Konzert: "Twilight Singers":Sei ein Sexgott und mehre dich redlich!

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Greg Dulli, der Charmeur mit der gesundesten Menschenverachtung aller Zeiten, scharte seine "Twilight Singers" zum einzigen Deutschland-Konzert um sich. Um sich nach eines langen Tages Reise durch die Hamburger Nacht zu grinsen.

AXEL HENRICI

Das "Molotow" an der Reeperbahn ist so klein, dass der Backstage-Bereich vor der Bühne ist.

Schwarz ist nicht nur Dullis Haarfarbe, sondern auch seine Seele. (Foto: N/A)

Der Kellerraum verbreitet WG-Partystimmung: Palmentapete, Diskokugel - fehlt eigentlich nur die Schale Kartoffelsalat auf der Anrichte in der Ecke.

Vor dem Eingang hängt ein Schild, auf dem steht, wer schon alles da war. Viele berühmte unbekannte Bands, wie zum Beispiel And You Will Know Us By The Trail Of Dead.

Aber bis man reinkommt, das dauert. Kurz vor neun kommt dafür Greg Dulli raus, Zigarette hinterm Ohr, und sagt mit großer Geste "Come on in".

Was den Türsteher aber nicht beeindruckt, denn er lässt die Besucher weiter draußen in der Hamburger Kälte warten. Derweil geht Greg Dulli erstmal einen Döner essen.

Als wir ihn vor zehn Jahren das letzte Mal aus der Nähe sahen, wog er noch zehn Kilo weniger, und war der so genannte "Frontmann" der Afghan Whigs, die aus Cincinnati, Ohio kamen und rabiat-melodischen Gitarrenrock machten, mit einem starken Hang zur dunklen Seite der menschlichen Psyche.

"Ich bin", sagt Dulli, " auf fast schon obsessive Weise von den Geheimnissen fasziniert, die Menschen voreinander haben, um sich gegenseitig das Gefühl zu geben, alles wäre in Butter."

Kein Wunder also, dass Dulli seine neue Formation The Twilight Singers nennt. Er gibt sich gerne zwielichtig.

Das Prinzip Dulli: eine gesunde Menschenverachtung an den Tag legen, dazu ein diabolisches Grinsen aufsetzen und ab und zu überraschend charmante Sachen sagen. Das klingt dann ungefähr so: "Can you hold that cigarette for me, honey?" Die junge Frau am Bühnenrand haucht ein Ja. "Smoking is bad for you", lächelt der Teufel, und fügt schließlich mit Barrique-Ton in der Stimme hinzu: "But you look hot with that thing."

Elf Songs enthält das neue Album der Twilight Singers, auf das die kleine Europatour aufmerksam machen sollte, die mit dem Konzert in Hamburg ihren Abschluss fand.

Unter dem Titel "She Loves You" sind ungewöhnliche Coverversionen versammelt von Klassikern wie "Summertime" und "Strange Fruit", aber auch von weniger bekannten Songwritern wie Skip James ("Hard Time Killin' Floor") oder Martina Topley-Bird und David Holmes ("Too Tough To Die").

Ein Glanzpunkt ist Dullis inbrünstig vorgetragene Version des Traditionals "Black Is the Color of My True Love's Hair".

Wenn der ehemalige Filmstudent und Barbetreiber Dulli überhaupt ein Anliegen hat, dann ist es die Synthese aus schwarzem Blues und weißem Rock.

Schon das Cover des frühen Afghan-Whigs-Albums "Congregation" deutete das an. Darauf war eine nackte schwarze Frau abgebildet, die ein weißes Baby in den Armen hält.

Als die Afghan Whigs im Gefolge der Grunge-Welle nach oben gespült wurden, hörte jeder nur den lärmigen Gitarrensound, aber kaum jemand achtete auf die Souleinflüsse.

Um Klarheit zu schaffen, veröffentlichte die Band später noch ein Album mit dem Titel "Black Love". Schwarz ist aber nicht nur Dullis Haarfarbe, sondern auch seine Seele. Diesen Eindruck möchte er jedenfalls gerne erwecken.

Es macht ihm Spaß, sich als "the savior of misbehavior" zu inszenieren. Aber woher kommt diese Präsenz? Woher nimmt einer, der streng genommen gar kein so guter Sänger ist, diese Selbstsicherheit. Vielleicht ist es ganz einfach: Fühle dich wie ein Sexgott, dann halten dich auch die anderen dafür! Zeige deine Wunde, erwähne den Herrn und rauche dabei! Dann sind Gott und Teufel zufrieden.

Vielleicht ist es auch diese gelangweilte Jetzt-hör-mal-gut-zu-Freundchen-Miene, die Dulli aufsetzt, bevor er die Zigarette aus dem Mund nimmt, den Kopf leicht zurücklegt und mit halb geschlossenen Augen ans Mikro tritt: "Black out the windows, it's party time!"

Manchmal ist man versucht, aus dieser Miene auch ein "Was wollt ihr Idioten eigentlich hier?" zu lesen.

Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass es viele Geschichten gibt über Prügeleien zwischen Dulli und Leuten aus dem Publikum. In Köln hat er mal vor Jahren ein Konzert beendet, weil ihm die Zuhörer nicht genug rockten.

In Hamburg unterbricht er die erste Zugabe, weil sich einige Zuhörer unterhalten, während er am E-Piano ein Liebeslied intoniert. "I'm singing a motherfucking song here", schnauzt er. Das Publikum in St. Pauli zeigt sich unbeeindruckt und ruft gut gelaunt zurück, er solle sich mal nicht so haben.

Vor zehn Jahren hätte es an dieser Stelle Prügel gesetzt. Heute gibt sich Greg Dulli damit zufrieden, "I don't think I'm being unreasonable" zu grummeln und die zweite Strophe zu spielen.

Er ist ruhiger geworden, aber ansatzlos aus voller Kehle schreien, dass es einem heißkalt den Rücken herunterläuft, das kann er immer noch. Doch es geht auch unplugged. Zur unverstärkten E-Gitarre singt er die ersten Takte von "Why don't you love me (like you used to do)?", bevor er - für US-Sänger auf Deutschlandtournee offenbar obligatorisch - in der Sprache Goethes "Wollen Sie tanzen? Eins, zwei, drei, vier" schreit.

Der Sixties-Klassiker "Time of the Season" wird dann ebenso lässig weginterpretiert wie Kurt Cobains "Smells Like Teen Spirit", das Dulli gekonnt gelangweilt dekonstruiert.

Die übrigen Musiker bleiben im Hintergrund, falls man das bei einer so kleinen Bühne sagen kann. Jon Skibic bearbeitet zurückhaltend seine Gitarre, Bassist Michael Sullivan hält still lächelnd den Takt, Keyboarder Peter Adams gibt den blonden braven Widerpart des bösen Buben Dulli. Am auffälligsten ist noch Schlagzeuger Bobby Macintyre.

Wie er ekstatisch versunken sein Instrument prügelt, das erinnert ein wenig an die Wut des frühen Greg Dulli.Ein bisschen sieht er aus wie das Tier aus der Muppet-Show.

Wild, aber irgendwie auch niedlich. Was natürlich das Schlimmste ist, was man über einen Rock'n'Roller sagen kann. Aber auch böse Buben sind manchmal einfach nur süß.

© SZ v. 24.08.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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