Klaus Staeck zum 70. Geburtstag:Die Reichen müssen reicher werden

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Wen hätten wir sonst, der sich im grobschlächtigen Anprangern verstünde? Der Plakatkünstler und beißende Satiriker Klaus Staeck wird 70 Jahre alt.

Willi Winkler

Kunst ist dumm, sonst wäre sie ja nicht so schön. Intelligenz wird bestraft; der gute Geschmack verbietet jeden Witz. Wenn ihn sich doch einer leistet, gilt es gleich als geschmacklos oder, schreckliches Schimpfwort, oberflächlich. So wie hier: Eine verhärmte Frau gehetzt am Fluss, am Lebensende. Als das kleine Mädchen neben ihr fragt: "Mutta, is ooch nich kalt?" antwortet sie: "Lass man, de Fische leben ja immer drin!" Das war Heinrich Zille vor 100 Jahren, angeblich Berliner Schnauze und "Milljöh", in Wahrheit ein Bild schreienden Elends.

1970 sollte der damals noch nachwachsende Künstler Klaus Staeck einen Nachwuchs-Förderpreis erhalten, der nach Heinrich Zille benannt war. Der Kunstaktionist Staeck nahm aus den Händen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz den Preis und vor allem das Preisgeld entgegen ("weil ich es für die Finanzierung meiner weiteren Arbeit brauche") und trug die eigenen in Handschellen gefesselt. Bei einer ähnlichen Gelegenheit versuchte der legendäre Berliner Straßenkämpfer Peter Schneider den Bürgermeister zu berempeln - ach, die Achtundsechziger! Staeck wies mit seiner nicht übermäßig subtilen Aktion darauf hin, dass die Kunst seit je nach Brot geht, unweigerlich aus der öffentlichen Hand nimmt und, alas! ewig unfrei ist.

1938 wurde Klaus Staeck in der sorbischen Pfefferkuchenstadt Pulsnitz geboren. Nach dem Abitur, mit 18, beschritt er, wie er sagt, den Bitterfelder Weg in umgekehrter Richtung und floh in den Westen, studierte in Heidelberg und wurde Künstler und Rechtsanwalt zugleich.

Natürlich ein Skandal

Staeck attachierte sich früh an den deutschen Meister Joseph Beuys, erreichte aber nicht bloß das Feuilleton, sondern über seine massenhaft vertriebenen Postkarten eine aufmerksame Kundschaft. So trat der DDR-Flüchtling ein Erbe an, an das sich im antikommunistischen Westen niemand erinnern mochte, das Erbe des Agitprop, mit dem George Grosz und John Heartfield in die Kämpfe der Weimarer Republik eingegriffen hatten. Die Mittel waren grobschlächtig, aber warum auch nicht: Die alten Kombattanten machten aus ihrem blutenden Herzen keine Mördergrube, sondern zeigten die Mörder.

Die gab es in der Bundesrepublik auch noch, aber Staeck fand noch anderes, was sich anprangern ließ. Brecht hatte ehedem das romantische Glotzen untersagt. 1971, als, 500 Jahre nach der Geburt Dürers, wenigstens das westliche Deutschland wieder zur Kunstreligion zurückfinden durfte und massenhaft nach Nürnberg pilgerte, um all die Wunderwerke zu betrachten, kaufte Klaus Staeck bei der Stadtreklame Nürnberg Werbeflächen.

Für 300 Plakate im Format DIN A 1, 84 cm hoch und 59 cm breit, wurden DM 480 zzgl. Mehrwertsteuer fällig. Die Plakate zeigten die Bleistiftzeichnung, die Dürer von seiner damals 63-jährigen Mutter angefertigt hatte. Versehen mit dem Zusatz "Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?" wurde daraus ein Kommentar zur eben beginnenden Innenstadtsanierung und großflächigen Entmietung und, natürlich, ein Skandal.

So schlicht seine Mittel sind, so wirkungsvoll sind sie auch: Unter dem Pseudo-Slogan "Die Reichen müssen noch reicher werden" hätte nicht bloß die CDU, die gemeint war, sondern auch die FDP den Weg nach Liechtenstein und in die Schweiz führen können. Der Spruch "Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen" ist sprichwörtlich geworden, wenn er auch bald an Wirkung verlor, als der Millionenbetrug der Herrschaften von der Gewerkschafts-Holding Neue Heimat offenbar wurde.

Juso beißt wehrloses Kind

Die Feindbilder waren zu Anfang der siebziger Jahre, als Staeck seine beste Zeit erlebte, wirklich noch solche; Staeck konnte auf einen gewaltigen Konsens (und ebenso erbitterte Abwehr) rechnen, als er 1972 Franz Josef Strauß eine Bild-Zeitung mit der Schlagzeile "Juso beißt wehrloses Kind" in die Hände drückte. Als er das Plakat auch noch mit dem bekannten Spruch versah, dass dahinter immer ein kluger Kopf stecke, wurde der zuständige Verlag ungnädig. Obwohl man "durchaus Sinn für Ironie" habe, "auch und gerade in Wahlkampfzeiten", wollte man sie "aus werblichen Gründen nicht dulden". Der angemahnte Künstler konnte drauf verweisen, dass im Feuilleton nämlicher Zeitung seine Methode, redaktionelle Äußerungen und solche aus dem Werbeteil zusammenzuführen, ausdrücklich gelobt worden war.

Vor den Jusos fürchtet sich heute nicht einmal mehr Gerhard Schröder, Strauß ist schon lange gestorben, nachdem ihn campagneiros wie Staeck erfolgreich daran gehindert hatten, doch noch an die Macht zu gelangen. Nebenbei nahm Staeck - Künstler sind nach alter Lehre auch Seher - mit seiner Warnung vor dem Populisten Strauß aufs Schönste das gegenseitige Geben und Nehmen voraus, das Bild und Frankfurter Allgemeine heute zu gegenseitigem Nutz & Frommen verbindet.

Aber dass es immer und unbedingt die SPD sein musste, die nervigste Partei des Universums! An einem 1. April ist Staeck einst in die Partei eingetreten, aber noch immer meint er es ernst mit seinem Engagement für diesen Verein. Kurt Tucholsky, dem Staeck gewiss näher steht als dem Werbetrommler Günter Grass, hatte das Unglück der Partei, die sich sozialdemokratisch nennt, erkannt: "Hieße sie seit dem August 1914 reformistische Partei oder Partei des kleinern Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas -: vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahin gegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei."

Aber gut, so ist das Leben oder wenigstens die Politik. Seit zwei Jahren waltet Staeck als Präsident der Berliner Akademie der Künste. Nach allem, was man hört, macht er seine Sache gut. Derzeit zeigt er in der Akademie eine große Ausstellung des Agitprop-Zeichners Heinrich Zille. An diesem Donnerstag wird der große politische Künstler Klaus Staeck 70 Jahre alt.

© SZ vom 28.2.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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