Komponist Mauricio Kagel gestorben:Nichts Akustisches fremd

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Der deutsch-argentinische Komponist Mauricio Kagel ist tot. Er galt als einer der wichtigsten Komponisten der Gegenwart. Das Komponieren hatte er sich selbst beigebracht.

Der deutsch-argentinische Komponist Mauricio Kagel ist am Donnerstag im Alter von 76 Jahren in Köln gestorben. Das teilte nun der C.F. Peters Musikverlag in Frankfurt mit. Kagel war bereits seit längerem krank. Er galt als einer der wichtigsten Komponisten der Gegenwart und hat unter anderem den Adolf-Grimme-Preis, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, die Ehrendoktorwürde der Musikhochschule Weimar-Jena und die Mozart-Medaille der Stadt Frankfurt erhalten.

Der eigene Körper als Musikinstrument: Mauricio Kagel. (Foto: Foto: Getty Images)

Mauricio Raúl Kagel wurde am 24. Dezember 1931 in Buenos Aires in eine deutsch-russische jüdische Familie geboren und wuchs in Südamerika auf. Seine Familie war in den zwanziger Jahren vor den Pogromen aus Russland geflohen.

Im Selbststudium und durch privaten Musikunterricht erlernte er Klavier, Cello und Orgel, Komposition und Dirigieren. Nachdem ihm der Zugang zum Konservatorium verwehrt blieb, studierte er an der Universität von Buenos Aires Literaturwissenschaften und Philosophie. Als Komponist ist er Autodidakt.

Bereits Mitte der 50er Jahre hatte sich Kagel als hoch begabter Komponist in seiner Heimat einen Namen gemacht. In seinem Frühwerk beschäftigte er sich insbesondere mit der Musik des österreichischen Komponisten Arnold Schönberg. 1954 begegnete er dem französischen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez, der ihn nach Europa empfahl.

Der eigene Körper

1957 kam Kagel als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Köln, das damals als Hochburg der Musikavantgarde galt. Er arbeitete unter anderem an den Studios für elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks Köln und leitete bis 1961 das Rheinische Kammerorchester. 1960-1966 war er Gastdozent bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt und wurde 1967 Gastdozent an der Film- und Fernsehakademie in Berlin. Seit 1969 leitete er das Institut für Neue Musik an der Rheinischen Musikschule in Köln und die Kölner Kurse für Neue Musik. Er war ferner Leiter des Kölner Ensembles für Neue Musik. 1975 erhielt er eine Professur für Neues Musiktheater an der Kölner Musikhochschule.

Kagel gilt nicht nur als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten, sondern auch einer der produktivsten, der mit vielfältigen Ausdrucksformen experimentiert hat. International ist er auch als Dirigent und Performancekünstler sowie als Film- und Hörspielautor geschätzt.

Er begründete Anfang der 60er Jahre einen neuen Typus des musikalischen Theaters (Instrumentales Theater) und schuf dazu im Laufe der Jahre ein immenses kammermusikalisches Werk (neben Hörspielen, Filmen und Theaterstücken). Während Kagel in seinem ersten Werk "Anagrama" (1957/1958) noch traditionelle musikalische Sätze verwendete, ging er in der Folgezeit neue Wege, indem er historische musikalische Materialien verwandelte, verfremdete oder vermischte. "Nichts Akustisches auszuschließen", blieb das erste Gebot dieses Künstlers der Avantgarde, der mit Schallträgern aller Art, mit elektro-akustischen und audio-visuellen Medien experimentierte und auch auf seinen eigenen Körper als Musikinstrument zurückgriff.

Als Live-Performer oder Sprecher mischte sich "der Komponist der Widersprüche und Paradoxien", wie Rudolf Frisius K. einmal nannte, immer wieder unter die Interpreten seiner in offenen Formen konzipierten Stücke.

Mit seinem 1960 in Bremen uraufgeführten kammermusikalischen Theaterstück "Sur scène", das das Modell des "instrumentalen Theaters" begründete und den konventionellen Musikbetrieb hinter sich ließ, erlebte Kagel seinen internationalen Durchbruch. Das ganze Spektrum der Musikgeschichte wurde zum Gegenstand der kompositorischen Aneignung und Bearbeitung.

In den 80er Jahren kehrte er aus dem Bereich des Musiktheaters zu den üblichen musikalischen Gattungsformen zurück und sah dabei angesichts der sich wandelnden Gesellschaft den Hang zum Gesamtkunstwerk, den universellen Anspruch gerechtfertigt. Musik als "absolute Kunst", als eine Art Reaktion auf die immanente Banalisierung begründete sein Bestreben, selbst Meisterwerke zu schreiben, wobei er nicht mehr die Aktualität betonte, sondern die Zeitlosigkeit.

Überwältigen und verführen

Zu seinem 60. Geburtstag schrieb er das Stück "... den 24. xii. 1931", das auf "verstümmelten Nachrichten" aus Zeitungen seines Geburtstages fußt. Im Mai 2000 brachte der Berliner Rundfunkchor anlässlich seines 75-jährigen Bestehens Kagels Auftragswerk "Schwarzes Madrigal für Chorstimmen und Instrumente" zur Uraufführung. Der Komponist widmete dieses Stück dem kubanischen Poeten Nicolás Guillén, der seine Lyrik in den Dienst der Armen und Gedemütigten stellte.

Anlässlich des 70. Geburtstages von Kagel 2001 reagierte das Feuilleton mit einer Vielzahl von Würdigungen. Insbesondere sein OEuvre in der Kölner Philharmonie wurde als "schillernd" und "vielseitig" apostrophiert. Viele Kritiker charakterisierten es als humorvoll, experimentierfreudig und skurril - so hatte Kagel in seiner "Fantasie für Orgel und Obligati" eine Toilettenspülung als Instrument eingesetzt. Der Komponist selbst hatte der Welt als Maxime seiner Ästhetik beschrieben, dass "Musik, die bewegen, überwältigen, verführen will", "komplex" sein müsse.

Trotz der großen öffentlichen Anerkennung wurde Kagel nie populär, seine Stücke wurden nach der Uraufführung selten nachgespielt und viele sind nie auf Tonträger aufgenommen worden. 2002 erlitt Kagel während einer Premiere einen Schwächeanfall.

Mit seiner Uraufführung von "Fremde Töne und Widerhall" in München begeisterte er 2005 zuletzt Kritiker und Publikum. Wolfgang Schreiber lobte das Werk in der Süddeutschen Zeitung als "Höhepunkt einer Kageliade der allerbesten, weil erfindungsreichsten Manier." Im Rahmen einer Konzertreise besuchte Kagel im August 2006 erstmals seit Anfang der 70er Jahre wieder seine Heimatstadt Buenos Aires. Er lebte und starb in Köln.

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