Klassik:Forschungsreise

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Mit dem Blick des Intellektuellen ist Mark Padmore ein Mann für das Zeitgenössische. (Foto: Peter Meisel / BR)

Der Tenor Mark Padmore hat mit dem BR-Symphonieorchester ein feinsinnig modernes Programm erarbeitet

Von Rita Argauer

Orchester lieben es derzeit, sogenannte Residencys auszurufen. Dieser seltsame Begriff eines Artists in Residence, für den es keine rechte deutsche Entsprechung gibt, wird gerne jedem Solisten aufgestempelt, der für mehr als ein Konzert bei dem Orchester weilt. Man sonnt sich im Star-Glamour. Suggeriert eine enge künstlerische Zusammenarbeit, auch wenn der Habitus bei solchen Kurz-Residenzen nicht viel anders ist, als bei jedem sonstigen Konzert mit Solisten. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat zu dieser Saison zwei solcher residenten Künstler angekündigt. Rudolf Buchbinder und Mark Padmore. Doch die Zusammenarbeit mit dem britischen Tenor Padmore verdient diese Bezeichnung wirklich.

Padmore ist anders als viele klassische Solisten. Da liegt schon daran, dass er wenig von dem Star-Glamour verbreitet, in dem man sich sonnen könnte. Der 55-Jährige tritt eher mit einer - vielleicht bisweilen etwas spröden - Intellektualität auf. Hinreißend angebracht ist diese Genauigkeit im Denken jedoch heutzutage, wenn die Zeiten unruhiger und gleichsam populistischer werden. Und wichtig sind diese Art von Konzertprogrammen, die Padmore weniger aus bravourösen Schunkel-Stücken baut, sondern eher den härteren Stoff bevorzugt.

Schon in der vergangenen Saison bestritt das Orchester mit Padmore Benjamin Brittens "War Requiem" unter der Leitung von Mariss Jansons. Gut verstanden habe man sich da, erklärt Padmore vor der Saisoneröffnung in München. Nun begleitet er das Orchester über die kommende Spielzeit hinweg. Und es wirkt, als ob sich der Solist und das Orchester dabei vorgenommen haben, eine gemeinsame Forschungsreise über Kunst, Barock und Musik des 20. Jahrhunderts, Krieg, Frieden, menschliches Leiden und Freude anzutreten.

Padmore ist für ein solches Projekt vermutlich genau der Richtige: "Ich bin ein ungewöhnlicher Sänger", sagt er. Denn der Gesang sei erst einmal nicht sein primäres Interesse. Er interessiere sich mehr für den Text, er liebe es "Geschichten in die Musik zu setzen". Nicht in einer theatralen Opern-Tradition, Verdi, Puccini, Wagner singt er gleich gar nicht, Belcanto sei nicht seine Heimat: "Ich habe andere Dinge, die ich genieße", sagt er, mit einem minimal distanzierenden Hauch, aber dennoch mit vornehmen Respekt. Er suche mehr als den Schönklang der Stimme: "Es geht um die Kommunikation mit dem Publikum und darum, etwas zu sagen zu haben".

Ein wenig ähnelt er in dieser Herangehensweise der kanadischen Sopranistin Barbara Hannigan. Es gibt sie, diese Sänger, die sich den Publikumslieblingen der Opernliteratur völlig verschließen. Die sich in der neuen und zeitgenössischen Musik zu Hause fühlen und die mehr von der Stimme erwarten als emotionale Überwältigung. Der Schönklang der Stimme ist ein Mittel für einen anderen Zweck. Sein Repertoire findet er mit Britten, Bach und Zeitgenössischem. Alles dazwischen lässt er, der eigentlich als Klarinettist in einem Jugendorchester begonnen und sich erst recht spät für seine Stimme als sein Ausdrucksmittel entschieden hatte, weitestgehend aus. Außer Mozart, von dem habe er sogar ein paar Opern gesungen.

Er beginnt nun in München mit Brittens Orchesterliedern "Our hunting fathers" und Michael Tippetts "Child of our time", unter Ryan Wigglesworth, es folgt ein Sonderkonzert unter Jansons, in dem Telemann, Bach und Britten einander begegnen, schließlich wird er die Johannes-Passion unter Herbert Blomstedt singen, der diese das erste Mal in seinem knapp 90-jährigen Leben dirigieren wird. In Mozarts "Requiem" wird er dann als Teil der Solisten-Gruppe zu hören sein, und schließlich singt er Thomas Larchers "A Padmore Cycle", das für ihn komponiert wurde.

Wenn er die Auswahl dieser Stücke erklärt, lässt er noch so ein paar seiner typischen, gleichsam zynischen wie empathischen Sätze verlauten. Zur Bach-Passion etwa: Das Wunderbare dabei sei für ihn, dass der Fokus hier auf dem Leiden liege. Oder, dass es für ihn generell schwierig sei, mit der Musik zu einem zu zufriedenen Publikum durchzudringen. Da heutzutage aber vieles ja wieder tief in Frage gestellt werde, können wieder wertvolle Verbindungen im Denken und der Musik geschaffen werden. Ein Masochist ist er trotzdem nicht, ihm geht es mehr um ein prinzipielles Nachdenken, um Präzision und Differenzierung. Etwas, dass seine außergewöhnliche Stimme musikalisch wunderbar spiegelt.

Mark Padmore und das BR-Symphonieorchester, Donnerstag und Freitag, 29. und 30. September, 20 Uhr, Herkulessaal, Residenzstr. 1

© SZ vom 29.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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