Konzertkritik: Pop:Dunkles Gewölk

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Betörend aufgekratzt: Dave Gahan wirkt wie eine Mischung aus Ringsgwandl, Flamingo und einem Zwanziger-Jahre-Varieté-Künstler. (Foto: Stefan M. Prager)

"Depeche Mode" im Olympiastadion

Von Egbert Tholl, München

Auch diesmal gibt es verschärfte Sicherheitskontrollen, die allerdings reibungsloser ablaufen als bei Coldplay. Dennoch huschen noch einige Besucher die lange Treppe ins Innere des Olympiastadions hinab, als Depeche Mode bereits ihr Konzert beginnen. Die, die zu spät kommen, haben verpasst: einen Regenbogen, eine Vorband, die Britpop der etwas rockigeren Art spielte und einen finalen Soundcheck mittels Beatles "Revolution". Ein wenig wird der Sound auch während des ganzen Konzerts so bleiben, an eine vordigitale Zeit erinnern und eher an dunkles Gewölk denn an lichte Klarheit denken lassen. Zumindest wenn man auf der Tribüne unter dem Stadiondach sitzt. Aber eigentlich spielt das keine Rolle.

Es ist schon erstaunlich, wie Depeche Mode über die Jahrzehnte ihres Bestehens gelernt haben, wie eine Stadionband funktioniert. Das Pathos, die große Geste, das hatten sie schon immer, das ist ihrer Musik immanent, zumindest, wenn man die ersten beiden Platten beiseite lässt, aber von denen spielen sie ja schon längst nichts mehr. Das älteste Lied des Abends dürfte "Everything Counts" in einer sehr tanztauglichen Up-Tempo-Variante sein, sieht man von "Heroes" ab, geborgt von David Bowie und dargeboten in einer entzückend zarten Cover-Version. Darauf folgt "I Feel You" als große Rumpelrock-Show mit Schlagzeuggewittersturm. Das ist toll, macht ausgezeichnete Laune, wie natürlich auch das finale "Personal Jesus". Aber: An der frischen Luft geht verloren, was die Musik von Depeche Mode immer ausgezeichnet hat, die Klangspielereien, die Erfindung kubistischer Soundmodule, die in teils aberwitziger Form um die Struktur der Songs gebaut werden. Natürlich ist noch viel davon vorhanden, doch in der Wirkung ebenso reduziert wie die Kunst der Modulation, der Sog der wechselnden Harmonien. Einige der Songs wirken so viel flacher, als sie sind.

Aber dafür gibt es etwas anderes, was die Massen verführt. Die Show, die gar nicht viel Technik braucht, auch wenn die sublimen Bandvideos im Corbijn-Stil sehr schön sind. Denn schließlich singt Dave Gahan. Er erinnert manchmal an Ringsgwandl, an einen Flamingo oder einen Zwanziger-Jahre-Varieté-Künstler, stolziert aufgekratzt herum, betört mit seinem hymnischen Bariton und tanzt wie ein Derwisch, vielleicht aus Freude darüber, die Abgründe seines bisherigen Lebens überlebt zu haben. Andrew Fletcher hält sich im Hintergrund und kümmert sich um die Technik, Martin Gore sorgt als fragiler Engel singend für den ersten Höhepunkt des Abends, "Home", grandios. Der Rest sind die schönen, alten Lieder, Melos für die dankbaren Massen.

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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