Klassik:Ganz großes Miteinander

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Vielleicht ist Bunka Kaikan nicht der beste Saal, aber doch wahrlich kein schlechter. Das Interesse am Bayerischen Staatsorchester war jedenfalls groß. (Foto: Wilfried Hösl)

Kirill Petrenko und Igor Levit harmonieren beim Konzert in Tokio

Von Egbert Tholl, Tokio

Erst einmal noch einen Nachtrag zum Konzert am Sonntag. Da spielte das Staatsorchester nicht nur Mahlers Fünfte, sondern auch, wie zuvor in dieser Kombination, Rachmaninows "Rhapsodie auf ein Thema von Paganini". Eigentlich ein grauenhaftes Stück. Nicht aber, wenn man es so spielt, wie es Kirill Petrenko will und wie Igor Levit den Solopart übernimmt. Schon bei der Probe wird man Zeuge einer symbiotischen Zusammenarbeit zwischen den beiden herzlich gemütswarmen Menschen. Sie zeigen sich gegenseitig Passagen in den Noten wie neugierige Kinder, die gerade etwas noch nie Gesehenes entdecken. Nur völlig ernsthaft. Außerdem hat Petrenko ein untrügliches Gedächtnis. Beim Mahler-Proben sagte er Sätze wie: "Takt 167 war das letzte Mal ein bisschen undeutlich. Das heißt nicht, dass wir lauter sein müssen. Nur deutlicher." Das hat ein bisschen was Unheimliches. Beim Rachmaninow führt das zu etwa 17 Arten, ein Pizzicato zu spielen. Geht natürlich gut aus.

Im Konzert beginnt dieses seltsame Stück mit einem trockenen Humor, auf den man erst einmal kommen muss bei Rachmaninow. Das ist ungeheuer lustig und mündet in eine Abfolge von Ideen, von denen nicht jede einzelne genial ist, die Summe aber, gerade wegen Levit, pure Magie. Der spielt als Zugabe die Klavierbearbeitung des "Liebestods", also das Ende von Wagners "Tristan", von Franz Liszt. Wie hier Zweifel und Leidenschaft auf Ringen und Lust treffen, das ist beim hochintellektuellen Levit ein Ereignis, auch weil: In der folgenden Mahler-Symphonie gibt es zwei halbe "Tristan"-Zitate, die Zugabe verzahnt also das Programm des Abends.

Im Gespräch danach bestätigt Igor Levit den Eindruck, den man bei Proben und Konzert hatte. Vor zwei Jahren spielte er mit Petrenko in Israel sechs Mal Beethovens drittes Klavierkonzert. Seitdem weiß er, dass er ihm völlig vertrauen kann. Es sei ein ganz großes Miteinander. Genau, das ist es, was man spürt. Auch im Hinblick auf die Beziehung zwischen Orchester und Petrenko. Dieses Miteinander kulminiert in etwas eigentlich Unvereinbarem: Petrenko gelingt es, extrem genau auf jedes Detail zu achten und dennoch mit dem Staatsorchester lebendig Musik zu machen. Levit erlebt das als Geschenk: "Petrenko ist ein Musiker, der sich nie mit 99,9 Prozent zufrieden gibt, sondern immer den letzten Millimeter geht." Vielleicht sei Bunka Kaikan nicht der beste Saal (aber doch wahrlich kein schlechter, könnte man ergänzen), aber das sei egal. Das Konzert sei der schönste, erfüllende Abend gewesen.

Nach dem Konzert gibt es eine Pressekonferenz für die japanischen Journalisten, auch ein bisschen wohl deshalb, weil es noch ein paar Restkarten für die drei "Tannhäuser"-Aufführungen gibt. Was bei bis zu 500 Euro pro Karte nicht sonderlich verwundert, selbst in Japan nicht. Die Konferenz nimmt sich aus, als besuche Kanzlerin Merkel den japanischen Kaiser, wobei man überlegen kann, wer wer sei, wenn sie alle auf dem Podium sitzen. Nicht nur Kirill Petrenko und Staatsopernintendant Nikolaus Bachler, auch fast alle der "Tannhäuser"-Protagonisten, die da sind: Klaus Florian Vogt, Tannhäuser. Matthias Goerne, Wolfram von Eschenbach. Annette Dasch, Elisabeth. Elena Pankratova, Venus. Der aufmerksame Opernfreund wird sagen: Moment, in München bei der Premierenserie im Mai dieses Jahres sangen Anja Harteros die Elisabeth und Christian Ger-haher den Wolfram. Nun, vermutlich ist das die jetlag-resistentere Besetzung.

Zunächst begrüßt Nikolaus Bachler die japanischen Kollegen, erklärt ihnen, dass die Bayerische Staatsoper seit 1974 nach Japan kommt. Mithin habe München die längste Tradition europäischer Opernhäuser in Japan-Gastspielen, die vor sechs Jahren, nach der Katastrophe von Fukushima, ganz neue Dimensionen erhielt. Bachler zeigt sich heute noch beeindruckt von der "Diszipliniertheit der Japaner und der Begeisterung für Musik" damals.

Nun käme die Petrenko-, äh, Staatsopernpressekonferenz, aber: Die folgt morgen. Sayonara!

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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