater herum mit Konzerten, Opern und Literatur bei freiem Eintritt bespielt wird. Bereits zum 17. Mal soll unter dem Motto "Oper zum Anfassen" das Genre einem breiten Publikum näher gebracht und in kleinerem Rahmen zugänglicher gemacht werden. Da geht es auch wieder um den angesprochenen Raum zwischen Bühne und Publikum; und darum, dass sich dieser durch die Größe des Publikums und dessen Fluktuation, den öffentlichen Ort und den freien Zugang dazu von Grund auf verändert. Adela Zaharia beschreibt die neue Situation im Gegensatz zu der eines Opernhauses oder eines großen Open-Air-Konzerts, als entspannter, direkter - und vor allem intimer.

Die einzelnen Programmpunkte der Festspielnacht sind bewusst zeitlich und räumlich nah aneinander gelegt und wiederholen sich später am Abend an einer anderen Stelle. Wie bei einem üppigen Buffet darf der Besuchende nach musikalischem Belieben gustieren. Oder einfach an den Bühnen vorbei flanieren, Prosecco für den guten Zweck trinken, klassischer Musik, aber auch Pop oder Jazz lauschen und bei dem, was besonders gefällt, länger verweilen. Denn davon hat das vielfältige Programm, das Staatsintendant Nikolaus Bachler mit internationalen Größen besetzt hat, einiges zu bieten.

Auch die Fußball-WM schlägt sich im Programm nieder: Schweden, Deutschland - und ein Klavier

Da spielen zum einen der chinesisch-deutsche Pianist Yi Lin Jiang Beethovens Mondscheinsonate und "Attacca", das Jugendorchester des Bayerischen Staatsorchesters, die Symphonischen Tänze aus " West Side Story" in Gedenken an Leonard Bernstein. Zum Anderen geben Cosby, eine Elektro-Pop Band aus München, und Norisha mit Soul, Jazz und Modern Gospel Konzerte. Im Maffeihof werden Szenen aus Charles Gounods Faust-Oper gezeigt, während die Band A malfi Swing bayerisch-mediterranen Pop spielt. Filmregisseur Axel Ranisch, der die Festspielpremiere "Orlando Paladino" inszeniert, liest aus seinem Debütroman "Nackt über Berlin", und im Portiahof wird mit "Ella - Puppet on a Swing" ein mit klassischer Musik untermaltes Puppenspiel präsentiert. Dass parallel zu den Opernfestspielen diesen Sommer auch die Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet, wurde ebenfalls berücksichtigt. Das Spiel zwischen Deutschland und Schweden, das an diesem Abend ausgetragen wird, wird anlässlich der Festspielnacht einfach zu einem Fußball-Konzert kombiniert: Zwar ohne Kommentar, dafür mit musikalischer Untermalung des Komponisten Stephan Graf von Bothmer, der das Match am Flügel begleiten wird.

Eben solche Neuerungen, die den üblichen Rahmen von Oper auflockern, ihn luftiger gestalten und mit Popkulturellem vermischen, sind genau das, was mit "Oper zum Anfassen" gemeint ist. Denn die Oper werde von vielen Menschen zu oft nach ihren alten Mustern beurteilt, meint Adela Zaharia. Die Folge: Die Menschen distanzieren sich von der Oper. Und das, obwohl in den meisten Stücken, auch wenn sie aus vergangenen Zeiten stammen, Themen behandelt werden, die jeder kennt.

"Die menschlichen Eigenschaften und Emotionen werden immer dieselben bleiben. Genau wie unsere inneren Konflikte, komplizierten Beziehungen, unerfüllten Lieben - da wird es immer etwas geben, auf das wir uns beziehen, und somit eine Brücke zu unserer heutigen Zeit schlagen können", sagt Zaharia. Mit einer Veranstaltung wie dieser Festspielnacht sieht sie die Chance zu zeigen, dass Oper auch eine zugängliche Kunstform ist, die nur zu oft auf ein Podest gestellt wird. Vielleicht ist es einfach an der Zeit, sie von dort herunter zu holen? Und zwar auf die Straße, dort wo sie gesehen wird. Wo ihr Menschen begegnen können, die sonst vielleicht gar nicht oder auf diese Weise sogar zum ersten Mal mit Oper in Berührung kommen. Einen ähnlichen Effekt sieht auch die Sponsoren-Seite: "Wir suchen den Austausch mit anderen, auch jenseits des Tagesgeschäfts", sagt Michael Diederich von der Hypo-Vereinsbank, ein "großes Fest mit spannenden Begegnungen in einer fröhlichen und lockeren Atmosphäre" eigne sich für ihn dafür sehr gut.

Vielen Künstlern ist die Nähe zum Publikum mindestens ebenso wichtig wie die große Bühne. (Foto: Wolfgang Hösl)

Unter dem Programmpunkt "Die Stars der Münchner Opernfestspiele" tritt Adela Zaharia dann gegen 22 Uhr auch selbst auf und wird etwa "Je veux vivre" aus "Romeo et Juliette", eine Barcarolle aus "Les Contes d'Hoffmann" und in einem Quartett aus "Rigoletto" singen. Dabei wird weder ein Vorhang fallen, noch werden endlose Sitzreihen in der Dunkelheit verschwinden. Jedes Gesicht im Publikum wird zu erkennen sein. Für Adela Zaharia ist das etwas ganz Besonderes: "Das Schönste sind die überraschten Gesichter der Zuschauer.

Uni-Credit-Festspielna cht , Samstag, 23. Juni, 20 Uhr, Fünf Höfe, HVB Filiale Promenadeplatz, Literaturhaus München, Theatinerhof, Salvatorkirche, Kardinal-Faulhaber-Straße

© SZ vom 21.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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